Mit solchen Freunden braucht man keine Feinde

Marx Graffiti in Berlin
Marx Graffiti in Berlin Foto: Haberecht-Marx Graffiti in Berlin. Rosa-Luxemburg-Stiftung CC BY-SA

Seien es die Jubiläen, sei es der Film „Der junge Karl Marx“: Marx ist wieder in und in den Zeitungen wird über ihn geschrieben. Und weil der Mauerfall lange her ist und viele Leute doch langsam an der unsichtbaren Hand des Marktes, die alles regelt, zweifeln, ist die Berichterstattung auf den ersten Blick nicht feindlich. Die Artikel zu Marx und Kapital – sei es WELT oder DIE ZEIT – laufen nicht wie in den 90er Jahren unter Titel wie „Mit Marx geht es direkt in die DDR“ oder „Die Prognose von Marx – der Kapitalismus schafft sich selbst ab – hat sich doch nicht bewahrheitet“. Alles läuft unter der Überschrift „Hatte Marx doch Recht?“

Liest man die Artikel jedoch, merkt man schnell, dass unter einem anderen Titel die gleichen Mythen und Vorurteile über Marx und sein Werk verbreitet werden wie eben in den 90ern. So schreibt Lisa Niehaus unter der Überschrift „Hatte Marx doch Recht?“ in DIE ZEIT vom 26. Januar 2017: „Denn bei aller Begeisterung für Marx: Die Geschichte lehrt, dass sein Traum vom Umsturz der Verhältnisse in der Wirklichkeit katastrophal endete“. Bekannte Beispiel aus der Geschichte folgen: Lenin, Stalin, Kuba, sowie welche aus diesem Jahrhundert: Venezuela und China.

Das ist zwar anders ausdrückt, will aber trotzdem sagen, dass man mit Marx direkt in einem autoritären System landet. Dass Marx im 19. Jahrhundert gelebt hat und mit dem Aufbau des real existierenden Sozialismus eigentlich nichts zu tun hat. Dass er eine Gesellschaft nach dem Kapitalismus nie im Detail beschrieben hat. Dass aus seinen wenigen Äußerungen dazu kaum etwas in die Richtung ging, die der real existierende Sozialismus genommen hat. Alles das fällt unter den Tisch, um zu belegen: Der Traum von Marx führt zu Leiden und Tod.

Weiter in der ZEIT geht es mit Gero von Randow. Er behauptet, Marx begründe am Anfang des „Kapital“ die Werttheorie und das sei für „Linke Kapital-Schulungen“ das wichtigste: An der Werttheorie „darf nicht gerüttelt werden“, obwohl sie so abstrakt und unzutreffend sei. Dass die Werttheorie keine Erfindung von Marx ist, sondern der Standard im 19. Jahrhundert war. Dass sie eigentlich von Smith und Ricardo kommt und damals gar keine Begründung brauchte, weil niemand behauptet hat, Profit sei durch Psychologie o.ä. zu erklären. Dass Marx selbst sehr klar im Kapital sagt, was neu an seiner Kritik der politischen Ökonomie ist und was eigentlich eben die Klassiker schon erklärt hatten. Alles das spielt keine Rolle. Ganz wie in den 90er Jahren: Marx ist der Vater der Arbeitswertlehre, und die ist abstrakt und falsch. Gegen die Arbeitswertlehre wird mehr oder weniger eine subjektive Theorie des Werts gestellt. Erklärt oder begründet wird sie natürlich nicht. Wie auch?

Wie immer noch unter der gleichen Überschrift in der gleichen Ausgabe der ZEIT Siegfried Bülow seinen persönlichen Lebensweg vom DDR-Kombinat zu Porsche erzählt, erspare ich euch. Es sei nur den Kern des Artikels genannt: Das größte Problem der DDR war „Mangel“ - Mangel an Arbeitskräften, an Rohstoffen, an Führungskräften usw. Und diese DDR-Wirtschaft war nach Marx gestaltet. Achtung: Dies ist im Artikel positiv gemeint.

Der beste Artikel in dieser Reihe ist selbstverständlich der des konservativen Star-Ökonomen Hans-Werner Sinn. Marx‘ „Krisentheorie könnte sich am Ende doch bewahrheiteten. Wegen der Geldpolitik der Europäische Zentralbank“ (EZB), lautet der Untertitel des Artikels. Der tendenzielle Fall der Profitrate wird wegen der Nullzinspolitik wahr? Wie will Sinn die Kurve genau hinkriegen?, fragt man sich. Antwort: Er kriegt sie nicht hin. Tatsächlich bezieht sich Sinn dann auf Schumpeters „schöpferische Zerstörung“, um zu sagen: Die EZB verhindert diese Zerstörung durch ihre Niedrigzinsen und erhält stattdessen „Zombie -Unternehmen nebst Banken, die sie finanzieren“ am Leben.

Das hat zwar mit dem Fall der Profitrate nichts zu tun. Dennoch macht Sinn einen Punkt. Er bezieht sich positiv auf die zerstörerischen Marktkräfte, die Marx kritisiert. Wenn es hart auf hart kommt im Kapitalismus, dann müssen Produktivkräfte vernichtet werden. Dass dies Elend und Tod für viele Menschen bedeutet, darauf kann die Marktwirtschaft keine Rücksicht nehmen. So ist Kapitalismus. Das wusste auch Marx, und Sinn spricht es mehr oder weniger aus. Die Neoliberalen verstehen zwar weder den Kapitalismus noch Marx. Über die Härten dieses Wirtschaftssystems machen sich seine Fans jedoch ebenso wenig Illusionen wie sein großer Kritiker.