Kritik in praktischer Absicht: zum Tode von Elmar Altvater

Wachstumskritik ohne Illusionen, Globalisierungskritik ohne nationale Borniertheit, Kapitalismuskritik ohne Vereinfachungen, linke Selbstkritik ohne Sündenstolz – Elmar Altvater hat viel zum Denken der gesellschaftlichen Linken beigetragen. Nun müssen wir ohne ihn auskommen. Ein Nachruf.

»Zu welchem Ende betreiben wir Kapitalismuskritik?«, hat Elmar Altvater in seiner Abschlussvorlesung am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin gefragt. »Wir betreiben sie in praktischer Absicht, weil wir die Welt verändern müssen, wenn wir wollen, dass sie bleibt. Die Geschichte ist nicht am Ende. Es gibt Alternativen.« Das ist jetzt über zwölf Jahre her. Und man kann es wie das Motto eines ganzen Lebens lesen.

Die Kritik, die nicht für sich selbst oder einen Elfenbeintrum betrieben wird, sondern praktisch werden will, das war es, was Elmar Altvater immer wollte – ob nun als Professor für Politische Ökonomie, ob in der »Sozialistischen Assistentenzelle«, die für 1968 ein wichtiger Kreis war, ob in linken Gruppen, der Theoriezeitschrift »Prokla«, die er 1970 mitgründete, oder als Berater von Attac, dem Weltsozialforum und anderen, denen es um dieses Ziel ging: um Alternativen.

Geboren 1938 hat Elmar Altvater in München Soziologie und Ökonomie studiert, promovierte über »Gesellschaftliche Produktion und ökonomische Rationalität« im Sozialismus, machte akademische Karriere, erst in Nürnberg, später in Berlin. Das Otto-Suhr-Institut wurde von ihm ebenso geprägt wie er im Sozialistischen Büro eine wichtige Rolle spielte. Altvater brachte Fragen der Ökologie mit an Marx orientierter Kritik der Ökonomie zusammen, zusammen mit seiner Lebensgefährtin Birgit Mahnkopf schrieb er mit den »Grenzen der Globalisierung« ein Standardwerk.

Er drängte darauf, die Krisendynamik der globalen Ökonomie in ihrer Vielgestaltigkeit zur Kenntnis zu nehmen zu einer Zeit, da andere noch nicht einmal bereit waren, von dieser Vierfach-Krise überhaupt nur eine Dimension zur Kenntnis zu nehmen – die Krise, die der Kapitalismus praktisch selbst ist, eine Gestalt, die sich als Energie- und Klimakrise, als Nahrungsmittel- und Finanzkrise zeigt.

Wie Elmar Altvater dachte, wie er Widersprüche politisieren konnte, wie er sich nicht zufrieden geben wollte mit den einfachen Antworten, den »gültigen« Wahrheiten, und wie er trotzdem nicht abließ von der Idee, dass es doch anders gehen könnte, müsste, veranschaulicht sehr schön auch das Gesprächsbuch, in dem er mit Raul Zelik »über Mythen des Kapitalismus und die kommende Gesellschaft« spricht, ein Projekt, der »Vermessung der Utopie«. Die Frage, die da drinsteckt nach dem autoritären Staatssozialismus, ob also eine Gesellschaft jenseits des Kapitalismus überhaupt noch vorstellbar ist, wird hier umkreist.

Altvater formulierte »die Maßgaben für ein utopisches Projekt« damals in einem kurzen Satz: »den Menschen auf Erden ein Auskommen zu ermöglichen und sie nicht länger auf das Paradies zu verweisen«. Auf den Hinweis, dass es dabei nicht nur um Brot oder materielle Grundversorgung geht, sondern »auch um etwas, das man allgemein und knapp mit dem Begriff des anderen, glücklicheren Lebens beschreiben könnte«, sagte er: »Richtig. Aber auch da gilt: Utopien können vermessen sein, den Ansprüchen nicht gerecht werden. Dieses doppelten Sinnes sollten wir uns bewusst sein. Denn man kann der Gefahr nicht einfach entfliehen: Selbstverständlich können wir uns ver-messen, wenn wir über etwas sprechen, das nicht oder noch nicht existiert.«

Wachstumskritik ohne Illusionen, Globalisierungskritik ohne nationale Borniertheit, Kapitalismuskritik ohne Vereinfachungen, linke Selbstkritik ohne Sündenstolz – Elmar Altvater hat viel zum Denken der gesellschaftlichen Linken beigetragen. Es wäre kein Schaden gewesen, hätten sich deren Protagonisten dafür mehr interessiert. Man sollte jetzt seine Bücher noch einmal lesen und dann vergleichen, was die politischen Organisationen, in denen er sich engagierte, erst bei den Grünen, später bei der Linkspartei, daraus machten.

Dieser hochgewachsene, kluge Mann, der auf die Frage, ob bei all seinem Kritisieren des Kapitalismus »am Ende mehr Freunde oder Feinde« herausgekommen sind, einmal geantwortet hat: »Ich habe heute von beidem weniger. Weniger Freunde, weniger Feinde.« Nicht Reinheitshuberei wollte er betreiben, sondern ihm war ein Eklektizismus lieber, der »Ingredienzen verschiedener Ansätze kombiniert«, wenn man dazu zu neuen, aktuelleren, klügeren Schlüssen kommt.

»Wir müssen uns wieder angewöhnen, interessiert zu lesen, mit Neugier zu diskutieren, kritisch zu schreiben«, hat Elmar Altvater in seiner Abschlussvorlesung gesagt. Es ist etwas, das wir nun ohne ihn tun müssen. Am 1. Mai ist Elmar Altvater nach langer Krankheit verstorben. Wer einmal das Glück hatte, mit ihm darüber im geschützten Raum persönlicher Nähe zu sprechen, mit ihm in diesem Sinne zu diskutieren, oder auch nur ihm dabei zuzuhören, weiß, wie groß dieser Verlust ist.

Zuerst erschienen auf OXI Blog