Feminismus nach Marx

(Gekürzter Auszug aus Marx und die Folgen, Stuttgart: Metzler 2017)

Folgendes Zitat lädt dazu ein, einen Blick auf Beziehung von Marx zum Feminismus zu werfen: „Der Arbeiter fühlt sich daher erst außer der Arbeit bei sich und in der Arbeit außer sich. Zu Hause ist er, wenn er nicht arbeitet, und wenn er arbeitet, ist er nicht zu Haus. Seine Arbeit ist daher nicht freiwillig, sondern gezwungen, Zwangsarbeit. Sie ist daher nicht die Befriedigung eines Bedürfnisses, sondern sie ist nur ein Mittel, um Bedürfnisse außer ihr zu befriedigen“ (MEW 1844, 514).

Was macht „der“ Arbeiter eigentlich zu Hause? Marx möchte hier keine nostalgisch heile Welt des Familienlebens zeichnen – ihm war bewusst, dass sich Unterdrückung auch nach der Arbeit fortsetzt; etwa dadurch, dass die Freizeit von der Arbeit aufgefressen oder dass die Ausbeutung durch die Kapitalisten auch nach der Arbeit fortgesetzt wird (durch Ausnutzung der geringen Mobilität der Arbeitenden konnten überhöhte Preise genommen werden, etwa in firmeneigenen Geschäften):

„Ist die Ausbeutung des Arbeiters durch den Fabrikanten so weit beendigt, dass er seinen Arbeitslohn bar ausgezahlt erhält, so fallen die andern Teile der Bourgeoisie über ihn her, der Hausbesitzer, der Krämer, der Pfandleiher usw.“ (MEW 4, 469).

Es gibt aber noch eine weitere Dimension, die sich vor allem „zu Haus“ abspielt, in der es um Befriedigung von Bedürfnissen geht und in der es ebenfalls „Zwangsarbeit“ gibt: das Geschlechterverhältnis. Noch schlechter als den männlichen Arbeitern ging es nämlich den weiblichen: Auch sie mussten in vielen Fällen hart arbeiten, aber dazu fiel ihnen die Hausarbeit zu. Die Reproduktion der Arbeitskraft, die sich „zu Haus“ vollzieht, umfasst die Versorgung mit Nahrung, Kleidung etc., daneben Schwangerschaften, Erziehung der Kinder und die emotionale Stützung des Mannes. Dies vollzog sich in vielen Fällen rechtlos: Frauen waren den Männern untergeordnet und wurden als bloße „Mittel“ betrachtet. Aus dieser doppelten Bürde gab es keinen Ausweg: Versuchten Frauen, der Überlastung zu entkommen, indem sie nicht außer Haus arbeiteten (was nur möglich war, wenn ein Lohneinkommen die Familie ernährte), wurde die Abhängigkeit vom Mann nur noch größer – und das Einkommen sank.

Marx wurde zuweilen vorgeworfen, er habe dieses Problem nicht in der nötigen Schärfe benannt. Dabei ist Marx der letzte, der sich für die patriarchalische Familie stark gemacht hätte (jedenfalls nicht in der Theorie). Das Manifest beschreibt schon die Auflösung der Familienstrukturen: Arbeiter litten aufgrund ihrer Armut und Arbeitsbelastung unter einer „erzwungenen Familienlosigkeit“ (MEW 4, 478; vgl. MEW 2, 369ff.); und unter Bürgerlichen herrsche die Heuchelei: „Unsre Bourgeois, nicht zufrieden damit, dass ihnen die Weiber und Töchter ihrer Proletarier zur Verfügung stehen, von der offiziellen Prostitution gar nicht zu sprechen, finden ein Hauptvergnügen darin, ihre Ehefrauen wechselseitig zu verführen“ (MEW 4, 479). Engels (1884) baute diesen Gedanken noch aus: Das bürgerliche Familienideal sei mit dem Kapitalismus verbunden, denn in beiden Fällen sei Privateigentum die Wurzel. Wie das Bürgertum die Arbeiter beherrsche, weil es die Produktionsmittel besitze, so sei die Frau innerhalb der Ehe „Eigentum“ ihres Gatten. Bereits 1879 erschien Die Frau und der Sozialismus von August Bebel, neben Wilhelm Liebknecht damals der wichtigste marxistische Sozialdemokrat. Bebel betonte die Macht der sexuellen Unterdrückung und forderte eine volle Gleichberechtigung der Frauen. Er konnte dafür auf Frühsozialisten wie Charles Fourier (1772-1837) zurückgreifen, dem er ebenfalls ein Buch widmete (verfasst 1874). Der vielseitige Autodidakt Bebel schrieb 1884 übrigens auch ein Buch, in dem er die „mohammedanisch-arabische Kulturperiode“ rehabilitieren wollte; er hatte einen erstaunlichen Blick für das Ausgeschlossene.

Es folgten starke Frauen in der Partei wie Luise Zietz (genannt der „weibliche Bebel“), Clara Zetkin (die 1892 ein Büchlein zur Arbeiterinnen- und Frauenfrage in der Gegenwart publizierte und die Zeitschrift Gleichheit herausgab), Alexandra Kollontai (die erste Ministerin weltweit) oder Rosa Luxemburg, die politisch Erstaunliches erreichten. Bis heute gibt es im Marxismus einen feministischen Zweig und im Feminismus einen marxistischen. Auch im deutschsprachigen Raum gab es einst eine streitbare marxistisch-feministische Diskussion. Man kann dem Marxismus daher keine Blindheit gegenüber diesem Problem vorwerfen. Wenn der Feminismus zuweilen als Absetzung vom Machismus innerhalb linker Bewegungen geschildert wird, hat das erst in zweiter Linie mit Theorien zu tun – in erster Linie ging es um überkommene Rollenmuster und informelle Ausgrenzung von Frauen, die es sowohl bei den 1968ern wie auch in sozialistischen Ländern gab. Hinzu kommt, dass der heutige Feminismus noch andere Wurzeln hat: Es gab neben dem marxistischen einen „bürgerlichen“ oder Mittelschichts-Feminismus, der andere Themen hatte (in der radikalen Frühzeit das Wahlrecht für Frauen, später etwa Fragen der Identität oder sexuellen Ausrichtung) und sich darum ebenfalls von der marxistisch inspirierten Schwesterbewegung distanzierte. Theoretisch gibt es daher bis heute offene Fragen, nicht zuletzt darum, ob und wie es eigentlich Sinn macht, feministische Anliegen mit dem Marxismus zu verbinden.

Vertrackt ist etwa die Frage, wie der Unterdrückung und Ausgrenzung von Frauen eigentlich abzuhelfen wäre. Noch im 20. Jahrhundert haben Frauen vor allem Hausarbeit verrichtet – in Marxschen Begriffen ist das „Reproduktion“: Arbeit für die Wiederherstellung der Arbeitskraft der männlicher Arbeiter (Kochen, Waschen, Unterhaltung etc.) und die Erziehung neuer kleiner Arbeiter. Dieses Versorgermodell war in der Bundesrepublik der 1960er Jahre verbreitet, nicht aber in der DDR oder im Manchesterkapitalismus der 1840er Jahre. Man kann daran entweder kritisieren, dass die Frau von ihrem Mann abhängig ist und deswegen gezwungen ist, sich einen solchen zu suchen (wenn er ihr nicht verordnet wird). Zugleich entgeht ihr die Anerkennung durch die öffentliche Betätigung in der Berufsarbeit, samt allem was damit verbunden ist: Ausbildung, Abwechslung, Bekanntschaften außerhalb des engsten Umfeldes etc. So scheint es der richtige Ausweg zu sein, Frauen ebenfalls in den Beruf zu schicken. Das war die Strategie bei Engels (MEW 21, 157) und Bebel, bei Charlotte Gilman und vielen anderen.

Sie hat allerdings ihre Haken: Zum einen ist die Lohnarbeit aus der Sicht von Marx nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Man führt so die weibliche Hälfte des Proletariats ebenfalls der Ausbeutung und Entfremdung durch die Lohnarbeit zu – eine ambivalente Errungenschaft. Hinzu kommt, dass dies die Löhne sinken lässt: Erstens, weil sich damit das Angebot an Arbeitskräften nahezu verdoppelt (und steigt das Angebot, dann sinkt der Preis). Da der Lohn sich an den Kosten der Reproduktion einer Familie bemisst, in dieser aber nun zwei Partner arbeiten, reicht nun jeweils die Hälfte eines solchen Lohnes aus. Aus der Freiheit, arbeiten gehen zu können, wird irgendwann ein Zwang, arbeiten gehen zu müssen – „Zwangsarbeit“.

Besonders zweifelhaft ist diese formale Gleichberechtigung, wenn im Beruf dennoch Unterschiede gemacht werden: Durch Mutterschaft und Erziehungszeiten fehlen Frauen häufig Dienstjahre, so dass sie niedriger eingestuft werden. Manche Berufe galten lange als Männerdomäne, typische „Frauenberufe“ wie in der Pflege, Erziehung oder Grundschule wurden dagegen schlechter bezahlt (sie waren als Zusatz zum Verdienst des Mannes konzipiert). Machismus und Männernetzwerke sorgen allerorten dafür, dass Frauen weniger Chancen zum Aufstieg haben („Wo man auch hintritt, überall Schlips“, singt Jennifer Rostock). Wenn zu allem Überfluss die heimische Arbeit dennoch an den Frauen hängenbleibt, haben sie eine Dreifachbelastung zu schultern – dieselbe Arbeitszeit wie Männer, dabei aber häufig eine Diskriminierung im Beruf und obendrauf noch die Hausarbeit. Die Emanzipation durch Lohnarbeit hat also einen hohen Preis. Eine „zweite Schicht“ haben auch neuere Feministinnen beklagt (z.B. Arlie Hochschild oder Silvia Federici).

Was aber ist die Alternative? Soll man mit Schiller wieder sagen: „Und drinnen waltet die züchtige Hausfrau, die Mutter der Kinder, und herrschet weise im häuslichen Kreise“? Gerade vor der Folie einer radikalen marxistischen Lohnarbeitskritik tendieren einige Feministinnen tatsächlich in diese Richtung (natürlich nicht so hausbacken wie Schiller): Maria Mies und Vandana Shiva oder Claudia von Werlhof setzen, darin der Umwelt- und Postwachstumsbewegung verwandt, auf Subsistenz, auf Selbstversorgung jenseits der kapitalistischen Vermarktung. Diese Parallelisierung von „Natur“ und „Frau“ hat dem Ökofeminismus die Kritik eingebracht, er würde die Weiblichkeit naturalisieren – das ist aus der Sicht des Poststrukturalismus, der im Feminismus sehr einflussreich war, beinahe noch schlimmer als für Marxisten. Dabei ist hier durchaus etwas Richtiges gesehen: Der Kapitalismus kennt nicht nur den einen Mechanismus der Ausbeutung durch legale Abpressung unbezahlter Mehrarbeit; er kennt auch eine gewaltsame Aneignung ohne jeden Reziprozitätsanspruch. Weibliche Reproduktionsarbeit und Naturprozesse werden vom Kapital auf ähnliche Weise vorausgesetzt, nur werden sie, anders als die Lohnarbeit, überhaupt nicht entschädigt. Zumindest dieser Mechanismus ist bei Naturgütern und häuslicher Reproduktionsarbeit, einerlei von welchem Geschlecht erbracht, ähnlich.

Man muss keine Entscheidung zwischen Verfechterinnen der ‚Hausfrauisierung’ oder der Lohnarbeit für Frauen fällen, denn beide Seiten malen den Kapitalismus rigider, als er ist: Zwar begrüßte es der Kapitalismus lange, dass Frauen die Reproduktionsarbeit der Arbeiter unbezahlt erbrachten. Müssten die Männer diese Leistungen (kochen, waschen etc.) einkaufen, würden die Lebenshaltungskosten und damit die Löhne steigen. Doch das Versorgermodell gehört nicht notwendig zum Kapitalismus. Dieser kann mit Frauen auf dem Arbeitsmarkt ebenso gut leben: Im Prinzip ist es einerlei, wer die Arbeit erbringt, das betrifft das Geschlecht wie die Hautfarbe („Die Arbeiter haben kein Vaterland“, MEW 4, 479). Darin steckt ein Freiheitspotential des Kapitalismus, auf das Liberale gern pochen. Doch je mehr Arbeitswillige, desto niedriger die Löhne. Wenn Hausarbeit trotzdem gratis bleibt, um so besser für die Profite. Aber auch wenn Hausarbeit zunehmend zur Ware wird, ist dies am Ende nur ein Markt mehr – ein Markt für Fertignahrung und teure, taylorisierte Küchengeräte etwa. Das „Internet der Dinge“, ein potenter Zukunftsmarkt (der Kühlschrank gibt online Bestellungen beim Händler auf und stellt den Herd an), dient dieser „Rationalisierung“ der Reproduktionsarbeit. Das lässt mehr Zeit für die Arbeit in der Firma.

Auf die Spitze getrieben, scheinen Frauen also nur die Wahl zu haben, entweder genauso oder schlimmer ausgebeutet zu werden wie die Männer und die Hausarbeit zusätzlich zu schultern, oder sich auf diese zu beschränken, aber sich damit abhängig zu machen und zu ghettoisieren (wie im Film 40 qm Deutschland von 1986 alptraumhaft beschrieben). Zwar würde die Beteiligung der Männer an der Familienarbeit sowie die Etablierung von Lebensformen jenseits von Beruf und Arbeit bereits Abhilfe schaffen; aber das Dilemma ist damit nicht vom Tisch, wie z.B. Cornelia Koppetsch darlegt. Als Zwischenposition wurde daher bereits 1972 von einer italienischen Kampagne „Lohn für Hausarbeit“ vorgeschlagen: Frauen sollen bezahlt werden, aber nicht für Lohn-, sondern für Hausarbeit. Diese provokative These vereint allerdings die Nachteile beider Seiten: Familien- und Liebestätigkeiten werden zur Ware, ohne dass Frauen damit der häuslichen Welt entkommen würden. Doch diese Absurdität war einkalkuliert: Den Frauen ging es eher darum, die Hausarbeit zu problematisieren und unter Frauen „Bewusstsein“ für ihre prekäre Lage zu erzeugen (in den USA in „consciousness-raising-groups“) – eingeklemmt zwischen den Mühlen des Kapitals und der Dominanz durch die eigenen Männer, auch innerhalb der 68er Bewegung.

Solche Aktionen schafften eine „bewusstmachende Kritik“ (Habermas). Erübrigt haben sich solch feministische Kämpfe noch lange nicht (die Vorstände deutscher Unternehmen sind zur Zeit zu 93% männlich, was Kommentare erübrigt). Sie können weiterhin vom Marxschen Erbe zehren. Weitere Berührungspunkte neben dem Thema der Hausarbeit sind etwa die Frage der Kommodifizierung weiblicher Körper durch Prostitution, Pornographie und „Schönheitsindustrie“ oder Biotechnologien. Dort rutscht die Bedeutung von „Reproduktion“ von der Arbeit zurück in die Natur, in die Leiblichkeit. Weibliche Eizellen etwa sind für Forschung und Biotech-Industrie elementare „Rohstoffe“. Das wirft die Eigentumsfrage neu auf sowie die Frage nach dem gesellschaftlichen Naturverhältnis neu auf, die im postmodernen Feminismus im Anschluss an Foucault und Butler jahrzehntelang vermieden worden war, weil man darin lediglich eine verfemte Naturalisierung sozialer Unterschiede sehen wollte. Es ist also kein Wunder, dass es im Feminismus eine Rückkehr zum Materialismus gibt – nicht nur zum szientifischen (Karan Barad etwa orientiert sich an der Physik), sondern auch zu einem, der an Marx anknüpft.


Federici, Silvia: Caliban und die Hexe: Frauen, die Körper und die ursprüngliche Akkumulation. Wien 2012

Cornelia Koppetsch/Sarah Speck: Wenn der Mann kein Ernährer mehr ist - Geschlechterkonflikte in Krisenzeiten, Berlin 2015

Mies, Maria/Shiva, Vandana: Ökofeminismus: Die Befreiung der Frauen, der Natur und unterdrückter Völker. Eine neue Welt wird geboren. Neu-Ulm 2016 (Neuauflage)