Kommunistische und postkommunistische Parteien Westeuropas

In den altkapitalistischen Staaten Europas – die also bis 1989-91 nicht zum sozialistischen Weltsystem gehörten – bedeutete das Ende des Staatssozialismus eine tiefe Zäsur für die kommunistischen Parteien. Bis dahin waren sie gekennzeichnet durch

  • Focussierung ihrer Politik auf das Handarbeiter-Proletariat
  • Festhalten am von ihnen als marxistisch-leninistisch bezeichneten Modell der Machteroberung und -erhaltung (einschließlich eines Bekenntnisses zur Diktatur des Proletariats)
  • Orientierung an der Sowjetunion oder einem anderen staatssozialistischen System, z. B. der Volksrepublik China.

Bei den Mitgliedsorganisationen der trotzkistischen Vierten Internationale entfiel das dritte Kriterium von Anfang an. In dem Maße, in dem die Voraussetzungen dieser Politik entfielen und bisherige kommunistische Parteien sich drauf einstellten, können diese als postkommunistisch bezeichnet werden. Teilweise hatte diese Entwicklung schon vor 1989-91 eingesetzt.

Seit 1956 – den Enthüllungen Chruschtschows über Stalins Verbrechen und dem Einmarsch der Sowjetarmee in Ungarn –, verstärkt nach der Intervention in der Tschechoslowakei 1968 waren einige Parteien auf Distanz zur Kommunistischen Partei der Sowjetunion  (KPdSU) gegangen, ohne mit ihr völlig zu brechen. Dies gilt für einige skandinavische KPs, die Partei der Arbeit in der Schweiz, die britische Kommunistische Partei und die Kommunistische Partei Italiens (KPI). Das in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts von ihnen sowie der spanischen und schließlich auch der französischen kommunistischen Partei vertretene Konzept des Eurokommunismus ging durch die Bereitschaft zur Einhaltung parlamentarisch-demokratischer Regeln und die Erarbeitung von an ihr orientierten Transformationskonzepten darüber hinaus. (Außerhalb Europas vertrat und vertritt auch die Kommunistische Partei Japans solche Positionen.) Eine Konvergenz mit Vorstellungen der klassischen Sozialdemokratie schien möglich.

Insofern hätte nicht angenommen werden können, dass der Zusammenbruch der Sowjetunion die eurokommunistischen Parteien entscheidend hätte schwächen müssen. Dennoch war dies der Fall: Die Italienische Kommunistische Partei ist nach einer Reihe von Umbenennungen in einer neuen Formation – dem Partito Democratico  – ohne jede sozialistische Zielvorstellung verschwunden. In Frankreich bewahrte die Kommunistische Partei ihre organisatorische Selbständigkeit, doch ist ihre politische Wirksamkeit teilweise an die eines übergreifenden Bündnisses („La France insoumise“) unter Führung des Linkssozialisten Jean-Luc Mélenchon) gebunden. Gleiches gilt für Spanien.

Das Entfallen der Orientierung an einer ausländischen staatssozialistischen Vormacht galt auch für die maoistischen Kleinparteien, in der Bundesrepublik Deutschland um das Jahr 1980. Einige Kommunistische Parteien halten an der Zentrierung auf das Proletariat, ja auch noch an der Berufung auf den Marxismus-Leninismus fest. Unter ihnen haben die Portugiesische und die Griechische Kommunistische Partei (KKE) weiterhin eine Massenverankerung mit parlamentarischer Präsenz. In weit höherem Maße gilt dies für Syriza, eine „Koalition der Radikalen Linken“, in welche der einstige eurokommunistische Flügel der KKE einging.

Andere – wie die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) – sind noch stärker marginalisiert als vor 1989-91. Gleiches gilt für die Kommunistische Partei Österreichs, deren Führung sich vom Marxismus-Leninismus und der proletarischen Orientierung losgesagt und diese durch eine darüber hinausgehende allgemein-emanzipatorische und nichtmaterialistische Programmatik (Feminismus, Ökologie, Antirassismus, Anti-Sexismus, Internationalismus jenseits der einstigen ausschließlichen Orientierung der Sowjetunion) ersetzt hat.

Das Verschwinden oder die Umorientierung bisheriger kommunistischer Parteien führten zur Abspaltung oder Neugründung von sehr kleinen Organisationen, die an den zwei der drei Essentials der alten KPs (Orientierung am Handarbeiter-Proletariat, Marxismus-Leninismus) festhielten. Bei der DKP und ihrem Jugendverband, der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ), handelt es sich dagegen nicht um eine neue Formation, sondern nach inneren Auseinandersetzungen um eine Rückkehr zu früheren Positionen.

Diese kommunistischen Kleingruppen stehen kritisch bis ablehnend zur Europäischen Linkspartei und bemühen sich auf Konferenzen um einen eigenen internationalen Zusammenhang. Eine Koordinationsfunktion nimmt dabei die belgische „Partij van de Arbeit“ wahr, die eine relativ starke Massenverankerung hat und auf kommunaler, regionaler und nationaler Ebene über Mandate verfügt. Gemeinsam ist diesen Organisationen die Ablehnung der EU.

Wo sie ihre eher traditionelle Grundorientierung mit erfolgreicher Basisarbeit verbinden, gelangen sie über ihre ansonsten vorherrschende Marginalisierung hinaus und sind auch parlamentarisch sichtbar. Dies gilt für die Partij van de Arbeit, für den Landesverband Steiermark der Kommunistischen Partei Österreichs (sie steht der nichtmaterialistischen Orientierung der Gesamtpartei kritisch gegenüber) und in den Niederlanden für die Sozialistische Partei, zu deren Gründung die Mitglieder einer früheren maoistischen Partei entscheidend beitrugen. Die Kleinorganisationen, welche die einstige Italienische Kommunistische Partei hervorbrachte (darunter der Partito della Rifondazione Comunista), haben dagegen ihren anfänglichen relativen Masseneinfluss mittlerweile verloren. In Deutschland hat die zumindest in der Vergangenheit maoistische Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) begrenzte, aber spürbare lokale und gewerkschaftliche Bedeutung. Die einzige KP mit breiter Verankerung und unübersehbarer Präsenz in einem ehemaligen staatssozialistischen Land Europas ist die Tschechische Kommunistische Partei (KP Böhmens und Mährens, KSCM).

Auch die Partei „DIE LINKE“ Deutschland nimmt insofern eine Sonderstellung ein, als ihre bei weitem größte Vorgängerorganisation – die “Partei des demokratischen Sozialismus“ (PDS) – aus der früheren regierenden Partei eines staatssozialistischen Landes hervorging und im Westen zunächst vor allem nur von Mitgliedern bis dahin dort bestehender Kleingruppen Zuspruch gewann. Ab 2005 konnte sie sich um Teile des westdeutschen sozialdemokratischen Potentials, organisiert in der „Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit“ (WASG), erweitern und entstand schließlich durch eine Fusion mit ihr. Bereits die PDS aber hatte ihre Programmatik von ausschließlicher Klassenpolitik gelöst und diese durch allgemein-emanzipatorische Zielsetzungen ersetzt.

Die trotzkistischen Zusammenhänge brachten und bringen sich – soweit sie ihre „entristische“ Taktik (Wirken in anderen Parteien) – beibehalten, in postkommunistische Bündnisse und Parteien ein, behalten aber ihre Orientierung an der Arbeiterklasse und das Festhalten an einem revolutionären Ziel bei.