„Die ‚Idee‘ blamierte sich immer, soweit sie von dem ‚Interesse‘ unterschieden war“ (MEW 2, 85). Mit diesen Worten beginnen in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts die jungen Karl Marx und Friedrich Engels ihren Feldzug gegen jene frühsozialistischen Denker, die mit moralischen, religiösen oder philosophischen Ideen zum Aufbruch aus dem irdischen Jammertal des Frühkapitalismus aufrufen.
Dabei klären Marx und Engels auch ihr eigenes Denken und schaffen die für ihr Werk originäre methodische Basis. Ideen werden demnach nicht mehr allein aus sich selbst erklärt, sondern in Bezug gesetzt zu den Bedingungen, in denen sie entstehen und zu den Interessen, die sich in ihnen ausdrücken. Das spezifisch Menschliche wird nicht mehr in einem hypothetischen Wesenskern des Menschen gesucht (wie dies teilweise auch der junge Marx noch getan hat), sondern in der Lebenspraxis und in den gesellschaftlichen Beziehungen. Die Vorstellungen, die sich die Menschen von ihrer gesellschaftlichen Lage machen, bleiben überdies im Regelfall in der Lebenswirklichkeit verhaftet und können diese nur beschränkt überschreiten. Das Bewusstsein, auf das die Frühsozialisten und Frühsozialistinnen damals setzten, könne nach Marx/Engels „nie etwas anderes sein als das bewusste Sein, und das Sein der Menschen ist ihr wirklicher Lebensprozess“ (MEW 3, 26). Folglich ist es zunächst erforderlich, den Geheimnissen dieser Lebensprozesse auf den Grund zu gehen, um die Kräfte zu entschlüsseln, die die Menschen an ihre gesellschaftliche Lage binden. Denn allein mit idealen Vorstellungen einer besseren Gesellschaft lassen sich die realen Lebensprozesse nicht aus den Angeln heben.
Deshalb betonen Marx, Engels und die ihnen folgenden MarxistInnen die Geschichtlichkeit sowohl ihres Gegenstandes (der Gesellschaft) wie auch ihrer Erkenntnismethode (der materialistischen Dialektik). Nicht mehr um ein absolut verstandenes Wesen des Menschen und der Dinge soll es gehen, sondern um das historisch Konkrete, das Spezifische und Veränderliche: Um die Erkenntnis der Struktur und der Bewegungsgesetze einer bestimmten menschlichen Gesellschaft, der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft – und dies unter der Maßgabe ihrer so notwendigen wie möglichen Veränderung.
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Diese radikale Hinwendung zum historisch Konkreten, diese Absage an ein spekulatives Philosophieren über die Natur des Menschen und seiner Erkenntnisfähigkeiten war – und ist immer noch – ein herausragender Befreiungsschlag in der Ideengeschichte der Menschheit. Sie ist eng verbunden mit einer ebenso entschiedenen Hinwendung zum guten Leben als Ankerpunkt der politischen Praxis und einer klaren Absage an Jenseitsversprechungen und Gottgefälligkeiten. In diesem Sinne sind Marx und Engels zweifellos radikale Humanisten, gerade weil sie nicht mehr über die Natur des Menschen spekulieren.
Dennoch ist in der weiteren Entwicklung lange Zeit das Kind mit dem Bade ausgeschüttet worden. Der sich wissenschaftlich verstehende und fortan auf das Klasseninteresse der modernen Arbeiterklasse setzende Sozialismus des späten 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts meinte, auf humanistische Argumente verzichten zu können. Statt den Humanismus vom Sockel absoluter Spekulation zu holen und zum kritischen Werkzeug politischer Praxis zu machen, wird er zugunsten von scheinbar unerschütterlichen historischen Gesetzmässigkeiten preisgegeben, eingeschlossen der These vom unvermeidlichen Sieg des Sozialismus. Auch bei Marx und Engels finden sich Aussagen, die eine solche Sicht stützen. In der konsequenten Durchsetzung proletarischer Klasseninteressen sah man nach Marx den Garanten eines sich automatisch erfüllenden „proletarischen“ Humanismus, der mit dem „bürgerlichen“ nichts mehr gemein habe – zumal letzterer allzu häufig kaum mehr sei als die idealistische Verschleierung von Herrschaft und Unterdrückung. Entsprechend durchzieht die Schriften dieser klassischen Sozialismus-Tradition eine in der Regel ironisierende Distanz zum ‚humanistischen Gerede‘.
Dies ändert sich erst in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts, als SozialistInnen und KommunistInnen (wie Victor Serge oder Hendrik de Man, teilweise auch Georg Lukács) erstmals beginnen, einen neuen Humanismus zu theoretisieren und zu propagieren, der nicht mehr als entweder „proletarisch“ oder „bürgerlich“ verstanden wird, sondern beide Traditionen auf einem neuen Niveau zu vereinigen sucht. Der gesellschaftliche und historische Hintergrund dieser ideengeschichtlichen Wandlung war natürlich das parallele Aufkommen des westeuropäischen Faschismus und des osteuropäischen Stalinismus.
Was in den 1930er und 1940er Jahren noch etwas unbeholfen und nur fragmentarisch formuliert wird, ändert sich mit dem Übergang zu den 1950er Jahren markant. Der ‚realsozialistische‘ Ostblock bleibt in herrschaftlichen und ideologischen Zwängen ebenso behaftet wie der sich restaurativ modernisierende Westen. Der Kalte Krieg ermöglicht es beiden Seiten, diese Fixierungen massiv zu verstärken. Nonkonformistische Sozialisten und Kommunisten in Ost wie West müssen nach neuen, „dritten“ Wegen suchen, und sie beginnen nun, über einen explizit sozialistischen Humanismus zu reden und zu diskutieren. Manabendra Nath Roy in Indien, Jean-Paul Sartre und Henri Lefebvre in Frankreich, Leo Kofler und Ernst Bloch in Deutschland, Raya Dunayevskaya und Erich Fromm in den USA, E.P. Thompson und John Saville in Großbritannien, Leszek Kolakowski und Adam Schaff in Polen, Karel Kosik in der Tschechoslowakei, die jugoslawische Praxis-Gruppe um Predrag Vranicki und Gajo Petrovic, die Budapester Schule um Agnes Heller und György Markus – sie alle stehen für den sozialistischen Humanismus als einer eigenständigen, historisch und theoretisch identifizierbaren Strömung der politischen Ideengeschichte. Der sozialistische Humanismus wird dabei zu einer Art Codewort für jene praktischen wie theoretischen Herausforderungen, vor denen sozialistische und kommunistische Bewegungen in den 1950er Jahren stehen: die blockierte Entstalinisierung der kommunistischen Bewegung auf der einen und die Preisgabe der sozialistischen Theorie und Praxis durch die internationale Sozialdemokratie auf der anderen Seite.
Dieser sozialistische Humanismus hat zwar keine in sich konsistente, einheitliche Fassung erlangt: zu heterogen – politisch, sozial, geographisch – waren die vielfältigen Bewegungen von ReformkommunistInnen, LinkssozialistInnen und NonkonformistInnen, zu instabil die Gemengelage der vorherrschenden Verhältnisse, und zu unbestimmt die jeweiligen politischen Konsequenzen, die man aus dem eigenen Humanismus zu ziehen versuchte. Dennoch lassen sich vier zentrale Charakteristika bestimmen, die im sozialistischen Humanismus eine gleichwertig miteinander verbundene, dynamische Einheit bilden. Der Sozialistische Humanismus kombiniert (1) einen radikaldemokratischen Antistalinismus mit einer (2) stärkeren Herausarbeitung menschlicher Handlungsfreiheit innerhalb der marxistischen Gesellschaftstheorie (‚humanistische Praxisphilosophie‘). Die historisch und theoretisch fundierte Kritik am bürgerlichen Humanismus (als besitzbürgerlichem Individualismus) wird (3) neu formuliert und in den Zusammenhang mit „spätbürgerlicher“ Entfremdung und Verdinglichung gestellt; statt sich des Humanismus zu entledigen, wird daraus der Erbanspruch eines sozialistischen Humanismus abgeleitet. Schliesslich wird (4) einem solchen sozialistischen Humanismus anthropologisch ein Fundament gegeben.
Es ist vor allem die Arbeit an einer philosophischen Anthropologie, mit der die meisten dieser VordenkerInnen ringen (neben den schon genannten auch Autoren wie Herbert Marcuse und Isaac Deutscher, Peter Brückner und Wolfgang Abendroth, Che Guevara und Franz Fanon u.a.). Sie unternehmen es, die Erkenntnis einer Notwendigkeit anthropologischen Denkens mit einer grundsätzlichen Ablehnung jedes Biologismus und Naturalismus in Einklang zu bringen, also der Ablehnung einer unverrückbaren „Natur des Menschen“ außerhalb der konkreten, historischen Realität menschlichen Existenz. Das entspricht auch einer brennenden politischen Notwendigkeit: Eben noch hat die bürgerliche Anthropologie mit solchen Konzepten Ausbeutung, Kolonialismus, soziale Unterdrückung und die „Ausrottung volksfremder Elemente“ gerechtfertigt – und diese Wunden eines offenen Rassismus sind noch ganz frisch.
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Es ist der mehrfache Grenzgänger Leo Kofler (1907-1995), der in den 1950er und 1960er Jahren den umfassendsten und systematischsten Versuch unternimmt, eine marxistische Anthropologie zu entwerfen. Hatten die meisten MarxistInnen bestimmte Marx-Passagen unkritisch übernommen und so den Menschen wesentlich durch seine praktische Tätigkeit, durch seine Arbeit bestimmt, so korrigiert Kofler diesen Ansatz: Er betont dass Arbeit/Tätigkeit unaufhebbar mit Bewusstsein verbunden sei und auch einen im Begehren wurzelnden spielerischen Aspekt aufweise. Die praktischen Lebensprozesse müssen im dialektischen Wechselspiel von Sein und Bewusstsein verstanden werden. Der praktisch tätige Mensch sei, so Kofler, ein bewusstseinsbegabter, mit Hilfe seines Kopfes tätiger und immer auch spielerisch seine immanenten Möglichkeiten anstrebender Mensch.
Koflers philosophische Anthropologie unterscheidet sich von jenen sozialwissenschaftlichen Theorien, die den Menschen auf die ihn umgebenden und begleitenden Naturbedingungen reduzieren, ist also unvereinbar mit Naturalismus oder Biologismus. Auch dessen Gegenpol, der Kulturalismus (also der Auffassung, dass der Mensch ausschliesslich durch seine Kultur definiert werde, durch das, was er aus sich selbst mache) wird von seinem Ansatz überschritten. Für Kofler wird das anthropologische Wesen des Menschen durch die unveränderlichen Voraussetzungen menschlicher Veränderlichkeit erfasst, weswegen er von einer „Wissenschaft von den unveränderlichen Voraussetzungen menschlicher Veränderlichkeit“ spricht. Und er betont, dass erst diese anthropologischen Voraussetzungen die menschliche Geschichte formal ermöglichen, ohne sie dadurch bereits inhaltlich zu bestimmen. Vier Jahrzehnte später fasst der marxistische Kulturtheoretiker Terry Eagleton (ohne jede Kenntnis des Koflerschen Werkes) dieselben Überlegungen in andere Worte, wenn er betont, dass wir Menschen „kulturelle Wesen aufgrund unserer Natur sind, das heißt aufgrund der Beschaffenheit unserer Körper und der Beschaffenheit der Welt, zu der sie gehören“. Menschen stehen gleichsam zwischen Natur und Kultur, und die menschliche Natur (Eagleton: „gemeinschaftlich, somatisch gegründet und kulturell vermittelt“) werde durch die menschliche Kultur verändert, nicht aber beseitigt.
Das anthropologische Wesen des Menschen beschreibt also lediglich die Voraussetzungen des historisch-konkreten Menschen, der veränderlich ist im historischen Raum. Dieser historisch-konkrete Mensch ist das „was er denkt, fühlt, weiß, erkennt und erfährt, kurz was er mittels seines historisch geprägten Bewusstseins geworden ist“ (Kofler). Weil eine marxistische Anthropologie demnach das Geschichtliche des Menschen, das historisch Veränderbare und sich Verändernde, nicht zu fassen vermag und dies auch nicht beabsichtigt, ist sie gerade keine Geschichtstheorie und bietet auch keine ausreichende Anleitung zum Handeln. Als Metatheorie, sozusagen als Hilfswissenschaft, liefert sie jedoch einen unverzichtbaren Maßstab zur Kritik des Bestehenden und seiner Legitimationsideologien: Mit welchem Recht zum Beispiel lehnen wir Folter und Gewalt ab? Warum soll die Idee der kollektiven Selbstverwirklichung und einer herrschafts- und klassenlosen Gesellschaft höheren moralischen Geltungswert haben als real existierende Klassengesellschaften, also als die Herrschaft des Menschen über den Menschen? Ohne einen emanzipatorischen Humanismus kommen wir hier nicht weiter. Als Metatheorie liefert er uns zudem einen politisch-ethischen Maßstab für die Formen emanzipativer Politik selbst: Auf dem Wege zum Ziel menschlicher Emanzipation sind nicht alle Mittel erlaubt, wenn man das emanzipative Ziel nicht, wie im 20. Jahrhundert geschehen, aus den Augen verlieren will.
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Der emanzipatorische Humanismus schafft auch einen unverbrüchlichen Bezug zur Frage, wer denn das Subjekt der Emanzipation ist. „Die Befreiung der Arbeiterklasse muss das Werk der Arbeiterklasse selbst sein“, schreiben Marx und Engels (MEW 19, 165). Und dieses Werk findet seine Wurzeln in den immer wiederkehrenden Revolten der Menschen gegen Unterdrückung und Erniedrigung, von denen die Geschichte seit ihren Anfängen durchzogen wird. Wäre der Mensch nur das Produkt der gesellschaftlichen Umstände (Kulturalismus), dann könnte der Antrieb zur Revolte durch eine geeignete Herrschaftskultur zum Verschwinden gebracht werden. Da dies nicht so ist, muss die Neigung zur Revolte gegen Unterdrückung und Erniedrigung geradezu anthropologisch verankert sein. Andererseits braucht es historisch gewachsene Verhältnisse, die einen nachhaltigen Erfolg der Revolte erst möglich machen, aus der Revolte also eine echte Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse entstehen lassen. Dazu gehören insbesondere ein ausreichendes Niveau der Produktivität und der gesellschaftlichen Arbeitsteilung. Schliesslich: Die Erwartung, aus der Revolte erwachse ein naturwüchsiger Kompass im Hinblick auf eine neue und bessere Gesellschaftsordnung, bleibt gewagte Spekulation. Erwiesen hat sich, dass sich unter bestimmten Umständen die Wirkungen ins pure Gegenteil der Absichten verkehren (Stalinismus). Ein sozialistischer Humanismus ist deshalb eine unerlässliche Orientierungshilfe.
Der in den 1950ern und 1960er Jahren ideengeschichtlich machtvolle sozialistische Humanismus hat versucht, historische und politisch-theoretische Konsequenzen aus der Geschichte der sozialistischen Linken zu ziehen. Doch hat er sich nicht durchgesetzt. Das überschießende Bewusstsein des neuen, mit der Revolte von „1968“ aufkommenden linken Radikalismus hielt sich nicht lange auf mit Fragen der Anthropologie oder des Humanismus. Die Dialektik von Kultur und Natur wurde auf Fragen der Kultur und Kulturtheorie reduziert, und es begann der intellektuelle Siegeszug des Struktur-Marxisten Louis Althusser, der im Humanismus einzig eine Ideologie zu erkennen vermag und der den Bruch mit jeder philosophischen Anthropologie und jedem philosophischen Humanismus zum zentralen Wesenszug des marxistischen Denkens erklärt. Der strukturale Marxismus der 1960er und 1970er Jahre stilisierte sich selbst zu einem explizit theoretischen Antihumanismus. Kritische Entgegnungen wie diejenige von Norman Geras, der zu Beginn der 1980er Jahre die antihumanistische Legende schlüssig entzauberte hat, konnten sich nicht ausreichend Gehör verschaffen. Erst der Aufstieg des Neoliberalismus verändert abermals den Blickwinkel. Als hegemoniale Ideologie zieht die neoliberale Weltsicht einen Gutteil seiner intellektuellen Kraft aus einem weitgehend verinnerlichten Menschenbild, dem man konsequent nur begegnen kann, wenn man über einen konsistent entwickelten Humanismus verfügt. Hier das neoliberale Leitbild vom flexiblen, mobilen, universell verfügbaren und allzeit bereiten Individuum als Ich-AG und Einzelkämpfer oder Einzelkämpferin, der oder die seine individuellen Ressourcen im Wettlauf der Warenförmigkeit gegen andere mobilisiert, und der oder die sich selbst die Nächste ist und alles den Imperativen der Marktkonkurrenz und der Profitakkumulation unterwirft. Dort der Mensch, der ein kollektives, ein immer schon vergesellschaftetes und aufeinander strukturell bezogenes Wesen ist, ein Gattungswesen, das sich nur in der Gemeinschaft und nur durch die Gemeinschaft erfolgreich „vereinzeln“ kann. „In gewisser Weise“ schrieb der vermeintlich antihumanistische Karl Marx im Kapital, den Faden seiner humanistischen Frühwerke wieder aufnehmend, „geht‘s dem Menschen wie der Ware. Da er weder mit einem Spiegel auf die Welt kommt, noch als Fichtescher Philosoph: Ich bin ich, bespiegelt sich der Mensch zuerst in einem andren Menschen. Erst durch die Beziehung auf den Menschen Paul als seinesgleichen, bezieht sich der Mensch Peter auf sich selbst als Mensch. Damit gilt ihm aber auch der Paul mit Haut und Haaren, mit seiner paulinischen Leiblichkeit, als Erscheinungsform des Genus Mensch.“ (MEW 23, 67) Entsprechend bemühen sich einige ZeitgenossInnen – wie der Soziologe Hartmut Rosa – darum, auch eine neue Begrifflichkeit zu entwickeln, mit der die Beziehungsqualitäten zwischen Menschen sowohl anthropologisch wie auch historisch-gesellschaftlich entschlüsselt werden können. Im Falle von Rosa kreist dies um den Begriff der Resonanz. In der Resonanz antwortet die „Welt“ auf Lebensimpulse, statt sie zu ignorieren oder rundweg abzulehnen. Ausreichende Resonanzerfahrungen sind grundlegend für ein gelingendes Leben. Für Rosa ist damit auch ein tragfähiger Gegenbegriff zur Entfremdung gefunden.
Zur Entfaltung seiner individuellen und Gattungsmöglichkeiten ist der Mensch (als individueller wie als kollektiver, als anthropologischer wie als gesellschaftlicher) angewiesen auf Formen kollektiver Solidarität– zumal wenn er jene realhistorischen (und von Menschen gemachten) Probleme in Angriff nehmen möchte, die nicht nur Millionen von Menschen tagtäglich in Verelendung und Tod treiben, sondern das Überleben der Gattung selbst in Frage stellen. Und betrachtet man den Marxismus nicht als Dogmengeschichte, sondern als Problem- und Entwicklungsgeschichte, so wird es zur Selbstverständlichkeit, die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts und ihre emanzipativen Verarbeitungsformen aufzuarbeiten und einzubeziehen. Die Frage nach einem sozialistischen Humanismus gehört ohne Zweifel dazu.
Zum Weiterlesen:
Denknetz: 18 Thesen für eine starke Demokratie. 2016. Online unter http://www.reclaim-democracy.org/wp-content/uploads/2016/12/18_Th_Dem.pdf
Terry Eagleton: Was ist Kultur? Eine Einführung, München 2001
Terry Eagleton: After Theory, London 2004
Erich Fromm: Das Menschenbild bei Marx, Frankfurt/Main 1963 (mehrere Ausgaben)
Norman Geras: Marx and Human Nature. Refutation of a Legend (1983), London 2017
Christoph Jünke: Leo Koflers Philosophie der Praxis. Eine Einführung, Hamburg 2015
Leo Kofler: Perspektiven des revolutionären Humanismus (1967), Köln 2007
Beat Ringger: Maßt euch an! Auf dem Weg zu einem offenen Sozialismus, Hamburg 2011
Hartmut Rosa: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, Berlin 2016
Erstveröffentlichung dieses Beitrages in dem von Cédric Wermuth und Beat Ringger herausgegebenen Sammelband: MarxnoMarx. 33 Linke zur Frage, wie das Werk von Marx heute wieder fruchtbar gemacht werden kann, Zürich (Edition 8) 2018, siehe auch http://www.denknetz.ch/marxnomarx/