Rosa Luxemburg charkterisiert in ihrem Manuskript zur Russischen Revolution die Situation nach der Oktoberrevolution folgendermaßen:
„In dieser Situation gebührt denn der bolschewistischen Richtung das geschichtliche Verdienst, von Anfang an diejenige Taktik proklamiert und mit eiserner Konsequenz verfolgt zu haben, die allein die Demokratie retten und die Revolution vorwärts treiben konnte. Die ganze Macht ausschließlich in die Hände der Arbeiter- und Bauernmasse, in die Hände der Sowjets – dies war in der Tat der einzige Ausweg aus der Schwierigkeit, in die die Revolution geraten war, das war der Schwertstreich, womit der gordische Knoten durchhauen, die Revolution aus dem Engpaß hinausgeführt und vor ihr das freie Brachfeld einer ungehemmten weiteren Entfaltung geöffnet wurde.“ (Luxemburg 1974)
Das Bild des „Brachlandes“, in das sich nun die Revolutionäre, die ganze Gesellschaft begibt, ist vielleicht noch zu schwach – es ist ein Aufbruch in ein völlig unbekanntes Brachland, das nicht einfach so zu bestellen ist, es ist ein Aufbruch mit der Last alter Gewohnheiten, alter Erfahrungen, alter Vorbehalte, mit denen man nun das Neue zu verstehen versucht und alten Werkzeugen. Der „Schwertstreich“ war das eine, nun musste sich zeigen, ob die Schwertträger fähig waren, eine Alternative zu dem überwundenen Zustand der Gesellschaft aufzubauen, das „Brachland“ fruchtbar zu machen.
Mit der Einberufung und der einzigen Tagung der Konstituierenden Versammlung war in aller Öffentlichkeit die Frage gestellt, WIE die Bolschewiki sich diese Arbeit leisten wollten. Sie waren bei den Wahlen mit einem phänomenalen Ergebnis trotzdem in der Minderheit geblieben.
Wolfgang Ruge kommt in seiner Analyse der Entwicklungen nach der Oktoberrevolution diesbezüglich zu folgender Schlussfolgerung:
„Als historische Zäsur muß die Auflösung der Konstituante … deshalb betrachtet werden, weil sich der immer wieder von Wunschvorstellungen vorangetriebene Realpolitiker Lenin, der sein Regime im Grunde von der Mehrheit der Bevölkerung getragen wissen wollte, hier erstmals in aller Öffentlichkeit für die Machtausübung einer Minderheit gegen die Mehrheit aussprach.“ (Ruge, Wolfgang 2007, 1027)
Der 2007 erschienene Beitrag von Ruge ist hier nachzulesen. Er wurde ein Jahr später auch in den Band „Die Wache ist müde…“, der auch weitere Texte zu den Entwicklungen nach der Oktoberrevolution anbietet, aufgenommen. (vgl. Hedeler/Kinner 2008)
Quellen und zum Weiterlesen
Hedeler, W./Kinner, K. (2008). „Die Wache ist müde“: neue Sichten auf die russische Revolution 1917 und ihre Wirkungen, Dietz, abrufbar unter: https://books.google.de/books?id=A6HaAAAAMAAJ
Luxemburg, Rosa (1974). Zur russischen Revolution, in: Rosa Luxemburg Gesammelte Werke Bd. 4 August 1914 bis Januar 1919, Berlin: Dietz Verlag, 332–365
Ruge, Wolfgang (2007). Vom Roten Oktober zur Alleinherrschaft der Bolschewiki. Machtkämpfe nach der Machtübernahme, in: Utopie kreativ, (H. 205 (November 2007)), 1012–1031