»Wer versucht, ihn zu vereinnahmen, hat ihn nicht verstanden«

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In Trier rückt die Enthüllung der Karl-Marx-Statue näher. Die ganze Angelegenheit sorgte bereits für einige Kontroversen - bis zum Geburtstag des Alten aus Trier wird der Widerspruch zu der aus China kommenden Plastik sicher auch nicht abreißen. Das wäre ganz im Sinne von Marx, dem bekanntlich »jedes Urteil wissenschaftlicher Kritik« willkommen war, wenn, ja wenn man die Ablehnung denn auch als solche Kritik diskutieren könnte. Es gibt Fälle, in denen das nicht so einfach ist.

Nehmen wir die Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner, die sich gegen die Statue mit den Worten ausgesprochen hat: »Ich glaube nicht, dass wir sie gebraucht hätten, denn China denkt sich gewiss etwas dabei«, wird die CDU-Politikerin zitiert - deren Expertise in der Sache sich offenbar darauf beschränkt, auch aus Rheinland-Pfalz zu stammen. Der SWR hat dieser Tage über Klöckners »Nicht-brauchen-glauben« berichtet, dort ist auch von Ablehnung in den Reihen von Opferverbänden Kommunistischer Gewaltherrschaft die Rede. »Sie machen den aus Trier stammenden Philosophen für die kommunistischen Diktaturen mitverantwortlich.«

Das wird man weitaus ernster nehmen müssen, allerdings taucht auch hier die Frage auf, ob die Kritik - in dem Fall die Zuschreibung direkter Verantwortung - angemessen ist oder nicht. Hubertus Knabe, der in Berlin ein Museum leitet und sich ebenso gern wie oft gegen eine seiner Meinung nach zu unkritische Würdigung von Marx in dessen 200. Geburtsjahr ausspricht, hat die Logik dahinter jetzt auch noch einmal im »Landsberger Tagblatt« strapaziert: »Marx war der Säulenheilige dieser Regime«, sagt er dort mit Blick auf die »kommunistischen Länder«, und zudem »der Vordenker dessen, worunter die Menschen dort gelitten haben - der Diktatur des Proletariats«.

Aus der Perspektive einer kritischen Denkhaltung, die sich in der Tradition von Marx sieht, wird man das nicht bloß mit dem Hinweis abtropfen lassen können, Knabe sei weniger Historiker, noch weniger Marx-Kenner und am wenigsten an einer differenzierten politischen Auseinandersetzung mit dem Erbe diverser Marxismen interessiert, weil sein Auftreten eigentlich immer den Eindruck hinterlässt, hier gehe es um politischen Kampf.

Aber auch wenn man erstens ja mal grundsätzlich fragen könnte, ob ein theoretisches Werk des einen überhaupt für eine politische Praxis in Haftung genommen werden kann, die andere weit posthum in Gang setzen; auch wenn man zweitens darauf hinweisen mag, dass es erst bestimmte Lesarten von Marx waren, bestimmte Zurichtungen des Werks im Interesse einer Politik, die eine »Verbindung« schufen zwischen dem Alten aus Trier und den autoritären Staatssozialismen, lässt sich die Wunde nicht wegreden, die da schmerzt: dass es eben solche Regime waren, die ihre Herrschaft unter Bildern von Marx und mit Zitaten von ihm legitimierten.

Dieser Schmerz geht auch nicht einfach davon weg, dass man mit radikal demokratischen, freiheitlichen Textstellen aus seinem Werk dagegenhält. Oder dass man behauptet, er habe zu Gestalt und Praxis künftiger Versuche der Überwindung der kapitalistischen Ordnung gar nicht viel geschrieben. Oder indem man daran erinnert, dass der Begriff der »Diktatur des Proletariats« jedenfalls in der anfänglichen Auseinandersetzung mit den »Klassenkämpfen in Frankreich« eine andere Bedeutung hatte, als in einem Begriff mitschwingt, der zugleich auch die NS-Vernichtungsherrschaft einschließt.

Knabe hat im »Landsberger Tagblatt« ein paar Dinge angesprochen, die trefflich zum Widerspruch herausfordern. Etwa: »Das, was richtig an der ökonomischen Theorie von Marx ist, war nicht neu, und das, was neu war, ist falsch. Zum Beispiel seine Mehrwerttheorie, die sich in keiner Weise bestätigt hat.« Ein solches »Gespräch« setzte aber Interesse voraus, das offenbar nicht vorliegt. Stattdessen wird mit vielen Adjektiven herumgeworfen - naiv, monströs, erschreckend, menschenverachtend - und eine Haltung gegenüber den öffentlichen Diskursen demonstriert, die man aus einer bestimmten politischen Ecke heuer in anderer Form auch ziemlich oft serviert bekommt: »Die deutschen Feuilletons haben leider schon immer einen leichten Hang zum Sozialismus gehabt.«

Die Debatte freilich findet ja trotzdem statt, wenn man so will: asymmetrisch. Während Knabe in einer Lokalzeitung ein paar Vereinfachungen gegen Marx in Stellung bringt und im Kurznachrichtendienst Twitter gegen das touristische Ausschlachten des Philosophen und Ökonomen polemisiert, hat der Linkspolitiker Dietmar Bartsch im Deutschlandradio mit dem Historiker Jan Gerber über ernsthafte Fragen diskutiert, die auch in der Knabeschen Propaganda aufscheinen - also: Wie viel vom autoritären Staatssozialismus steckte schon in Marx drin?

Bartsch kritisiert in dem Radiogespräch »die Ideologisierung zum Marxismus-Leninismus« und »eine Pervertierung der ursprünglichen Lehre von Karl Marx«, widerspricht aber der Behauptung, in dessen Werk stecke »ein Hang zur Unterdrückung« oder gar eine Art gewaltsame DNA. Gerber, der gerade ein Buch über Marx in Paris vorgelegt und darin dessen Entwicklung vom Radikaldemokrat zum Klassenkämpfer und Kommunisten beschreibt, nuanciert das mit dem Hinweis, dass es zwar keineswegs eine »Zwangsläufigkeit« aus dem Marx-Werk in Richtung Stalinismus gab, diese aber »nichtsdestotrotz in einigen Elementen angelegt« gewesen sei.

Man könnte das einen Marxschen Blick nennen, immerhin hat der Alte aus Trier ja selbst gern das Widersprüchliche betont und eine politische Schlussfolgerung bis heute könnte ja daraus gezogen werden auch im Umgang mit den verschiedenen Marxismen: dass man diese Widersprüche offen politisieren muss, statt ihnen auszuweichen oder sie zum Verschwinden zu bringen.

Gerber meint zu Bartsch in dem Radiogespräch, dieser habe »den freiheitlichen Marx stark gemacht, den es ohne Zweifel gibt«. Heißt auch: Es gab noch einen, noch viele andere. Das entspricht auch der Arbeit von Marx, die ein lebenslanger Prozess war, unabgeschlossen, auf neue Umstände reagierend, sich selbst in Frage stellend. Ein Anschluss an ein solches Denken wird selbst das Prozesshafte, das Widersprüchliche, das sich in Frage stellen beinhalten müssen, sonst kommt man wieder bei der »Anwendung seiner Lehren« heraus.

»Wer versucht, ihn zu vereinnahmen, hat ihn nicht verstanden«, sagt Bartsch. Wohl wahr. Dass dann aber auch zentrale Begriffe immer wieder geprüft, gegebenenfalls verworfen und bestenfalls durch bessere ersetzt werden, ist so richtig wie es schwierig ist. Anders aber wird über die Frage der »Aktualität von Marx« nicht zu reden sein, wenn man von Marx selbst ausgeht. Ob dabei die touristisch inspirierte Aufstellung einer Statue hilfreich ist, sei einmal dahingestellt.

Noch weniger hilfreich ist mit Sicherheit, wie Knabe schon zum nächsten Denkmalsturz aufzurufen: Er bebilderte seinen »Vorschlag für die Aufstellung der chinesischen Marx-Statue in Trier« mit einem Foto des so genannten Domsteins, der der Legende nach dort liegt, weil der Teufel mit einer List zur Mithilfe beim Bau des Doms bewogen worden sei - nach der Aufdeckung des Betrugs schleuderte der Teufel die rund vier Meter lange Granitsäule gegen die Mauern.

»Wer versucht, ihn zu vereinnahmen, hat ihn nicht verstanden«, das wäre auch in Richtung Knabe ein richtiger Satz. Teufel, eine umgestürzte Säule - zum Glück ist die Marx-Debatte in den meisten Feuilletons viel weiter, auch wenn man den dort angeblich herrschenden Hang zum Sozialismus (Knabe) recht lange suchen muss.