Das etwas andere marxistische Denken

Leo Koflers Jahre und Erfahrungen im ostdeutschen Realsozialismus

Leo Kofler, 70er Jahre, vor der Ruhr Uni Bochum. (c) Leo-Kofler-Gesellschaft e.V.

Es waren nur drei von insgesamt 88 Lebensjahren, die der deutsche-österreichische Sozialphilosoph und Gesellschaftstheoretiker Leo Kofler (1907-1995) in Halle an der Saale verbrachte. Doch es waren drei prägende Jahre, die nicht nur für die Geschichte der frühen DDR und die Geschichte der Hallenser Universität, sondern auch für die Koflersche Biografie und sein sozialphilosophisches Werk von entscheidender Bedeutung gewesen sind.

Wer war also dieser Leo Kofler, der Ende September 1947 nach Halle und an die Hallenser Universität kam? Wie und warum kam er nach Halle? Welches waren seine Rolle und Erfahrungen in Halle? Warum wurde er dabei zu jenem „Fall Kofler“, der ihn schlussendlich, im Herbst 1950 zur Flucht in den deutschen Westen zwang? Und wie hat Kofler seine Hallenser Erfahrungen sozialphilosophisch verarbeitet? Dass sind die Fragen, die im Folgenden, in der gebotenen Kürze, beantwortet werden sollen.

Wer war Leo Kofler und warum kam er nach Halle?

Als Kind des osteuropäischen Judentums verbrachte der 1907 in Chocimierz, in der heutigen Ukraine geborene Leo Kofler seine Kindheit in Ostgalizien, im damals nordöstlichsten Teil der österreichisch-ungarischen Habsburgermonarchie. Kriegsbedingt musste die Familie 1914/15 nach Wien fliehen, wo sich der noch junge Kofler nur langsam akklimatisieren sollte. Entscheidend dafür, dass ihm Wien zur neuen, lebenslangen Heimat wurde, wurde jenes gesellschaftspolitische Großexperiment eines kommunalen Sozialismus, für das die österreichische Sozialdemokratie der Zwischenkriegszeit stand. Das „rote Wien“ gab auch dem jungen, ziellos in den Tag lebenden Kofler eine lebensgeschichtliche Perspektive, die ihn zum jungen, engagierten Linken machte. Nachdem er die Handelsschule absolviert hatte und zum kleinen Angestellten wurde, stieß er zur Gewerkschaftsbewegung und wurde schon bald zu einem jener jungen, sozialistischen Bildungsreferenten, die auf dem linken Flügel der österreichischen Sozialdemokratie gegen den aufkommenden Austrofaschismus und das bürgerlich-kapitalistische Gesellschaftssystem als Ganzes kämpfte. Zu Beginn der 1930er Jahre beteiligte sich Kofler an den Kämpfen zur Verteidigung der Republik, widmete sich aber nach dem Scheitern des Austromarxismus im Jahre 1934 vor allem dem Studium bei seinem politisch-ideologischen Idol, dem linkssozialistischen Vordenker Max Adler.

1938, nach dem österreichischen Anschluss an Deutschland, musste der damals Dreißigjährige als marxistischer Sozialist jüdischer Herkunft fliehen und ging als Flüchtling über die Berge in die neutrale Schweiz, nach Basel. Dort überlebte er Krieg und Faschismus in einem Internierungslager, musste aber seit 1940 tagsüber schwere körperliche Arbeit verrichten, während er abends seine aus Wien nachgesandten Manuskripte durcharbeitete und zu einem Buch erweiterte über „Die Wissenschaft von der Gesellschaft“ (so der spätere Titel), das 1944 unter Pseudonym in der Schweiz erscheinen konnte. Das originelle, aber schwierige theoretische Werk fand eine aufmerksame Presse und animierte Kofler, nach seiner Befreiung von der Zwangsarbeit an einem zweiten, gänzlich anders gearteten Werk zu arbeiten, an einer umfangreichen „Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft“.

Fragt man nach dem spezifisch zeitgeschichtlichen Kern der beiden Grundsatzwerke, findet man entscheidende Antworten auf die Frage, warum Kofler bald in den deutschen Osten gehen sollte.

Koflers 1944 veröffentlichte „Wissenschaft von der Gesellschaft“ versteht sich als Programmschrift zur Erneuerung der zeitgenössischen marxistischen Theoriediskussion. In Opposition sowohl gegen den alten, bloß anschauenden Marxismus sozialdemokratischer (Kautsky), wie gegen den vulgär-dogmatischen Marxismus-Leninismus kommunistisch-stalinistischer Provenienz (Stalin), knüpft Kofler an dem in den dreißiger Jahren wieder entdeckten jungen, „humanistischen“ Marx und am sogenannten Hegel-Marxismus an, um den Marxismus als „Subjekt-Objekt-Dialektik“ zu erneuern. Für Kofler ist die Subjekt-Objekt-Dialektik eine Beziehung, „in der die subjektive Tätigkeit ebenso Bedingung für das Entstehen der objektiv-gesetzlichen Gegebenheiten ist, wie auch umgekehrt die objektive Gesetzlichkeit Bedingung für die subjektive Tätigkeit“. Dialektisches Denken ist ihm entsprechend eine spezifische Erkenntnismethode, die mehr ist als die bloße Anschauung eines Objektes. Dialektisches Denken weiß sich stets als Moment dessen, was es zu begreifen und zu verändern versucht. Als Akt der Erkenntnis ist es partiell immer auch ein Akt der Veränderung, d.h. eingreifendes Denken. Dialektischer Materialismus ist ihm eine Form der Praxisphilosophie, in welcher Theorie und Ideologie zu real wirksamen Elementen gesellschaftlicher Entwicklung werden. Bewusstsein, Theorie und die Ideologiekritik der in ideologischer Verblendung (Entfremdung) lebenden Individuen, Schichten und Klassen werden so aufgewertet, Theorie zu einer Form von Praxis – und der in der Mitte des 20.Jahrhunderts offensichtlich von seinem emanzipativen Wege abgekommene Mensch ist entsprechend gehalten, mit neuem, angemessenem Bewusstsein zu handeln.

Kofler erweist sich hier, wie ich an anderem Orte ausführlich dargestellt habe, als integraler Bestandteil jener politisch-theoretischen Ideenströmung der 1930er und 1940er Jahre, die man post festum als „westlichen Marxismus“ (oder Hegel-Marxismus) bezeichnen kann, und die für sich beanspruchte, die marxistische Theorie jenseits der bisherigen beiden Hauptströmungen der sozialistischen Arbeiterbewegung zu erneuern.

Obwohl in Thematik und Stil gänzlich anders, nimmt Koflers 1947 fertiggestellte Schrift „Zur Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft“, den Faden einer Ökonomie, Klassengeschichte und Ideologie eng miteinander verwebenden Geschichtsschreibung wieder auf, indem es die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft als ein Stück Geistesgeschichte, als Ideengeschichte des frühbürgerlichen Humanismus schreibt. Den geschichtlichen Prozess gleichzeitig als Tathandlung der Menschen wie als Logik des historischen Prozesses verstehend, untersucht Kofler hier die Stärken und die strukturellen Schwächen des bürgerlichen Emanzipationsprojektes – den frühbürgerlichen Traum von der allseitigen Entfaltung der menschlichen Gattungspersönlichkeit. Auf der einen Seite zeichnet es dieses Werk aus, dass und wie es den welthistorischen Fortschritt dieses frühbürgerlichen Emanzipationsprojektes aufzeigt, denn es gäbe, so Kofler, keine gesellschaftliche Freiheit ohne die Freiheit für das einzelne Individuum, ohne das bürgerliche Freiheitsversprechen. Auf der anderen Seite verdeutlicht das gleiche Werk schließlich, dass und wie diesem bürgerlichen Humanismus von Beginn an ein blinder Fleck strukturell eingeschrieben ist. Dieser folgenreiche blinde Fleck des bürgerlichen Humanismus ist für Kofler dessen unkritische, affirmative Haltung zum bürgerlich-kapitalistischen Privateigentum: Bürgerlich-humanistisches Denken sei auch in seinen besten Vertretern an die Schranken des bürgerlich-kapitalistischen Privateigentums gebunden, wie Kofler an diversen Philosophen und Denkern der frühbürgerlichen Zeit aufzeigt. Erst der Besitz (von Geld oder Wissen) mache im bürgerlichen Denken den Menschen zum wahren Menschen. Und so komme es schließlich dazu, dass das bürgerliche Denken, wo es im 19.Jahrhundert von den nachdrängenden Schichten und Klassen, vor allem natürlich vom nachdrängenden Proletariat, machtvoll herausgefordert werde, diese seine frühbürgerlichen Emanzipationsideen aufgebe und zunehmend reaktionär werde.

Was Kofler hier, mit dem widersprüchlichen Verhältnis von Humanismus und Eigentum, aufzudecken versucht, ist, politisch ausgedrückt, jenes widersprüchliche Verhältnis von Demokratie und Liberalismus, das in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts praktisch geworden ist. Und auch hier ist der Zeitkern einer an sich zeitlosen Analyse deutlich erkennbar, denn mit dem seit 1943 absehbaren Ende des deutschen Faschismus kommt es zur Erneuerung eines umfassenden antifaschistischen Geistes nicht nur auf der politischen Linken, sondern auch in bürgerlich-demokratischen Kreisen und mehr noch in breiten Teilen der europäischen Bevölkerung. Neue Hoffnungen auf eine linke Einheitsfront der beiden alten Arbeiterparteien, von Sozialdemokraten und Kommunisten, und neue Hoffnungen auf eine Volksfront mit jenen Teilen eines aufgeklärten, antifaschistischen Bürgertums, die sich der sozialen Frage öffnen, beginnen den Geist der Zeit zu prägen. Als absehbarer Sieger des Krieges und als Hauptkraft im Kampfe gegen den deutschen Nazi-Faschismus gilt die Sowjetunion als antifaschistische Kraft, während der die Linke (und die Bevölkerung) so bedrückende Stalinismus als Produkt weniger der inneren „Klassenkämpfe“ der sowjetrussischen Gesellschaft, als vielmehr von außen bedingt verstanden wird, als Produkt des internationalen politisch-militärischen Grabenkampfes (und als gewaltförmiges Mittel zur Überwindung von Armut und Rückständigkeit). Seien die Belagerung durch Krieg und Faschismus (und die „ursprüngliche Akkumulation“) beendet, so die Meinung vieler, könne sich auch das Sowjetregime entstalinisieren. Auch der damalige Kofler teilte diese Illusion und hoffte, wie er 1951 selbstkritisch einräumte, „dass unter der Bedingung des Sieges der russischen Macht über Hitler und des Zusammenschlusses der beiden wichtigsten Richtungen der Arbeiterbewegung in Mitteldeutschland ein Experiment gestartet sei, das zu Hoffnungen auf eine Demokratisierung und Entbürokratisierung der kommunistischen Bewegung Anlass gebe“. Der entscheidende Hebel einer solchen Entstalinisierung sei jedoch, so Kofler (parallel zu den einschlägigen Arbeiten eines Georg Lukács), die Aktualisierung des alten humanistischen Erbes.

Die inhaltliche Vergegenwärtigung seiner beiden ersten, noch in der Schweizer Emigration verfassten Werke verdeutlicht also, wie Kofler damals gedacht hat und warum er nicht ohne Logik in die Noch-Nicht-DDR gehen sollte. Nach dem Ende des deutschen Faschismus hofften viele Sozialisten und manche bürgerliche Demokraten auf ein Aufbrechen des sowjetrussischen Stalinismus, auf einen neuen, antifaschistischen Sozialismus nicht nur in Ost-, sondern auch in West- und Mitteleuropa. Schon bald nach Kriegsende kam es deswegen bspw. zu intensiven Kontakten auch von Schweizer und ostdeutschen Linksintellektuellen. So fuhren die Professoren Fritz Lieb aus Basel und Walter Weizel aus Bonn im Herbst 1945 unter neutraler Schweizer Flagge nach Ostberlin und trafen sich mit dem einflussreichen SED-Funktionär Robert Rompe, dem damaligen Hauptleiter für Hochschulen und Wissenschaft in der ostdeutschen Zentralverwaltung für Volksbildung, der später auch den direkten Kontakt aufnahm. In der Sowjetisch-Besetzten-Zone suchte man damals mit besonderer Intensität nach vom Nazismus unbelasteten Intellektuellen, die beim „volksdemokratischen“ Aufbau mithelfen konnten.

Auch der Rektor der Baseler Universität, Edgar Salin, ein wichtiger Schweizer Intellektueller, der später selbst ein kurzes Gastspiel an der Hallenser Universität geben sollte, stand im Kontakt mit Ostberlin. Salin war nun, ob in diesem Zusammenhang oder gänzlich unabhängig davon, lässt sich nicht mehr klären, auch auf Leo Koflers Schrift „Die Wissenschaft von der Gesellschaft“ aufmerksam geworden und hatte ihn zu einem persönlichen Gespräch eingeladen. Da Kofler als Flüchtling in der Schweiz nur geduldet war und nach dem Krieg wieder abgeschoben werden sollte, kam das Gespräch natürlich auch auf Koflers mögliche Zukunft. Er wolle, so Kofler, am liebsten in ein sozialistisches Land – in Österreich scheint er für sich und seinen Ansatz keine Perspektive gesehen zu haben. In Basel hatte sich Kofler, obzwar kein Parteigänger des Kommunismus, vor allem in kommunistischen Kreisen bewegt. Und nach Halle hatte er persönliche Kontakte: Sein Schweizer Bekannte Heinz Mode war bereits dort, ebenso Arthur Baumgarten, der seit 1946 eine Gastprofessur in Leipzig inne hatte, und, last but not least, der junge Richard Wolf, ein damals noch unbeschriebenes Blatt, der seinen Marxismus als Emigrant in der Schweiz vor allem von Kofler gelernt hatte, und nun, 1946, Vorsitzender der SED-Betriebsgruppe der Universität Halle war und als zentrale Vermittlungsperson zu Kofler agierte.

Damit war das Netzwerk gespannt, das dazu führen sollte, dass ihn der Hallenser Universitäts-Kurator im Dezember 1946 offiziell dazu einlud, als Dozent an den Vorsemestern der Hallenser Universität Halle tätig zu werden. Aufgrund der schwierigen Ein- und Ausreisebedingungen dauerte es aber noch ein dreiviertel Jahr, bis Kofler wirklich nach Halle aufbrechen konnte.

Koflers Rolle und Erfahrungen in Halle

Ende September 1947 kam der damals Vierzigjährige also in Halle an. Im Oktober wurde seine Schrift „Die Wissenschaft von der Gesellschaft“ als Dissertation anerkannt und im selben Monat begann bereits das Habilitationsverfahren, für das er Anfang Dezember seine zweite Schrift „Zur Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft“ einreichte. Schon im Oktober 1947 war er in die SED eingetreten und betätigte sich zuerst als Lehrbeauftragter für die Probleme des Übergangs vom Mittelalter zur Neuzeit. Im Habilitationsverfahren kam es allerdings zu Auseinandersetzungen mit dem Universitätskörper, weil Kofler angeblich kein richtiger Historiker, sondern mehr Soziologe sei.[i]* Dahinter verbarg sich der Widerstand der alten bürgerlichen Professoren gegen den von der SED-Landesregierung und der Sowjetischen Militär-Administration massiv geförderten Kofler. Nachdem man sich einigte, dass Kofler zuerst für die Geschichtsphilosophie berufen werden solle, wurde er habilitiert und erhielt im März 1948 die Professur mit vollem Lehrauftrag für Geschichtsphilosophie. Ende 1948 erschien dann die „Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft“ und im April 1949 wurde dann sein Lehrauftrag auf die Mittlere und Neue Geschichte erweitert.

Vor dem Hintergrund des weiter oben Dargestellten wird einleuchtend, warum Kofler, in seinen eigenen Worten, „mit größter Begeisterung“ nach Halle gekommen war und sich auch in den ersten, schwierigen Monaten, „außerordentlich wohl“ gefühlt hat, „viel besser als in der Schweiz, wo ich genügend zu essen hatte, während das Leben in Halle zunächst voller Entbehrungen war. Aber ich habe mich sehr wohl gefühlt. Das war für mich die neue Heimat. Ich dachte: Hier hast Du endlich Sozialismus! Mein Traum schien erfüllt.“ Der Autodidakt – Kofler hatte zwar in Wien Vorlesungen der Universität besucht, einen universitären Abschluss hatte er jedoch nicht – war nun dort angelangt, wo sein großer Lehrer Max Adler im „roten Wien“ einst war: er war zum Universitätsprofessor geworden und als marxistischer Theoretiker und sozialistischer Pädagoge öffentlich anerkannt – und dies sogar im Heimatland des klassischen Sozialismus.

Auch die besondere Form und Bedeutung des neuen ostzonalen Bildungs- und Schulungssystems mussten in Kofler heimatliche Gefühle an sein „rotes Wien“ aufkommen lassen. In der Tradition der vorfaschistischen deutschen Arbeiterbewegung wurde im östlichen Nachkriegsdeutschland ein umfassendes und große Teile der Bevölkerung einbeziehendes Netz von Bildungs- und Schulungseinrichtungen errichtet, das starke Ähnlichkeiten zu dem des „roten Wien“ aufwies und selbst im damaligen Ostblock seinesgleichen suchte. Damit verbunden war eine Bildungskonzeption, die über die Ausbildung zum bürgerlichen Forscher-Lehrer hinausging, und die Erziehung zur Wissenschaft immer auch als (im weitesten Sinne des Wortes) parteilichen Erziehungsauftrag verstand. Dieser Typus eines Erzieher-Lehrers, der über den universitären Elfenbeinturm hinaus auf die gesamtgesellschaftliche Erziehung zielte, sollte nach Faschismus und Krieg einen nochmals gesteigerten Stellenwert bekommen. Und Kofler stürzte sich mit großem Engagement gerade auch in diese weit verzweigte Tätigkeit jenseits der Universität – man fand ihn bei Studententreffen und in der Lehrerfortbildung, bei Gewerkschafts- und Parteischulen, im Kulturbund oder bei der Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft.

So spielte der vom Autodidakten zum Professor aufgestiegene Kofler eine doppelte Rolle in der frühen DDR. Zum einen spielte er eine nicht zu unterschätzende Rolle als linker Brückenkopf in der noch konservativ dominierten Universität, das heißt im ideologischen Kampf gegen die vermeintlich bürgerlich-nazistischen Überreste an der Hallenser Universität. Zum anderen spielte er eine ebenso wenig zu unterschätzende Rolle bei der „volksdemokratischen“ Durchdringung der ostdeutschen Zivilgesellschaft und bei der Herausbildung der spezifischen Hallenser Form des Marxismus. Neben der in Halle die parteiliche und staatsphilosophische Richtung angebenden Persönlichkeit von Bernard Koenen waren es vor allem Georg Mende, Heinz Mode und Leo Kofler, die damals als führende Hallenser Parteiideologen galten und auf entsprechenden Veranstaltungen, Tagungen und in der Presse auftraten. Und von den drei zuletzt genannten war es Kofler, der als ranghöchster Propagandist des Hallenser Marxismus auftrat.

Von allen genannten war es schließlich auch Kofler, der aufgrund seiner unorthodoxen und vor allem undogmatischen Art nachweislich zu einer Art Anziehungspol für Studierende und andere werden sollte. Kofler verkörperte das etwas andere marxistische Denken und wurde entsprechend immer beliebter, als im Zuge der Formierung zur „Partei neuen Typs“ immer dogmatischere Tendenzen um sich greifen sollten. Und weil sich der mit der organisationspolitischen Tradition des deutschen Parteikommunismus reichlich unvertraute Österreicher Kofler wie selbstverständlich die Freiheit nahm, auch bürokratische und dogmatische Tendenzen in Universität und Gesellschaft anzuprangern, geriet er zunehmend ins Visier der sich in den Jahren 1948/49 stalinisierenden SED.

Der „Fall Kofler“ und Koflers Flucht

Schon früh ist Kofler mit einflussreichen SED-Funktionären aneinander geraten, ohne dass er die Tragweite solcher Auseinandersetzungen verstanden hat, bzw. abzuschätzen wusste. Schon beim ersten parteioffiziellen Dozentenlehrgang an der Parteihochschule „Karl Marx“ geriet er im Sommer 1948 ausgerechnet mit jenem Kurt Hager aneinander, der gerade seinen steilen Aufstieg zum führenden Wissenschaftsfunktionär der DDR begann. Dort in Kleinmachnow trafen sich damals die intellektuelle Elite der Noch-Nicht-DDR und jene, die dies noch werden wollten/sollten. Und dort polemisierte Kofler gegen Hager, weil ihm dieser vorwarf, dauernd den vermeintlich unmarxistischen Begriff der Totalität im Munde zu führen. Kofler war daraufhin auf sein Zimmer gegangen, hatte Karl Marx‘ Schrift „Zur Kritik der Politischen Ökonomie“ herunter geholt und Hager all die Marxschen Stellen vorgehalten, in denen dieser wie selbstverständlich von Totalität redete. Schon hier haben wir es mit einem Streit zwischen dem undogmatischen „westlichen Marxisten“ und dem dogmatischen Gralshüter der vermeintlich reinen Lehre zu tun – und dieser frühe Affront sollte Kofler eine lebenslange, intime Feindschaft Hagers einbringen.

Noch war jedoch von den möglichen Dimensionen solcher innermarxistischen Querelen wenig zu spüren. Erst mit der zunehmenden stalinistischen Formierung, die im Allgemeinen auf die Zeit zwischen der ersten Parteikonferenz der SED im Januar 1949 und ihrem dritten Parteitag im Juli 1950 datiert wird, bekamen die Vorbehalte gegen Kofler einen systematischeren Charakter. Im Prozess der Stalinisierung, und diese bedeutete nichts anderes als die endgültige soziale, politische und kulturell-ideologische Durchsetzung einer neuen, zumeist aus der Arbeiterschaft sich rekrutierenden Herrschaftsschicht, kam der Erziehung und Schulung der Kader eine zentrale Rolle zu. Gerade hier, auf ideologischem Gebiete, durfte es deswegen keine nonkonformistischen Abweichungen und Freiräume mehr geben – doch gerade dafür stand der Name Leo Koflers.

Kofler begann bald, dies zu spüren und sich zu wehren. Als sein in hoher Auflage vertriebenes Werk „Zur Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft“ bereits nach einem halben Jahr ausverkauft war und eine Neuauflage anstand, nutzte er im Frühjahr 1949 die Möglichkeit der Fehlerrevision dazu, in seine Einleitung Passagen der scharfen Bürokratiekritik gleichsam einzuschmuggeln. Seine dort formulierte scharfe Polemik gegen den „vulgären Mechanismus“ und seine sich proletarisch tarnenden „Naseweisen“, gegen den frühen sozialistischen Bürokratismus also, fiel allerdings mit der innerpolitischen Zuspitzung in der Noch-Nicht-DDR zusammen. Mitte März 1949 war mit Wolfgang Leonhard der erste hohe Parteifunktionär geflohen, der nicht in den bürgerlichen Westen ging, sondern in den realsozialistischen Osten, ins dissidente Jugoslawien. Gerade an der Karl-Marx-Parteihochschule, an der Leonhard bis dahin gearbeitet hatte, und an der es zu den ersten Dissonanzen auch mit Kofler gekommen war, begann nun eine fieberhaft-hysterische Suche nach Fehlern und Feinden. Und damit geriet auch Leo Kofler ins Visier. Ende April bekam er einen offiziellen Brief aus Kleinmachnow, dass auf der bevorstehenden zweiten zentralen Dozententagung im Juni auch über sein Buch „Zur Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft“ kritisch, das heißt „im Sinne der Beschlüsse der Ersten Parteikonferenz für die marxistisch-leninistische Erziehung der Parteimitglieder und für die Reinhaltung und Entwicklung des Marxismus-Leninismus“ diskutiert werden solle, und dass man deswegen damit rechne, dass Kofler „durch eine gute Vorbereitung Deinerseits zu einem fruchtbaren Ergebnis der Diskussion beitragen“ werde.

Was Kofler nicht wusste: Parallel zu diesem Brief wurden fast einhundert Persönlichkeiten aus Philosophie, Naturwissenschaft und Geschichte, aus Politik, Publizistik, Rechtswissenschaft und der Literatur- und Sprachwissenschaft, aus der Pädagogik, der Psychologie und der Kunst- und Musikwissenschaft – buchstäblich die gesamte DDR-Intelligenz – angeschrieben und aufgefordert, dass sie doch bitte bis Ende Mai ein schriftliches Gutachten über Koflers in der Diskussion stehendes Buch schreiben sollen. Der größte Teil der Angeschriebenen nahm sich allerdings die Freiheit, nicht zu antworten. Und keiner der wenigen namhaften Intellektuellen, die der Bitte nachkamen, ließ sich zu einer Verurteilung des Koflerschen Werkes missbrauchen. Stattdessen erschien in der Juni-Ausgabe der zentralen Theorie-Zeitschrift „Einheit“ der erste Beitrag des Rugard Otto Gropp, der mit seiner Kritik, dass Koflers Marxismus wirr und idealistisch sei, die Richtung der offiziellen Kritik Koflers vorgab und diesem empfahl, „zur persönlichen Selbstkritik überzugehen und sich erst einmal bescheiden um das Verständnis des Marxismus zu bemühen, eher er sich zu weiteren Veröffentlichungen entschließt“.

All dies reichte zwar, um auf der Dozententagung heftige Auseinandersetzungen zu verursachen, doch einmal mehr wusste sich Kofler zu wehren und konnte abermals unbehelligt abziehen. Nun ging die schwierige Aufgabe des als revolutionäre Achtsamkeit apostrophierten ideologischen Klassenkampfes endgültig auf R.O. Gropp, Georg Mende und eine Reihe anderer, später berühmt und einflussreich gewordener, junger „Kaderphilosophen“ über, die den ideologischen Kampf um die Reinheit der Partei mit Verve nach Halle trugen und den Sommer und Herbst 1949 dazu nutzten, ein umfangreiches Dossier der Koflerschen Abweichungen und Fehler zusammenzutragen, mit dem der Hallenser „Koflerismus“, von dem man seit Herbst 1949 zu sprechen begann, zu bekämpfen sei.

Noch ein knappes halbes Jahr jedoch konnte sich Kofler in Halle wichtiger Fürsprecher versichern und entsprechend halten. Im Januar 1950 allerdings kam die Wende. Vor dem Publikum der am 14./15.Januar in Berlin abgehaltenen DDR-weiten FDJ-Tagung – Zeichen für die DDR-weite Dimension, die dem „Fall Kofler“ damals zugewiesen wurde – benutzte der Hauptredner Fred Oelssner, seines Zeichens ZK-Mitglied und Ulbricht-Intimus, die Gelegenheit und griff in scharfem Tone ideologische Abweichungen an den ostdeutschen Universitäten an. Vor allem Kofler wurde hier explizit und ausführlich der sowjetfeindlichen Konterbande und des Trotzkismus beschuldigt. Damit war das parteiamtliche Urteil gegen ihn gefällt, und es begannen wilde Wochen in Halle, um den „Fall Kofler“ zu bereinigen. Nachdem er Ende Januar 1950 zuerst für zwei Semester beurlaubt worden war, sollte Kofler noch zum Ende des Semesters demonstrativ und öffentlichkeitswirksam aus der SED ausgeschlossen werden. Als er davon erfuhr, kam er diesem repressiven Ansinnen zuvor und trat – auch dies ein Akt seines bemerkenswert renitenten Nonkonformismus – demonstrativ aus der SED aus. Er zog sich daraufhin aus der Öffentlichkeit zurück, sagte sich von allen Freunden – potentiellen Opfern weiterer Repressalien – los und hoffte weiterhin, nach seiner an sich vorübergehenden Beurlaubung an die Universität zurückkehren zu können. Im Herbst jedoch wurde ihm mitgeteilt, dass er nicht mehr an die Universität zurückkehren könne. Und als er kurz darauf den Hinweis bekam, dass er zur Verhaftung vorgesehen sei, floh er im September Hals über Kopf zuerst nach Westberlin, und ging mit seiner zukünftigen Frau Ursula Wieck zum Jahreswechsel 1950/51 nach Köln.

Was sich im Halle dieser Jahre abspielte und wofür also der „Fall Kofler“ steht, war, zusammenfassend gesagt. nichts weniger als jener „Kampf zweier Linien“ innerhalb der noch jungen SED, der nicht untypisch ist für die Stalinisierungsprozesse kommunistischer Bewegungen und Staaten. Der Fall des Leo Kofler diente als ein wesentliches Mittel der stalinistischen Herrschaftsformierung in Halle und über Halle hinaus (so schrieb bspw. Victor Klemperer am 18. November 1950 in sein Tagebuch: „Keiner wagt es, sich zu einer wissenschaftlichen Frage zu äußern, weil er Angst hat mit der Partei in Konflikt zu kommen. (…) Koflers Schicksal.“) – nicht weil er ein wirklicher Gegner oder gar Feind des neuen Regimes gewesen ist, sondern gerade weil er in der ihm eigenen Mischung aus Loyalität und Nonkonformismus das ideale Feindbild einer, sich im Prozess der auf größtmöglichen Konformismus zielenden Herrschaftsformierung befindlichen, neuen sozialistischen Bürokratie gewesen ist.

Theoretische Verarbeitung seiner praktischen Erfahrungen

Diese immanente Zwangsläufigkeit des Prozesses hat Kofler, auch später noch, nur partiell verstanden, so wie ihm auch die ganze Tragweite seines Falles zeitlebens nicht wirklich klar geworden ist. Nichts desto trotz haben die Hallenser Erfahrungen seinen theoretischen Sinn geprägt und zeitigten nachhaltige Folgen für sein weiteres sozialphilosophisches Werk.

Zurückgeworfen auf den eigenen Schreibtisch seiner Hallenser Wohnung begann Kofler schon zu Beginn des Jahres 1950 mit der Niederschrift eines weiteren marxistischen Grundlagenwerkes. Gedacht als theoretische Verteidigungsschrift gegen seine ostdeutschen Ankläger, die in ihm einen bürgerlichen Idealisten und Trotzkisten sahen, nimmt er in „Geschichte und Dialektik. Zur Methodenlehre der dialektischen Geschichtsbetrachtung“ den Faden seiner Wissenschaft von der Gesellschaft wieder auf. Einmal mehr kommt er hier auf die das Herz des Marxismus bildende Subjekt-Objekt-Dialektik zurück, denn ohne solcherart Dialektik, so Kofler, verkomme die marxistische Theorie zu einem ebenso platten wie vulgären geschichtsdeterministischen Materialismus. Mit seinem Pochen auf der Rolle einer mittels des Bewusstseins und der menschlichen Bewusstseinsbegabung beruhenden Entfaltung menschlicher Handlungsfreiheit reformulierte und vertiefte Kofler die marxistische Theorie in entsprechend praxisphilosophischer Manier. Der praktisch tätige Mensch könne nicht anders gedacht werden, „denn als ein mit Hilfe seines Kopfes tätiger, d.h. also bewusstseinsbegabter Mensch. Die Fähigkeit, durch das Bewusstsein hindurch zu agieren, heißt aber nichts anderes als die Fähigkeit, sich bestimmte Ziele zu setzen und auf die Erreichung dieser Ziele hinzuarbeiten. (…) Die mechanistische Deutung des historischen Materialismus übersieht, dass trotz der Bestimmtheit der Ideologie durch die Ökonomie der historische Gesamtprozess seine Bewegung nicht anders vollziehen kann als mittels der Ideologie, die eben ein wesentliches, zu seiner Gesetzlichkeit selbst gehörendes Moment dieses Prozesses darstellt (wobei es keinen Widerspruch bedeutet gleichzeitig zuzugeben, dass zahlreiche Elemente der Ideologie zufälliger, d.h. in ihrer speziellen Erscheinungsform nicht notwendiger Natur sein können).“

Koflers ursprüngliche Hoffnung, dass seine neue Programmschrift dazu beitragen könnte, ihn innerhalb der DDR zu rehabilitieren, sollte sich natürlich nicht erfüllen. Er musste das noch unveröffentlichte Manuskript bei seiner Flucht in den Westen mitnehmen und viele Jahre warten, bis er es dort endlich veröffentlichen konnte. Veröffentlichen konnte er dort allerdings, in kurzer Folge in den Jahren 1951 und 1952, vier kürzere Broschüren (eine weitere ist unveröffentlicht geblieben), die sich einer systematischen Kritik der stalinistischen Bürokratie widmen.

Koflers dort niedergelegte Stalinismuskritik unterscheidet sich wesentlich von den beiden noch heute vorherrschenden Erklärungsmustern des historischen Stalinismus. Die bürgerliche Stalinismuskritik, die denselben wesentlich auf die marxistische Theorie zurückführt, lehnte Kofler genauso ab, wie jene vermeintlich linken Theorien, die den Stalinismus auf Verbrechen, Personenkult und Exzesse zurückführen, um einen „sozialistischen“ Kern desselben aufrechtzuerhalten. Gegen beide argumentiert er, dass die stalinistische Praxis kein Produkt marxistischer Theorie sei. Vielmehr sei deren Marxismus Ausfluss einer bornierten bürokratischen Praxis, Ausfluss des „engen und geistlosen Praktizismus“ einer bürokratischen Schicht, die ihre Privilegien zu verteidigen suche. Mit seiner kritischen Analyse, dass und wie das stalinistische Denken erstens die Dialektik aus dem Marxismus eliminiere, den historischen Materialismus zweitens auf einen platten, mechanistischen Ökonomismus reduziere und schließlich, drittens, den marxistischen Humanismus „vergesse“, bietet Kofler nicht nur die erste systematisch marxistische Stalinismuskritik in deutscher Sprache, sondern auch eine treffende Ideologiekritik stalinistischen Denkens und Handelns, die den nichtdialektischen, mechanistischen, ökonomistischen und antihumanistischen Gehalt des vulgärmarxistischen Denkens auch unabhängig von der Person Stalins herausarbeitet.

In der unmittelbaren Auseinandersetzung mit seinen Hallenser Erfahrungen vertiefte also Kofler seine praxisphilosophische, humanistische Marx-Lektüre und ergänzte dieselbe um eine marxistisch versierte Ideologiekritik des stalinistischen Marxismus-Leninismus als Produkt einer „entarteten“ revolutionären Elite. So wie er zuvor den einstmals bürgerlichen Humanismus zu einem sozialistischen Humanismus fortgeschrieben hatte, erweiterte er diesen sozialistischen Humanismus nun um die Kritik des undemokratischen und antihumanistischen real existierenden Sozialismus. Das Ergebnis war die geistesgeschichtliche Geburt jenes in den 1950er und 1960er Jahren aufkommenden Sozialistischen Humanismus, als dessen deutscher Pionier der marxistische Solitär Leo Kofler zu gelten hat. Sozialistischer Humanismus als Theorie und Praxis, als historisch identifizierbare, eigenständige Strömung der politischen Ideengeschichte, versteht den Sozialismus als einen umfassenden, radikal-demokratischen Antistalinismus, als Ideologiekritik eines falsch verstandenen, historisch „entarteten“, undemokratischen Avantgardismus. Er versteht und reformuliert, dies zum zweiten, die marxistische Theorie als humanistische Praxisphilosophie, als Theorie menschlichen Handelns. Er reformuliert, drittens, die alte, sozialistische Kritik des frühbürgerlichen Humanismus und erweitert diese um eine Kritik spätbürgerlicher Enthumanisierung und Entfremdung, die auch in diesem Falle darauf hinausläuft, die radikal-demokratischen Traditionen einer allseitigen Entfaltung menschlicher Gattungsqualitäten gegen den zeitgenössischen Ordo- und Neo-Liberalismus zu wenden. Dieser Ansatz wird Ende der 1950er Jahre schließlich, viertens, untermauert durch die Entfaltung eines spezifisch sozialistischen Menschenbildes und die Herausarbeitung der marxistischen Konturen einer philosophischen Anthropologie.

Obwohl es also gerade mal drei Jahre waren, die Leo Kofler in Halle lebte und wirkte, so spielten doch die dort gesammelten Erfahrungen eine entscheidende Rolle bei der ideengeschichtlichen Herausbildung jenes sozialistischen Humanisten, der in den 1950er und 1960er Jahren zu einer wichtigen Brücke zwischen den linken Generationen, zwischen der alten Arbeiterbewegung und der Neuen Linken werden sollte.

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Die Print-Fassung dieses Beitrags erschien in Regina Meyer (Hrsg.): Vorträge über die Anfänge des Philosophischen Seminars nach 1945 (Reihe: Philosophisches Denken in Halle), Halle 2017, S.146-163. Dort findet sich auch der wissenschaftliche Anmerkungsapparat. Ausführlich zum Thema siehe Christoph Jünke: Sozialistisches Strandgut. Leo Kofler – Leben und Werk (1907-1995), Hamburg 2007 sowie ders.: Leo Koflers Philosophie der Praxis. Eine Einführung, Hamburg 2015.

 


[i] In der Tat ist der marxistische Theoretiker gleichsam „von Natur aus“ ein Grenzgänger der universitären Disziplinen. Kein Zufall ist es deswegen, dass sich die akademische Wissenschaft schwer tut, Kofler zu rubrizieren. Dass einige Forscher Kofler im Kontext der Hallenser Soziologie verorten, geschieht mit dem gleichen Recht, mit dem andere ihn im Rahmen der Hallenser Philosophie behandeln. Einzig die deutsche Geschichtswissenschaft, noch immer die staatstragendste der geistesgeschichtlichen Disziplinen, ignoriert den Auch-Historiker aus Prinzip. Auf meine Nachfrage an einen einschlägigen, über marxistische Geschichtskulturen im Kalten Krieg forschenden deutschen Historiker, ob und inwieweit er dabei auch auf Leo Kofler eingehe, bekam ich zur Antwort, dass dieser bei seinem Vorhaben „keine große Rolle“ spiele, „da es mir vor allem um die Entwicklung der westeuropäischen Sozialgeschichtsschreibung im engeren Sinne (als Fachdisziplin) geht“…