Michael Roberts – A review of Marx’s economics 200 years after his birth

Nach „The Great Recession – a Marxist view“ (2009), „The Long Depression“ (2016) und zahlreichen Artikeln und Buchkapiteln von Michael Roberts durfte die Erwartung an „Marx 200 – a review of Marx’s economics 200 years after his birth“ hoch sein. Es ist wahrlich faszinierend, wie Roberts es vermag, auf nicht einmal 180 Seiten mit Fotos, graphischen und literarischen Illustrationen einerseits Entscheidendes zu Marx und seinem Schaffen in ihrer Zeitbezogenheit vorzustellen. Und wie er andererseits auf hohem theoretischem Niveau in populärer Sprache sowohl Grundzüge von Marx‘ Wert-, Akkumulations-, Profit- und Krisentheorie erklärt als auch ihre Entstehungs- und Publikationsgeschichte sowie die ideologische und wissenschaftliche Diskussion reflektiert. Roberts argumentiert stark empirisch gestützt und demonstriert, wie ein kritischer Umgang mit der Marxschen politischen Ökonomie hilft, den heutigen gesellschaftlichen Alltag besser zu verstehen und sich sozialistisch zu orientieren. Viele gut ausgewählte Zitate laden zu weitergehender Lektüre ein, vor allem von Marx’ Texten. Linker Mensch kann sich also nur wünschen, dass Roberts Publikation Verbreitung findet und die Debatte befördert.

In  seiner sozialistischen Kritik der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer kapitalistischen Produktionsweise fokussiert Roberts auf die Ausbeutung von Menschen, vor allem der Lohnarbeitenden, auf die Zerstörung ihrer sozialen und natürlichen Lebensbedingungen, auf ihre Gegenwehr und ihr Ringen um gesellschaftliche Alternativen. Dafür diskutiert er Marx’ Wert-, Akkumulations- und Profitabilitätsgesetze als miteinander verbundene und Krisen bedingende ökonomische Gesetze von entscheidender Wichtigkeit (S. 16). Zugleich warnt er vor einer mechanistischen Interpretation: Die Gesetze begründen keine zwangsläufige sozialistische Revolution (S. 18). Roberts legt zunächst knapp dar: Im System warenproduzierender gesellschaftlicher Arbeitsteilung schafft abstrakte Arbeit Wert. Beim kapitalistischen Privateigentum an Produktionsmitteln herrschen in diesem System Konkurrenz und Anarchie, die Krisenmomente forcieren. Die dem Preis zugrunde liegende Wertgröße wird durch das Quantum abstrakter Arbeit bestimmt, das unter den gesellschaftlichen Durchschnittsbedingungen zur Reproduktion der Ware erforderlich ist. Die Waren tauschen sich tendenziell nach ihren Werten bzw. Produktionspreisen aus. Die Besonderheit der Ware Arbeitskraft besteht in ihrem Vermögen, Mehrwert zu produzieren. Wie viel konkrete Gebrauchswerte als Träger von Wert und vor allem von Mehrwert sie in einer Zeiteinheit schafft und wieviel tote Arbeit sie dabei in Form von Produktionsmitteln in Bewegung setzt, hängt vom Stand der Produktivkräfte ab. Dieser zeigt sich weiter in dem Tempo, in dem Mehrwert produziert wird. Dabei findet Konzentration und Zentralisierung von Kapital statt, das vielfach brach liegt und eine relative Überbevölkerung bewirkt. Der Fortschritt der Produktivkräfte drückt sich des Weiteren in der steigenden organischen Zusammensetzung des Kapitals und im tendenziellen Fall der gesellschaftlichen Durchschnittsprofirate aus – weil die organische Zusammensetzung schneller als der von den Lohnarbeitenden geschaffene Mehrwert wächst (S. 27-42). Roberts u.a. haben das für Großbritannien untersucht und gezeigt: von 1946-1975 ist die Profitrate gefallen, von 1975-1997 ist sie gestiegen und im Gesamtzeitraum 1946-2008 letztendlich gefallen (S. 45). Die Analyse hat ferner gezeigt, dass die von Marx als Gegentendenzen zum Fall der Profitrate diskutierten Faktoren – Steigerung der Arbeitsintensität, relative Verbilligung der Bestandteile des konstanten Kapitals, Löhne unter dem Wert der Arbeitskraft, relative Überbevölkerung und Verbilligung der Lebens- und Konsumtionsmittel – sich zyklisch bewegen. Allerdings wären zwei Anmerkungen zu Roberts Ausführungen wichtig: Marx hat in seinen unvollendet gebliebenen Arbeiten zum dritten „Kapital“-Band das Aktienkapital bzw. die Aktiengesellschaften auch als eine Gegentendenz zum Fall der Profirate behandelt. Nach ihrer historischen Durchsetzung im Zuge der so genannten ursprünglichen Akkumulation wurde die kapitalistische Produktionsweise relevant modifiziert[i]. Gramsci, der im Gefängnis nicht auf die vorhandenen Marx-Werke zurückgreifen und schon gar nicht die erst später zugänglich gemachten Marx-Manuskripte nutzen konnte, hat eine berechtigte Frage aufgeworfen: Warum hat Marx, nachdem er mehrfach erklärt hatte, dass sich ökonomische Gesetze immer als Tendenz durchsetzen, beim tendenziellen Fall der Profitrate von zwei Tendenzen gesprochen? Vielleicht handelt es sich um eine Prozesshaftigkeit, in der zwei Gesetze gemeinsam und doch widerstreitend wirken, wobei letztendlich ein Gesetz dominiert. Weil beim Streben nach Profitmaximierung und in der Konkurrenz die technische Entwicklung vorangetrieben wird, die sich wiederum tendenziell in einer steigenden organischen Zusammensetzung des Kapitals niederschlägt und damit auf die Profitrate drückt, werden die Mehrwertsteigerung und die Ausbeutung der Arbeitskräfte doppelt forciert. Das kann verschiedene Konsequenzen für die politischen Wirkungsbedingungen der emanzipativ-solidarischen Akteure haben. Gramsci resümiert: „Der Hinweis auf die Bedeutung, die ‚tendenziell‘ bezogen auf das Gesetz vom Fall des Profites haben soll, ist zu entwickeln. Offensichtlich kann sich in diesem Fall die Tendenzhaftigkeit nicht nur auf die in der Realität entgegenwirkenden Kräfte beziehen, jedesmal wenn man von dieser einige isolierte Elemente abstrahiert, um eine logische Hypothese zu konstruieren. Da das Gesetz der im Widerspruch zu einem anderen Gesetz stehende Aspekt ist, desjenigen des relativen Mehrwerts, das die molekulare Ausdehnung des Fabriksystems und also die Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise selbst bewirkt, kann es sich nicht um solche entgegenwirkenden Kräfte handeln, wie bei den üblichen ökonomischen Hypothesen (…) Die Bedeutung von ‚tendenziell‘ scheint daher realer ‚geschichtlicher‘ und nicht methodologischer Art sein zu müssen: der Terminus dient gerade zur Bezeichnung dieses dialektischen Prozesses, durch den der molekulare progressive Schub zu einem in der gesellschaftlichen Gesamtheit tendenziell katastrophalen Resultat führt, einem Resultat, von dem weitere einzelne progressive Schübe ausgehen in einem fortwährenden Aufhebungsprozess, der sich aber nicht als unendlich vorhersehen lässt, auch wenn er sich in eine sehr große Anzahl von Zwischenphasen unterschiedlichen Ausmaßes und unterschiedlicher Bedeutung auseinanderlegt.“[ii] Schon gar nicht folge aus dem Gesetz von der tendenziell fallenden Profitrate „das automatische und unmittelbar bevorstehende Ende der kapitalistischen Gesellschaft“.[iii]

***

M.E. kann man Marx und Gramsci dahingehend interpretieren, dass das Agieren der Kapitaleliten, um Profitmaximierung und Konkurrenzgewinne zu realisieren, die langfristige bzw. dauerhafte Profitmaximierung und Konkurrenzfähigkeit untergräbt: Es zerstört die Arbeitskräfte und natürlichen Lebensbedingungen, provoziert einerseits neue Konkurrenz und andererseits gesellschaftliche Gegenkräfte wider Konkurrenz, Menschen- und Naturzerstörung. Das bedeutet u.a., dass der Repräsentant des Kapitals zwischen seinem Kurzzeit- und Langzeitinteresse vermitteln muss, zwischen der momentanen Maximierung von Mehrwert- bzw. Profitmasse und den Faktoren, die der langfristigen, dauerhaften Aufrechterhaltung bzw. Verbesserung der Kapitalverwertungsbedingungen entsprechen. Die Kapitaleliten werden daher bestrebt sein, die Lohnabhängigen immer raffinierter und komplexer an das Kapital zu binden. Dabei wird die tendenzielle Dominanz des Kurzzeitinteresses im Konkurrenzkampf weiter gestärkt. In diese Richtung könnte Roberts also seine Argumentation fortführen.

Roberts diskutiert ferner eine zyklische Bewegung der Profitrate und der Aktienkurse, Investitionsentscheidungen und verschiedene Modelle von Businesszyklen, wobei er immer wieder auf Anarchie, zyklische Krisen und den tendenziellen Fall der Profitrate fokussiert (S. 51-66). Besondere Unterstützung verdient Roberts‘ stringente Kritik der bürgerlichen Angriffe auf Marx, wie etwa die von Samuelson, welche die Marx‘sche Arbeitswerttheorie bekämpfen, und damit Marx‘ Erklärung der Ausbeutung der Lohnarbeitenden im gesellschaftlichen Arbeitsprozess (primäre Ausbeutung). Und folgerichtig kritisiert Roberts auch Keynes und Piketty dafür, dass sie dieses Problem einfach beiseiteschieben (S. 66-101). Die These vom Primat der Rentabilitäts- bzw. Profiterwartungen der Kapitalisten und Manager bei Investitionsentscheidungen ausbauend, polemisiert Roberts gemeinsam mit Tapia und Carchedi gegen das Konzept des Multiplikators von Keynes‘ und seinen Anhängern. Die drei Ökonomen meinen, dass Profiterwartungen anstatt angenommener Wachstums- und Beschäftigungserwartungen die staatlichen Investitionsentscheidungen bestimmen. Ihrer Ansicht nach wären die staatlichen Investitionen auch nicht der primäre Ausweg aus der zyklischen Krise. Die Wissenschaftler haben empirisch nachgewiesen, dass die Steigerung der Profite und der Profiraten den Krisenzyklus beenden. Sie zeigen weiter, dass die Staatsausgaben letztendlich weder neue wirtschaftliche Einbrüche und langfristig den Fall der Profitrate verhindert haben noch die Wirtschaft tatsächlich relevant angekurbelt hätten. Ihre Zahlen und Argumente können überzeugen, ebenso ihre Kritik der Hoffnungen von Corbyn und Mc Donnell auf die wirtschaftspolitische Hilfe der Keynesianer (S. 104-107). Dies weiter begründend wendet sich Roberts ausführlicher Keynes‘ Suche nach einem dritten Weg zwischen Anarchie und Planung bzw. Anarchie und „linken“ und rechten Totalitarismus zu. Er zeigt, wie Keynes in seiner theoretischen Auseinandersetzung mit Hayek und allgemein mit der Gesellschaft zunehmend konservativ wurde (108-112). Ferner erklärt Roberts, wie der Außenhandel und die Auslandsinvestitionen dem tendenziellen Fall der Profitrate entgegenwirken können, und fasst entsprechende Einsichten von Lenin und Grossman in mathematische Ausdrücke. „Globalisierung ist … ein Produkt zur Steigerung der Profitabilität (bzw. Kapitalrentabilität, ausgedrückt in der Profitrate – J.D.) nachdem diese in den kapitalistischen Hauptökonomien von Mitte der 1960er s in den frühen 1980iger Jahre relevant zurückgegangen war.“ (S. 120). Roberts macht drei große Depressionen aus und betont, dass diese verhängnisvolle politische Entwicklungen begünstigt haben: Ende des 19. Jahrhunderts, als koloniale Bestrebungen wuchsen, 1929ff, als sich die Kriegstreiber vor allem in Deutschland formierten, und 2008ff, als die Rivalitäten unter den Kapitaleliten, global Playern und Regionalmächten zunahmen. Darüber hinaus spricht Roberts von drei Internationalisierungswellen: die erste von 1860 bis zum Ersten Weltkrieg, die wesentlich über Kolonialpolitik bewirkt wurde; die zweite, die nach dem Zweiten Weltkrieg über die Bretton-Woods-Institutionen hochrelevant forciert wurde; und die dritte, die seit Mitte der 80er Jahre über Kapitaleigentumsveränderungen fortgeschritten ist (S. 121-125). So ist laut McKinsey von 1990 bis 2006 der Anteil der Auslandsvermögen an den globalen Gesamtvermögen von 9 auf 26 Prozent gestiegen. Der Anteil des Auslandseigentums an den Konzernbonds wuchs von 7 auf 21 Prozent und an den Staatsbonds von 11 auf 31 Prozent (S. 124). Eine neue Globalisierungswelle ist nach Roberts möglich, zumal mit China ein neuer globaler Player agiert. Seit 2008 sind zunehmende internationale Spannungen festzustellen, und die Militärausgaben schnellen in die Höhe (S. 126-130).

***

Der „Imperialismus“ hat nach Roberts „zwei Achillessehnen“: die sinkende Kapitalrentabilität und das Weltproletariat, während die kapitalistische Produktionsweise droht, den Planeten zu vernichten (S. 130). Der Ressourcenverbrauch und die Verschmutzung der natürlichen Lebensbedingungen, besonders der Luft, drohen die Ökosysteme kollabieren zu lassen. Wenn in diesem Kontext immer wieder China als größtes Problem genannt wird, ist das nach Roberts nur zum Teil richtig. Auch wenn der chinesische Anteil an den Kohlendioxyd-Emissionen 2009 24 Prozent (USA 17 und die Eurozone 8 Prozent) betrug, entsprechen die chinesischen Kohlendioxyd-Emissionen, pro Einwohner/in betrachtet, einem Drittel bzw. weniger als vier Fünftel der Vergleichswerte für die USA und die Eurozone (S.132). Werden weiter die geschätzten Netto-Arbeitsplatzverluste von ca. fünf Millionen Stellen in den 15 führenden Ökonomien über die nächsten fünf Jahre und die bereits erwähnten anwachsenden bzw. erwartbaren internationalen Spannungen in den Blick genommen, werden die Gefahren einer gewaltsamen Eskalation deutlich (S.130-140). Das drängt Roberts, die Frage nach den emanzipativ-solidarischen Akteuren und gesellschaftlichen Alternativen noch eindringlicher zu stellen und zu diskutieren. Damit ist selbstverständlich auch und insbesondere die Frage nach dem politischen Agieren der Lohnabhängigen und der Arbeiterklasse gestellt. Aber mit Roberts auf einen Zusammenhang zwischen tendenziell sinkender Profitabilität und wachsender Intensität von Klassenkämpfen zu hoffen (S. 143), wirkt angesichts der aktuellen Situation wenig überzeugend. Allerdings ist es durchaus eine Herausforderung für die Linke, Kämpfe um existenzsichernde, ökologisch verantwortbare und daher sinnvolle Arbeit zu organisieren, mit anderen emanzipativen Kämpfen zu verbinden und im Ringen um gesellschaftliche Alternativen zusammenzuführen. Dafür ist die Frage nach alternativen solidarischen Lebensweisen zentral. Zentral ist auch, ob und wie es gelingen kann, die mehrheitlich eher nicht an ökologischem Umbau interessierten Arbeiterinnen und Arbeiter dazu zu gewinnen, ihn nicht zu blockieren. Schließlich gelingt eine sozialökologische Transformation nicht gegen die Lohnabhängigen. Die für diese Problematik sensibilisierten Linken sollten nicht zuletzt in Michael Roberts‘ Büchlein Anregungen für ihr Denken und praktisches Handeln, für ihre Theorie- und Strategiearbeit finden. Wem die Lektüre gefällt, kann sich bereits auf „World in Crisis: Marxist Perspectives on Crash & Crisis“ freuen, das derselbe Autor zusammen mit Gugliemo Carchedi im Oktober 2018 veröffentlicht.        

 

Michael Roberts, Marx 200 – a review of Marx’s economics 200 years after his birth, Published and printed by Lulu.com, Printed in London, UK 2018, ISBN: 978-0-244-07625-2, 175 Seiten

 

 


[i] Marx, K. [1863/67] (1992): Zur Kritik der politischen Ökonomie, Manuskript 1863-67, „Das Kapital“ und Vorarbeiten, MEGA, Band 4, Teil 2, Berlin: Dietz Verlag, 336.

[ii] Gramsci, A. [1932-1935](2012): Gefängnishefte 10 (Bd. 6) Hamburg: Argument/InkriT, 1293.

[iii] Ebenda.