Widersprüche weiterdenken

Zum 170. Jahrestag des Kommunistischen Manifests

Manifest der Kommunistischen Partei

Thomas Kuczynski

war der letzte Direktor des Instituts für Wirtschaftsgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR und ist seit 1992 freischaffend tätig in Forschung und Publizistik, u.a. als ­Autor im Marx-Engels-Jahrbuch und in der Zeitschrift Luna­park21. Er hat über 2 Jahrzehnte hat an einer Ausgabe des ersten Bandes des Kapital gearbeitet, die auf dem von Marx geforderten, aber nicht realisiertem Vergleich der deutschen mit der französischen Ausgabe beruht.

Irgendwann zwischen dem 23. Februar und dem 1. März 1848, der genaue Termin ist umstritten, erschien in London eine politische Gelegenheitsschrift, ein kleines Heft von 23 Seiten. Anlass war ein Mitte Dezember 1847 zu Ende gegangener Kongress des Bundes der Kommunisten, denn der hatte beschlossen, dass er von nun an sich im August jeden Jahres versammeln und im Anschluss daran „ein Manifest im Namen der Partei“ erlassen würde.

Das mit dem Abfassen des (ersten) Manifests beauftragte Bundesmitglied, Karl Marx, sah den Auftrag als einen unter vielen an und schob die Fertigstellung über Wochen vor sich her, bis ihm die Zentralbehörde Ende Januar eine geharnischte Abmahnung übermitteln ließ. Auch die Zentralbehörde ließ sich nach Erhalt des Manuskripts ein paar Wochen Zeit, bis sie es drucken ließ. Bis Ende Mai gab es noch zwei Nachdrucke, insgesamt wurden vielleicht 2000 Exemplare gedruckt, und das reichte offenbar bis zum Ende der Revolution. Im Übrigen trat der Kongress nach dem Ausbruch der Revolution nie wieder zusammen, und so gab es auch kein neues Manifest.

Dass das Heftchen Weltgeschichte machen sollte, ahnte keiner der Beteiligten. Die ersten, die davon eine Ahnung hatten, waren wohl jene Kölner Kommunisten, die es 1850, nach dem Scheitern der Revolution, in Ermangelung gültiger Statuten als „unsre Bibel“ betrachteten, „auf welche wir schwören ließen“ (Roland Daniels). Aber mit dem Kölner Kommunistenprozess von 1852 wurde es vollends „in den Hintergrund gedrängt“ (Friedrich Engels). Anfragen und Aufforderungen, das Heft nachzudrucken, mit einem kleinen Vorwort zu versehen, es für den Agitationsgebrauch zu bearbeiten usw. haben die Verfasser über Jahre mit dem Bemerken vor sich hergeschoben, es handle sich um ein „historisches Aktenstück“, ein „geschichtliches Dokument“, es sei „stellenweise veraltet“ usw. Zwar wurde es trotzdem ab und an veröffentlicht und übersetzt, aber ein Wendepunkt in der Wirkungsgeschichte des Manifests trat erst mit der Gründung der II. Internationale 1889 ein. Und so schließt denn auch das von Engels auf den 1. Mai 1890 datierte Vorwort zum Manifest mit Worten ab, die von einem historischen Optimismus ohnegleichen getragen sind: „...heute, wo ich diese Zeilen schreibe, hält das europäische und amerikanische Proletariat Heerschau über seine zum ersten Mal mobil gemachten Streitkräfte, mobil gemacht als Ein Heer, unter Einer Fahne und für Ein nächstes Ziel: den schon vom Genfer Kongress der Internationale 1866, und wiederum vom Pariser Arbeiterkongress 1889 proklamierten, gesetzlich festzustellenden, achtstündigen Normalarbeitstag. Und das Schauspiel des heutigen Tages wird den Kapitalisten und Grundherren aller Länder die Augen darüber öffnen, dass heute die Proletarier aller Länder in der Tat vereinigt sind. – Stände nur Marx noch neben mir, dies mit eignen Augen zu sehn.“

II

Es dauerte also über vierzig Jahre, ehe das Manifest seine epochemachende Wirkung in der proletarischen Bewegung voll entfaltete und dann über ein Jahrhundert hinweg das weltweit meistgelesenen Werk explizit politischer Literatur war. Seine Wirkung basierte vor allem auf der einzigartigen Kombination von fünf Punkten:

Erstens ging es von historisch-empirisch konstatierten Tatsachen aus, die in einer für seine Leserschaft nachvollziehbaren Weise dargestellt waren; zweitens ordnete es diese Tatsachen zu einem ihr einleuchtenden Abbild der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse; drittens entwickelte es aus Geschichte und Gegenwart eine sie überzeugende Perspektive eigener Entwicklung; viertens entstand es in Erfüllung eines zeitgenössischen Parteiauftrags, ergriff also hier und jetzt Partei für seine Leserschaft; fünftens war es in einer sie ergreifenden Sprache geschrieben, die es späterhin – über alle politischen Auseinandersetzungen hinweg – zu einem Dokument deutscher Prosa hat werden lassen. Kein politisches Dokument von derartiger Sprachgewalt und Wirkungsmacht ist jemals wieder in deutscher Sprache verfasst worden.

Hinter dieser Wirkungsmacht stand ein ganzes Weltbild, eine sich selbst gewisse Gesellschafts- und Geschichtsauffassung, die zwar im Einzelnen noch auszuarbeiten, in den Grundlagen aber felsenfest gefügt schien. Diese im Manifest selbst ungenannt gebliebene Argumentationsbasis hatten Marx und Engels ab Herbst 1845 bis Frühjahr 1847 in ihren Manuskripten zur Deutschen Ideologie entwickelt, und es ist völlig klar, dass das Manifest niemals massenwirksam geworden wäre, wenn sein Text nicht von der ersten Seite an diese Sicherheit ausgestrahlt hätte. Umgekehrt hat diese Überzeugungskraft des Manifests bewirkt, dass sein Text nicht mehr kritisch angeeignet, sondern – entgegen den Absichten der Verfasser – völlig unkritisch und schließlich als ein neues Evangelium heilig gesprochen worden ist. Dies wiederum hat dazu geführt, dass mit dem Ende des kurzen 20. Jahrhunderts, also seit 1989/91, das Manifest zwar noch von einigen Kapitalisten und deren Ideologen als geniale Prognose der Globalisierung gefeiert wird, aber als Grundlage sozialistisch-kommunistischer Politikwissenschaft und –praxis weitgehend aufgegeben worden ist. Einzelnes wird, aus dem Zusammenhang gerissen, zitiert (etwas die vielgepriesene freie Entwicklung des Einzelnen), aber das Ganze ist für viele, zu viele, diskussionslos ad acta gelegt – so wie sie es zuvor diskussionslos hochgelobt hatten. Kritische Weiterentwicklung war vor 89/91 nicht gefragt und ist es heute nicht, obgleich dringend vonnöten und meines Erachtens auch möglich. Das Manifest enthält immer noch viel Sprengstoff. Zwei dieser „Bomben“ seien im Folgenden präsentiert.

III

Im Manifest heißt es: „Der Leibeigne hat sich zum Mitglied der Kommune in der Leibeigenschaft herangearbeitet, wie der Kleinbürger zum Bourgeois unter dem Joch des feudalistischen Absolutismus. Der moderne Arbeiter dagegen, statt sich mit dem Fortschritt der Industrie zu heben, sinkt immer tiefer unter die Bedingungen seiner eignen Klasse herab. Der Arbeiter wird zum Pauper, und der Pauperismus entwickelt sich noch rascher als Bevölkerung und Reichtum.“

Diese Prognose hat das europäische und nordamerikanische Proletariat in schweren Klassenkämpfen ad absurdum geführt. Es hat in jahrzehntelangen Kämpfen Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen erreicht, Arbeitslosen-, Sozial- und Rentenversicherung, das Streikrecht und das Wahlrecht und viele, viele andere Dinge. Die Mitglieder dieser Klasse haben sich also zu Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft herangearbeitet. Deshalb weisen ihre Kämpfe heute auch nicht mehr über die bestehende Gesellschaft hinaus, sondern finden in deren Rahmen statt. Sie sind vergleichbar denen von Leibeignen und Kleinbürgern, die innerhalb der Feudalgesellschaft stattfanden und ebenfalls nicht über diese hinauswiesen.

Zu diesen früheren Klassen heißt es nun, gleich zu Beginn von Kapitel I des Manifests, sie „führten einen ununterbrochenen, bald versteckten, bald offenen Kampf, einen Kampf, der jedesmal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endete oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen.“ In der Tat sind im Zuge der revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft die sich zuvor bekämpfenden Klassen gemeinsam untergegangen: Weder Sklaven noch Sklavenhalter haben als Klasse (!) den Aufbau des Feudalismus erlebt, weder Leibeigne noch Feudalherrn haben als Klasse (!) den Aufbau des Kapitalismus erlebt – sie alle sind jeweils gemeinsam untergegangen. Warum soll das im Zuge der revolutionären Umgestaltung der jetzigen Gesellschaft bei Proletariat und Bourgeoisie so viel anders sein? Zeigt die seit Jahren verfolgte Strategie der „Verteidigung der Besitzstände“ nicht ganz deutlich in Richtung eines gemeinsamen Untergangs?

Die Fragestellung ist noch viel deutlicher, wenn die Verteidigungsrichtung unter die Lupe genommen wird. Ja, es geht auch gegen „die Reichen“, aber mindestens ebenso gegen die noch Ärmeren. Arbeitsplätze werden verteidigt – gegen die Reichen? Gewiss nicht, denn die brauchen keine, aber sie verlagern die vorhandenen dorthin, wo billiger produziert wird, wo Ärmere zu niedrigeren Löhnen arbeiten. Die „Sicherung der Besitzstände“ führt in dieselbe Richtung wie die Abschottung der „Festung Europa“ gegenüber der sogenannten dritten Welt.

Im Manifest heißt es zwar: „Die Arbeiter haben kein Vaterland. Man kann ihnen nicht nehmen, was sie nicht haben.“ Aber im Gefolge des Ersten Weltkriegs hat der revolutionäre Realpolitiker Lenin hinsichtlich der „Vaterlandsverteidigung“ festgestellt, dass diese Frage „die gewaltige Mehrheit der Werktätigen unvermeidlich zugunsten ihrer Bourgeoisie entscheiden wird“ (Werke, Bd. 33, S. 433ff.). Heute ist völlig klar, dass die „gewaltige Mehrheit der Werktätigen“ der sogenannten ersten Welt die Frage der Vaterlandsverteidigung auch im nicht-militärischen Sinne, im Sinne der Verteidigung des nationalen Wirtschaftsstandorts und des nationalen Sozialstaates, des Aufstellens von Einwanderungsquoten und des Verschärfens der Asylgesetzgebung, des Kampfes gegen Billiglohnländer usw. in genau der Richtung entschieden hat, die von Lenin „zugunsten ihrer Bourgeoisie“ genannt worden ist. Das konnte auch gar nicht anders sein, eben weil sich die gewaltige Mehrheit der Werktätigen zu Mitgliedern der „weißen Industriegesellschaft“ herangearbeitet hat. Deren revolutionäre Umgestaltung wird mit ziemlicher Sicherheit den gemeinsamen Untergang von Bourgeoisie und Proletariat bewirken.

IV

Im Schlussteil des Manifests stellen die Verfasser fest: In allen revolutionären Bewegungen heben die Kommunisten „die Eigentumsfrage, welche mehr oder minder entwickelte Form sie auch angenommen haben möge, als die Grundfrage der Bewegung hervor.“

Das Gros der Vordenker der Partei Die Linke (PDL) stellt die Wahrheit dieses Satzes seit Jahren in Abrede und meint, es genüge, die „Verfügung“ über das Eigentum „sozialen Kriterien“ zu unterwerfen. Nicht nur sind sie damit ganz auf der Höhe von Max Stirner, der in seinem Hauptwerk „Der Einzige und sein Eigentum“ meinte: „Das Privateigentum lebt von der Gnade des Rechts“ (so auch zitiert in der Deutschen Ideologie; vgl. MEGA2, Bd. I/5, S. 418, bzw. MEW, Bd. 3, S. 345), es bleibt überdies zu fragen, was denn die sozialen Kriterien sein sollen. Vom Standpunkt der Moralität mag man ja Profitabilität ein asoziales Kriterium nennen, aber das ändert nichts daran, dass sie, die Profitabilität, in dieser Gesellschaft ein sozialökonomisches Kriterium ersten Ranges ist. Wer diese Rangordnung grundlegend ändern will, kommt an der Grundfrage nicht vorbei.

Viel interessanter aber ist, dass die Frage auch in einem ganz anderen Sinne „Grundfrage der Bewegung“ ist, in dem Sinne nämlich, dass wir keine Antwort auf sie haben. Gewiss können, wie es im Manifest heißt, „die Kommunisten ihre Theorie in dem einen Ausdruck: Aufhebung des Privateigentums, zusammenfassen“ – aber was hat an seine Stelle zu treten? Was ist die positive Antwort auf die Grundfrage der Bewegung? Wer die Frage mit dem Hinweis auf die „Vergesellschaftung der Produktionsmittel“ beantworten will, verschiebt sie nur: Was ist Vergesellschaftung?

Gewiss hat nicht das Staatseigentum an die Stelle des Privateigentums zu treten, denn es ist, wie schon Engels im Anti-Dühring formulierte, nichts anderes als das auf die Spitze getriebene Privateigentum: Einen Eigentümer nur noch gibt es, den Staat. Auch deshalb waren alle Mitgliedsländer des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW – Comecon) ökonomisch so ausgerichtet, dass sich ihre Regierungen in Verhandlungen prinzipiell im Interesse „ihrer“ Staaten als Privateigentümer gegeneinander verhielten. Von einer wie auch immer gearteten internationalen Solidarität konnte da nicht die Rede sein, von „Volkseigentum“ auch nicht. Zwar meinte Engels im Anti-Dühring vorsichtig-optimistisch: „Das Staatseigentum an den Produktivkräften ist nicht die Lösung des Konflikts, aber es birgt in sich das formelle Mittel, die Handhabe der Lösung“ (MEGA2, Bd. I/27, S. 534, bzw. MEW, Bd. 20, S. 260). Aber im Nachhinein müssen wir feststellen: Das formelle Mittel hat dem realen Zweck nicht genügt.

Eine zweite Möglichkeit wurde von Marx in der Inauguraladresse zur Gründung der Internationalen Arbeiterassoziation gar schon als „Sieg der politischen Ökonomie der Arbeit über die politische Ökonomie des Kapitals“ gefeiert: „Wir sprechen von der Kooperativbewegung, namentlich den Kooperativfabriken, diesem Werk weniger kühnen ‚Hände‘ (hands). Der Wert dieser großen Experimente kann nicht überschätzt werden. Durch die Tat, statt durch Argumente, bewiesen sie, dass Produktion auf großer Stufenleiter und im Einklang mit dem Fortschritt moderner Wissenschaft vorgehen kann ohne die Existenz einer Klasse von Meistern (masters), die eine Klasse von ‚Händen‘ anwendet;  dass ... die ... Lohnarbeit nur eine vorübergehende und untergeordnete gesellschaftliche Form ist, bestimmt zu verschwinden vor der assoziierten Arbeit, die ihr Werk mit williger Hand, rüstigem Geist und fröhlichen Herzens verrichtet“ (MEW, Bd. 16, S.11/12).

Auch dies war offenbar eine heroische Illusion; das hat uns nicht nur das Schicksal der Genossenschaftsbewegung im Kapitalismus gezeigt, sondern ebenso das des auf dem Gruppeneigentum basierten Sozialismus in Jugoslawien oder das der Kommunen in China. Sehen wir von den an den Staat zu entrichtenden Steuern ab, so verblieben diese Kleinassoziationen entweder auf einem mehr oder minder subsistenzwirtschaftlichen, einem nur scheinbar sich selbst genügenden Niveau, das im realen Konkurrenzkampf dem Privateigentum letztlich immer wieder unterlag und unterliegen musste, oder sie setzten sich in Konkurrenz mit anderen Kleinassoziationen gegen diese durch und verwandelten sich auf diese Weise in bloß formell assoziiertes, aber reell privatwirtschaftliches Eigentum. Über kurz oder lang ist von „der assoziierten Arbeit, die ihr Werk mit williger Hand, rüstigem Geist und fröhlichen Herzens verrichtet“ nichts mehr als die schöne Erinnerung an die wilden Jahre revolutionärer Romantik geblieben. Das Nämliche gilt für die ökosozialen Gemeinden neueren Datums – auch dort wird letztlich wieder, aus dem Manifest zu zitieren, „kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übriggelassen, als das nackte Interesse, als die gefühllose bare Zahlung“, werden „die heiligen Schauer der frommen Schwärmerei, der ritterlichen Begeisterung, der spießbürgerlichen Wehmut in dem eiskalten Wasser egoistischer Berechnung ertränkt“.

Geben wir uns keinen Illusionen hin. Marx und Engels haben sich zwar zumeist und zurecht sehr wohl davor gehütet, konkrete Vorstellungen darüber zu entwickeln, auf welcher Ebene denn die von ihnen postulierte „Assoziation freier Produzenten“ anzusiedeln sei, aber diese wenigen Aussagen zeigen sehr deutlich, dass auch sie ziemlich „kleinteilig“ dachten. Zwar verlachten sie im Manifest die Stiftung einzelner Phalanstere, die Gründung von Home-Kolonien, die Errichtung eines kleinen Ikarien, aber ihr ebenda formulierter Katalog an Forderungen bewegte sich samt und sonders auf der nationalstaatlichen Ebene, ebenso ihre Aussage, dass das „Proletariat eines jeden Landes ... natürlich zuerst mit seiner eigenen Bourgeoisie fertig werden“ müsse. Genau diese Aussage jedoch wurde durch den Untergang des sogenannten Realsozialismus widerlegt, denn in all diesen Ländern war man zwar mit der eigenen Bourgeoisie fertig geworden, aber nicht mit der „fremden“, jener, die auch weiterhin diese eine Weltwirtschaft dominierte und letztlich ihren Gegner besiegt hat.

Die kurz zuvor von Engels verfassten Grundsätze des Kommunismus enthielten noch die Feststellung, „die kommunistische Revolution“ werde „keine bloß nationale“, sondern „eine in allen zivilisierten Ländern, d. h. wenigstens in England, Amerika, Frankreich und Deutschland gleichzeitig vor sich gehende Revolution sein“, ergo: „Sie ist eine universelle Revolution und wird daher auch ein universelles Terrain haben.“ Diese Prognose, 1926 von Stalin als falsch verworfen, hat sich zumindest in dem Sinne als die richtige erwiesen, dass eine kommunistische Revolution auf nicht-universellem Terrain letztlich zum Scheitern verurteilt ist.

Wer heute von globaler Revolution spricht und sie nicht allein im technokratischen Sinne verstanden wissen will, meint nichts anderes als eben Engels’ universelle Revolution auf universellem Terrain, also das, was zu Lenins Zeiten politisch mit dem Terminus Weltrevolution ausgesagt worden ist. Was aber bedeutet das für unsere Antwort auf die Grundfrage der Bewegung?

Eine über das Staatseigentum als formelles Mittel hinausgehende Lösung, so meinte Engels im Anti-Dühring weiter, „kann nur darin liegen, dass... die Produktions-, Aneignungs- und Austauschweise in Einklang gesetzt wird mit dem gesellschaftlichen Charakter der Produktionsmittel. Und diese kann nur dadurch geschehn, dass die Gesellschaft offen und ohne Umwege Besitz ergreift von den, jeder andern Leitung außer der ihrigen, entwachsenen Produktivkräften.“ Es ist sonnenklar, dass die globalen Probleme – ich nenne hier nur Stichworte: Klimakatastrophe, Bevölkerungswachstum, Energieversorgung, Ernährung, Gesundheit, Bildung usw. – allein auf globaler Ebene lösbar sind, dass also die Weltgesellschaft „offen und ohne Umwege Besitz ergreift“ und ergreifen muss „von den, jeder andern Leitung außer der ihrigen, entwachsenen Produktivkräften“.

Nichts einfacher als der Schluss, dass die Lösung der Grundfrage in der Schaffung eines „Welteigentums“ läge. Aber wie wäre die zu realisieren, wie gelangen wir in der Wirklichkeit, also nicht bloß intellektuell, zu dieser Lösung? Soll dieser heutzutage heillos zerstrittenen Weltgesellschaft eine mit Computern ausgestattete Weltregierung vorgesetzt werden, die aufgrund ihrer Allwissenheit die Probleme schon lösen wird? Eine kindische Vorstellung... Über die wirkliche Lösung ist also weiter nachzudenken, und die Grundfrage der Bewegung steht daher weiter auf der Tagesordnung.

[1]     Die Belege zu den historischen Tatsachen finden sich sämtlich in meinem Editionsbericht in: Das Kommunistische Manifest (Manifest der Kommunistischen Partei) von Karl Marx und Friedrich Engels. Trier 1995 = Schriften aus dem Karl-Marx-Haus Trier, Nr. 49.