Die Marx-Rezeption im ehemaligen Jugoslawien (Teil 2)

Ausstellung 150 Jahre Das Kapital im Museum der Arbeit in Hamburg, 2018

In dieser Beitragsreihe haben wir – im Dialog mit zahlreichen Diskussionspartnern – im ersten Teil allgemein in die Bedeutung von Marx' Kapital von der Erstpublikation bis heute eingeführt. In diesem zweitenTeil betrachten wir seine Historisierung, seine Übersetzungsgeschichte, seine Rezeption sowie den Einfluss, den das Buch im ehemaligen Jugoslawien über alle gesellschaftspolitischen Systeme hinweg gehabt hat. Der dritte Teil widmet sich der Rezeption des Kapital in Jugoslawien nach dem Zweiten Weltkrieg. Und schließlich werden wir im vierten und letzten Teil das im Zuge der jüngsten, seit 2008 andauernden wirtschaftlichen und politischen Krise wieder aufgekommene Interesse für Marx' Kapital beleuchten. Teil 2:  An der "Roten Universität".

Die hiesige Übersetzungsgeschichte des Kapital wurde praktisch im Vorwort der Herausgeber zur Werkausgabe (MED 21) beschrieben. Dazu sagt Mislav Žitko, Assistent am Institut für Philosophie der Universität Zagreb: „Die komplette Übersetzung des Kapital ins Kroatische oder vielmehr Serbische erfolgte relativ spät, der erste Band erschien erst 1933, der zweite Band 1934. Der dritte Band des Kapital erschien nach dem Zweiten Weltkrieg im Jahr 1947. Urteilt man nach der Auflage von beachtlichen 30.000 Exemplaren allein für die Ausgabe in lateinischer Schrift, so schien man damit zu rechnen, dass Das Kapital eine entsprechend breite Leserschaft haben würde. Doch können wir über die tatsächliche Reichweite der Rezeption des Kapital zu Zeiten des Königreichs Jugoslawien nur mutmaßen. In jedem Fall richtig ist, dass es ein verhältnismäßig frühes Interesse am Kapital gab; ausgewählte Abschnitte erschienen 1872 in der Zeitschrift Radenik, die von Svetozar Marković [i] herausgegeben wurde. Einige Jahre später erschienen neu übersetzte Teile in der Zeitschrift Omladina, und Moša Pijade [ii] veröffentlichte 1924 eine gekürzten Ausgabe auf der Grundlage der von Borchardt bearbeiteten Fassung.”

Wer einen lebhaften literarischen Eindruck davon bekommen möchte, wie die Roten Universitäten‘, die Strafanstalten von Lepoglava und Srijemska Mitrovica [iii], aussahen, der liest am besten die Memoiren des Revolutionärs und Politikers Rodoljub Čolaković [iv]. In seinem bekanntesten, mehrbändigen Buch Geschichte einer Generation [v] widmete er auch der Übersetzung des Kapital einige Seiten. Die Übersetzungsarbeit leistete Moša Pijade, unterstützt von Čolaković. „Auf unserem Schreibtisch hatten wir an die zehn Karteikästen. In diese sortierten wir in alphabetischer Reihenfolge die Begriffe, auf die wir beim Übersetzen von Marx‘ Text stießen und für die wir passende Ausdrücke in unserer Sprache gefunden hatten, oder dies zumindest dachten.” Diese Übersetzer hatten es in keiner Weise leicht – ihre Arbeit war schwierig und wäre es selbst unter normalen Umständen gewesen – in denen die beiden aber nicht lebten.

Was soll man machen?”, fragte Moša: „Während in Frankreich die industrielle Revolution ablief, waren die Serben noch Viehzüchter und Landwirte, Serbien eine türkische Provinz.” Die marxistische Terminologie in Kreise einzuführen, in denen noch espap und nicht roba, [vi] najamnica und nicht najamnina [vii] verwendet wurden, erforderte, auf der Suche nach dem richtigen Ausdruck, ein stundenlanges Hin- und Herwälzen einzelner Wörter. Čolaković schreibt: Tagelang suchten wir gemeinsam nach unserem Ausdruck für Marx’ Terminus vergegenständlichte Arbeit – bis schließlich der Begriff opredmećeni rad geboren war. Heute klingen viele Marx’sche Termini in unserer Sprache für den Leser vollkommen normal. (…) Von daher erscheint es vielleicht seltsam, dass wir beide uns darüber manchmal lange Zeit quälten und in Disput gerieten.”

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Die sozialistischen oder genauer marxistischen Ideen verbreiten sich in dieser Zeit auf dem Gebiet Jugoslawiens nicht nur in intellektuellen Kreisen schnell. Doch waren die Verabschiedung der Obznana [viii] im Jahr 1920 und das Gesetz zum Schutz des Staates nach dem Attentat auf Minister Drašković im darauf folgenden Jahr laut Žitkoein machtvoller Versuch, die Entwicklung der Arbeiterbewegung und ihrer politischen Vertretung zu unterdrücken, und das zwang die bereits formierte Kommunistische Partei Jugoslawiens in die völlige Illegalität, was ihre ‚ideelle Entwicklung‘ in jedem Fall erschwerte. Auch der Umstand, dass im Zuge von Stalins Säuberungen schwere Fraktionskämpfe stattfanden, umreißt eine Zeit voller Ungewissheit, eingezwängt zwischen politischer Autokratie und der Willfährigkeit der Partei gegenüber Stalin, der in den 30ern mit der so genannten Großen Säuberung begann.“ Er erinnert daran, dass Stalin für den Tod der besten marxistischen Theoretiker dieser Zeit verantwortlich war; die negativen Auswirkungen betrafen selbstverständlich auch das Wirken der KPJ.

Nach der Fertigstellung der Übersetzung der Bände eins und zwei übernahmen es August Cesarec [ix] und Veselin Masaleša [x], die Handschrift aus dem Gefängnis zu schmuggeln und dem Druck zuzuführen. „Diese erste komplette Übersetzung sollte später, wie Pijade selbst mehrfach äußerte, noch überarbeitet werden; allerdings wurde diese erste Fassung zur Standardübersetzung des Kapital, von der es dann in der Periode des sozialistischen Jugoslawiens zahlreiche Auflagen gab”, berichtet Žitko.

Wir haben Božidar Debenjak, marxistischer Philosoph, Gesellschaftstheoretiker und Übersetzer aus Slowenien und mittlerweile pensioniert, gefragt, warum die Übersetzung von Moša Pijade und Rodoljub Čolaković in der Zeit des neuen Jugoslawien nicht angerührt und nie von einer Neuübersetzung abgelöst wurde,. „Das war hauptsächlich eine Frage der Pietät gegenüber denjenigen, die sich darum verdient gemacht hatten. Sie übersetzten in einer schrecklichen Situation, in Gefängnissen usw., und das wurde dann wie eine Art Mahnmal der hiesigen Arbeiterbewegung behandelt. Die Berichtigung der Fehler der Übersetzung, die sowieso viel zu ‚frei’ war, unterblieb. Sie wurde auch nicht vollständig nach dem deutschen Original angefertigt, sondern folgt zu einem guten Teil der gekürzten französischen Version in der Bearbeitung von Gabriel Deville.” Debenjak vertritt den Standpunkt, man müsse sich für die Beschäftigung mit dem Kapital zunächst die erste Auflage vornehmen, die er uns im Verlauf unseres Gespräches in seiner Wohnung in Ljubljana auf seinem Schreibtisch zeigt. Seiner Ansicht nach blieben in dieser Übersetzung vor allem die philosophischen Termini auf der Strecke. Er gibt uns ein Beispiel: Beginnen wir mit dem für mich grauenvollen Begriff radna snaga. Marx nennt die ‚Arbeitskraft’ in einem Zug mit dem ‚Arbeitsvermögen’, weil das in der philosophischen Tradition Synonyme sind. Auch Denkvermögen‘ und ‚Denkkraft’ meinen das gleiche. ‚Vermögen’ ist ein deutsches Wort, welches etwas zwischen Fähigkeit und Möglichkeit bedeutet. Das heißt, es geht um ‚arbeiten können’, das ist die ‚Arbeitskraft’. Über eine Sekretärin wird man nicht sagen, dass sie eine gute Arbeitskraft ist. Mit der Verwendung des Wortes ‚Kraft’ wird die Sache gewissermaßen auf starke Muskeln übertragen. Dabei handelt es sich um die Fähigkeit, die Möglichkeit, arbeiten zu können, also das Potenzial, welches sich als Arbeit verwirklicht. Für Marx’ philosophisches Verständnis von Arbeit grundlegend ist, dass die Arbeit in ihrer Verwirklichung dem Kapitalisten gehört, das Kapital sie sich aneignet. Und das, was verkauft wird, ist ihre Möglichkeit, zu arbeiten, die Arbeit im Zustand der Möglichkeit, und nicht der Wirklichkeit. Nach Marx verfällt der Arbeiter deswegen, wenn seine Arbeitszeit endet, in den Zustand der Möglichkeit zurück; jegliche Verwirklichung verbleibt auf der anderen Seite und steht konträr zu ihm. Sprechen wir von Arbeitskraft‘, verliert sich all diese Differenzierung.”

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Die Geschichte der Übersetzung im neuen Jugoslawien ist auch ein Krieg der Fakultäten“. Die Ökonomen orientierten sich an der Terminologie der politischen Ökonomie der klassischen und der sozialistischen‘ – so wie sie sie verstanden hatten, während die Philosophen Marx‘ „Re-philosophisierung anstrebten. Heute tendiert man eher wieder zu einer ökonomischen Lesart. Ihre Interpreten empfehlen die Lektüre der Klassiker der politischen Ökonomie, während sie die philosophischen Klassiker als nicht essentiell erachten, wenn sie nicht sogar dazu raten, sie zu überspringen (besonders Hegel). In diesem Sinne missachten die heutigen Leninisten Lenins Diktum, dass das Kapital ohne Hegels Logik nicht verstanden werden könne, was einen Großteil von Lenins marxistischen Zeitgenossen in seinen Augen für den Marxismus unfähig machte.

Debenjak historisiert: „Am Beginn der 1950er Jahre steht in Jugoslawien die Entdeckung des so genannten jungen Marx. In Deutschland begann die Debatte um den jungen Marx ab 1950 oder 1951 durch die Auseinandersetzung um das Verständnis des Menschen beim jungen Marx; in Zagreb erschienen seine Frühschriften schon 1953. Die nach dem Zweiten Weltkrieg aufkommende Diskussion konzentrierte sich auf den jungen Marx, und in Zagreb wurde diesbezüglich ein großer Fortschritt erzielt. Das war eine bedeutende Sache, ein wichtiges Ereignis. Damals wurde in der Zeitschrift Naše teme [xi] eine Debatte über den frühen Marx losgetreten. Manche Argumente gingen ins Extreme, etwa die vereinzelten Behauptungen, dass man den so genannten späten Marx nicht zu lesen brauche. Für die Verfechter der ‚realistischen Strömung‘ gab es indes keinen reifen Marx, der im Widerspruch zu einem frühen stünde. Ihnen war vielmehr bewusst, dass die philosophische Arbeit aus der Epoche des frühen Marx in Das Kapital eingeflossen war.”

Die besondere Situation in Slowenien beschreibt Debenjak folgendermaßen: Bei uns gelten als Richtschnur die alten Übersetzungen des Kapitals, jene von Krašovec und anderen, die mit der Arbeit noch vor dem Zweiten Weltkrieg begonnen hatten. Der Text, genauer gesagt der erste Band, erschien jedoch erst 1961, die übrigen erschienen später. Diese Übersetzung gefiel uns Philosophen absolut nicht. In dieser wirtschaftswissenschaftlich ausgerichteten Übersetzung gingen die philosophischen Inhalte verloren. Das erste, was wir unternahmen, war, aus der ersten Auflage des Kapitals den Anhang zum ersten Abschnitt Die Wertform zu übersetzen. Marx schrieb ihn auf Engels‘ ausdrückliches Ersuchen hin, seine Methode genauer zu erklären. Marx antwortete ihm, er habe etwas geschrieben, Engels eigentlicher Anfrage allerdings ist er nicht nachgekommen. Dieser Abschnitt wurde in späteren Auflagen häufig in Teilen in den Abschnitt zum Warenfetisch integriert, wobei die darin behandelten eher lehrbuchhaften Beispiele verschwanden. Nach dessen Übersetzung konnte die Diskussion wieder aufgenommen werden, weil Marx dort ‚abstrakte‘ und ‚konkrete Arbeit‘ behandelt. Wie in der Philosophie des Idealismus, so wird auch im Kapitalismus die konkrete Arbeit als eine Art Emanation der abstrakten Arbeit verstanden. Diese philosophischen Diskussionen waren für uns zentral und nicht etwas, das man in die verkürzte Kapital-Version hätte pressen können, die Krašovec‘ Übersetzung anbot.”

Wir fragten Debenjak, wie es um das Verhältnis zwischen der Partei, den politischen Institutionen und den ideologischen Kommissionen während der Arbeit an diesem Buch bestellt war. 1980 berief sich Debenjak, im Gespräch über die Notwendigkeit einer neuen Auflage, auf die Beschlüsse der VIII. Sitzung der KP Sloweniens. Für ihn lag die Besonderheit Ljubljanas darin, dass hier die Studentenbewegung von 1968 nicht erstickt worden war, sondern von politischen Sanktionen verschont blieb, was zum großen Teil ein Verdienst des Universitätskomitees war, in dem er selbst eine positive Rolle gespielt hatte. Die Linke konnte so an den Fakultäten bleiben und wurde nicht, um ihr die Zuhörerschaft zu entziehen, hinausgeworfen. Gleichwohl „war meine Situation in Slowenien damals nicht die beste, was man auch daran sehen konnte, dass ich nicht als Dozent für die politische Parteischule in Slowenien ausgewählt wurde und France Popit [xii] meinen Namen von der Vorschlagsliste strich.”

Josip Broz Tito wollte, dass die Parteischule in Kumrovec errichtet wird; für sie wurde dann später eigens das bekannte Gebäude gebaut. [xiii] Eilig wurden von Belgrad aus alle möglichen Menschen mobilisiert, die etwas unterrichten konnten. Es gab eine Ausschreibung, und Debenjak wurde zunächst Lehrkraft und später dann Leiter der Schule. Wir wählten, was auf die eine oder andere Art frisch und neu war”, gibt er an. „Ein Problem dieser Schule war, dass sie, wie davor die Polituniversitäten, außerhalb des regulären Bildungssystems aufgebaut wurde. Dadurch wurde jede Verbindung zwischen normaler und ausschließlich politischer Schullaufbahn gekappt. Der kroatische Politiker Josip Vrhovec [xiv] betonte beständig, dass diese Schule etwas Besonderes außerhalb des Schulsystems sei. Die berufenen Dozenten und ihre Studierenden besaßen von Anfang an ein hohes intellektuelles Niveau. Damals kamen die größten Theoretiker dorthin; ich erinnere mich, dass einmal auch Vanja Sutlić [xv] als Dozent eingeladen wurde.”

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Wir wollen versuchen, anhand des Schicksals von Marx’ Kapital und des Marxismus im ehemaligen Jugoslawien einige entscheidende politische Momente zu rekonstruieren, die die Richtung der gesellschaftlichen Entwicklung“ veränderten; und im Zuge dessen auch das Verhältnis zum Buch. Ende der 1950er gab es noch kontroverse Diskussionen. Es gab Strömungen, die Koča Popović [xvi] zustimmten, dass die Normalisierung der Beziehungen zur Sowjetunion verfrüht kam. Bei uns hielten sich stalinistische Denkweisen noch lange. Gerade die Debatte über die Ideologie bzw. den historischen Materialismus und die Soziologie allgemein litten unter den gleichen Problemen wie die damaligen Diskussionen in der Sowjetunion. Ich entsinne mich, dass Boris Ziherl [xvii] noch solchen Denkweisen anhing. Was Tito angeht, so stand dieser unter dem starken Einfluss des Leninismus seiner Jugend. In einer Vorlesung, die er in Kumrovec hielt, verwandten seine Redenschreiber den Ausdruck ‚Marxismus’. Er aber sagte in seiner Rede an genau diesen Stellen jedes Mal Marxismus-Leninismus’. Die Leute, die seine Äußerungen für den Druck vorbereiten sollten, korrigierten ihm das in Marxismus und Leninismus’.”

In dieser Vorlesung erläuterte Tito einige Dinge, die sich auf das Leben der Partei vor dem Krieg bezogen. So sagte er, dass er ein Gehalt im Rang eines hohen Staatsbeamten gehabt habe, welches ihm die Komintern zuwies. Diese Form der Finanzierung schuf persönliche Abhängigkeiten, Rechnungen für die eigene Arbeit mussten Moskau vorgelegt werden, man sah sich zu Auseinandersetzungen mit den Genossen gezwungen. Von diesem Geld hing ihre Existenz ab: Da sie Illegale waren, hätte ein Entzug der Parteigelder ihnen dieses Leben unmöglich gemacht. Tito konnte interessant historisieren”, sagt Debenjak. Er war eine Kapazität in der praktischen politischen Arbeit, aber nicht in der Theorie.”

Dafür gab es anderswo große Debatten. Debenjak erinnert sich an die Sommerschule auf Korčula, die 1968 ihren Höhepunkt erlebte. Dort wurden wir Zeugen des Angriffs auf die Tschechoslowakei. In der Folge verabschiedeten wir eine Resolution, die ich nach Ljubljana brachte. Über Radio Student [xviii], das damals entstand, gelangte die Nachricht auch in die Tschechoslowakei.” Er erinnert sich ebenfalls, wie Aleksandar Grličkov und Miloš Nikolić, die von der Praxis-Gruppe kamen, später das Magazin Marksizam u svetu [xix] gründeten und Zusammenkünfte in Cavtat organisierten, wo ein breites Spektrum von den theoretischen Größen bis hin zu kleinen Funktionären zusammentraf. Ebenfalls vertreten wurden dort veraltete theoretische Standpunkte, insbesondere aus Osteuropa. Um Cavtat zu einer wirklich internationalen Tribüne zu machen, hatte man allerdings auch diesen Raum zu geben. „Grličkov pflegte zu sagen, dass wir ein Forum brauchen und kein Tribunal, und so mussten wir uns alle Positionen anhören, damit die verschiedenen Erdteile repräsentiert waren, selbst wenn es Blödsinn war. Ein solcher Pluralismus und eine solche Offenheit waren eine große Sache nach der bleiernen Zeit, als die ich die späten 1970er Jahre ansehe.”

Wenn man damals über Das Kapital und Marx’ Werk als Ganzes sprach, betonte man das Primat der Praxis, jedoch auch, dass revolutionäre Praxis ohne eine revolutionäre Theorie nicht existieren könne. Dass eine Denkweise und eben dieses Marx’sche Buch revolutionär sein konnten, das ist heute für viele schwer nachvollziehbar. Eine derartige Situation war allerdings kein echtes Novum. Debenjak erzählt: „Bereits Mitte des letzten Jahrhunderts sprach man vom Ende der Theorie, einem posttheoretischen Zeitalter, einer Managerrevolution usw. Es herrschten auch damals schreckliche Zeiten. Das, was Ende der 1960er geschah, bedeutete für mich die Rückkehr der Hoffnung und neues Leben. Heute befinden wir uns wieder in einem Zeitalter der Stagnation, aus dem ein erneuter Aufschwung hervorgehen wird. Die Zeit der klaren Rede wird zurückkehren. Man muss sich nur ansehen, was Marx und Engels passiert ist. Die Blütezeit ihres Denkens dauerte bis 1848. Später schrieben sie, es müsse noch viel Zeit vergehen, bis man wieder zu dem Mut der Ausdrucksformen dieser Zeiten werde zurückkehren können.”

 

Erstveröffentlichung in der Zagreber Wochenzeitung Novosti als vierteilige Feuilletonreihe. Online: https://www.portalnovosti.com/neprocitana-knjiga

Der dritte Teil widmet sich der Rezeption des Kapital in Jugoslawien nach dem Zweiten Weltkrieg.

Übersetzung Irena Katadžić www.irena-katadzic.com


[i] Svetozar Marković (1846-1875), Publizist und Politiker, gilt als einer der ersten sozialistischen Politiker in Serbien.

[ii] Moša Pijade (1890-1957), führender kommunistischer Politiker, Teilnehmer des Volksbefreiungskrieges und Übersetzer des Kapitals.

[iii] In den Gefängnissen von Lepoglava und Sremska Mitrovica waren zu Zeiten des Königreichs Jugoslawien zahlreiche hochrangige Kommunisten interniert.

[iv] Rodoljub Čolaković (1900-1983), Freiwilliger im Spanischen Bürgerkrieg auf Seiten der Republik, Teilnehmer des Volksbefreiungskrieges und Übersetzer des Kapitals.

[v] Übersetzung durch die Übers., im Original Kazivanjie o jednom pokoljenju.

[vi] Anm.d.Übers.: espap ist ein Turzismus, der erst nach Ende der osmanischen Herrschaft auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien durch den Ausdruck roba für ‚Ware‘ ersetzt wurde.

[vii] Anm.d.Übers.: Ein ebenfalls aus dieser Zeit stammender, archaischer Ausdruck für ‚Pachtzins‘ oder ‚Miete’, dem heute verwendeten Begriff gegenübergestellt.

[viii] Die Obznana war das „Sozialistengesetz“ des Königreichs Jugoslawien. Es verbot per Dekret das Wirken der Kommunistischen Partei Jugoslawiens sowie prokommunistischer Gewerkschaften.

[ix] August Cesarec (1893-1941), kommunistischer Schriftsteller, wurde 1941 von Ustascha hingerichtet.

[x] Veselin Masleša (1906-1943), kommunistischer Schriftsteller und Teilnehmer des Volksbefreiungskrieges.

[xi] Anm, d. Übersetzerin: Auf Deutsch Unsere Themen.

[xii] Präsident des Präsidiums SR Slowenien.

[xiii] Die Parteischule in Kumrovec, dem Geburtsort von Tito, wurde 1975 eröffnet und erhielt 1981 einen eigenen, architektonisch markanten Gebäudekomplex.

[xiv] Josip Vrhovec (1926-2006), jugoslawischer Politiker und zwischen 1978 und 1982 Außenminister.

[xv] Vanja Sutlić, marxistischer Philosoph und Mitglied der Redaktion der philosophischen Zeitschrift ‹Praxis›.

[xvi] Konstantin ‹Koča› Popović (1908-1992), Schriftsteller, Freiwilliger im Spanischen Bürgerkrieg auf Seiten der Republik, Kommandant der Ersten Proletarischen Brigade im Volksbefreiungskrieg, zwischen 1953 und 1965 jugoslawischer Außenminister.

[xvii] Slowenischer Politiker, aber auch einer der Begründer der Soziologie in Slowenien.

[xviii] Übersetzung d. Übers., im Original Radijo študent.

[xix] Anm. d. Übers.: Auf Deutsch Marxismus in der Welt.