Der Weltkrieg war nicht nur eine der Ursachen für die revolutionären Ereignisse in der Welt ab 1916, er verbindet diese Ereignisse auch miteinander. Der Krieg selbst, seine unmittelbaren Folgen und die Positionen der verschiedenen Akteure zur Frage Krieg/Frieden bestimmen in erheblichem Maße die Möglichkeiten grundlegender gesellschaftlicher Veränderungen, wie sie die Bolschewiki, die SozialistInnen-RevolutionärInnen, die AnarchistInnen und andere Linke in Russland anstrebten.
Der Frieden von Brest-Litowsk vom März 1918 zwischen Russland auf der einen und den Mittelmächten (Deutschland, Österreich-Ungarn, Türkei, Bulgarien) auf der anderen Seite wurde dabei zu einem Brennspiegel aller zu lösenden Fragen. Am 3. März 1918 übermittelte die Sowjetregierung den Mittelmächten ihre Zustimmung zu einem Friedensvertrag, mit dem Russland aus dem Weltkrieg ausschied und gleichzeitig erpresserische Bedingungen akzeptieren musste. Dem gingen harte Auseinandersetzungen in der russischen Linken voraus. Die Entscheidung über Charakter und Richtung des revolutionären Prozesses fällt nicht im Oktober, auch nicht mit der Auflösung der Konstituierenden Versammlung, sondern im Zusammenhang mit diesen Auseinandersetzungen. In dieser Phase entscheidet sich, welche der in der Oktoberrevolution angelegten Möglichkeiten unter den tatsächlich gegebenen Bedingungen Wirklichkeit werden können. Das gilt nicht nur für die Verhältnisse in Sowjetrussland, sondern auch für die in der internationalen sozialdemokratischen Bewegung.
Die Grundkonstellation schien einfach: Sollte sich der Kampf unmittelbar auf den Abschluss eines allgemeinen, alle kämpfenden Seiten umfassenden (sog. allgemeinen und demokratischen) Friedens richten oder war auch ein Separatfrieden zulässig? Die verschiedenen sozialdemokratischen Strömungen gingen, mit Ausnahme der leninschen Fraktion, davon aus, dass ein Friedensschluss nur als „allgemeiner Frieden“ möglich sei. Wenn der nicht zu haben war, würde man eben zum Partisanenkrieg übergehen – so z.B. die Auffassungen der Linken SozialistInnen-Revolutionäre in Russland selbst. Ein Separatfrieden würde nur eine der Seiten stärken und so den Krieg verlängern. Dem folgt auch noch Mitte 1918 Rosa Luxemburg in ihrer Kritik am Friedensschluss von Brest-Litowsk. Die Mehrheit der Konstituierenden Versammlung fasste Minuten vor ihrer Auflösung auf Vorschlag der (als Rechte bezeichneten) Partei der SozialistInnen-Revolutionäre den Beschluss, den Verbündeten in der Entente (Frankreich, Großbritannien usw.) vorzuschlagen, gemeinsam in Friedensgespräche mit den Mittelmächten einzutreten. Das war mit einer Ablehnung der bisher durch den Rat der Volkskommissare geführten Verhandlungen verbunden. (vgl. Novickaja 1991, 159f.)
Der öffentlichen Meinung in Russland, einschließlich der Mehrheit der Arbeiter und Bauern, erschien ein Separatfrieden mit Deutschland auch Anfang 1918 noch als Verrat. Das stand in klarem Widerspruch zu der allgemeinen Kriegsmüdigkeit und Friedenssehnsucht der Massen. Die Soldaten verließen massenhaft die Front. Nur dort, wo Rote Garden der Arbeiter und stark von Bolschewiki, AnarchistInnen und linken SozialistInnen-RevolutionärInnen beeinflusste Truppenteile standen, konnte halbwegs wirkungsvoller Widerstand geleistet werden.
Angesichts des Verlaufes des Krieges und der Ursachen der Oktoberrevolution (unter anderem eben der verschleppte Friedensschluss) war die Position der Mehrheit der russischen Linken ebenso verwunderlich, wie diejenige Lenins, der sich nachdrücklich für einen sofortigen Friedensschluss aussprach, nachvollziehbar war. Allerdings erklärt sich diese Widersprüchlichkeit, wenn man die Verbindungen der Friedensfrage mit anderen Grundfragen des revolutionären Prozesses in Rechnung stellt. Aus diesen Verbindungen, weniger aus dem Fakt des Friedensschlusses selbst, resultierte die Brisanz des Separatfriedens unter katastrophalen Bedingungen und der, wie Rabinowitsch zurecht schreibt, „tiefsten innerparteiliche(n) Krise in Lenins Jahren als sowjetischer Parteichef“. (Rabinowitch 2010, 190) Das betrifft in erster Linie den letztendlichen Bruch zwischen Bolschewiki und linken SozialistInnen-RevolutionärInnen. Waren die Differenzen bezüglich der Auflösung der Konstituierenden Versammlung nur taktischer Natur, entzündeten sich am Frieden von Brest-Litowsk strategische Differenzen. Diese betrafen den Charakter des neuen politischen Systems und die Rolle von Arbeitern und Bauern als Träger der Revolution, also die Machtfrage als Kernfrage jeder Revolution. Dabei wird in der Rückschau die große Rolle des linken Flügels der SozialistInnen-RevolutionärInnen deutlich. (vgl. zur Übersicht Häfner 2017) Diese vermuteten, dass die Bolschewiki den Separatfrieden vor allem zur Stärkung der Zentralgewalt gegen die dezentrale Sowjetmacht nutzen würden.
Bolschewiki und SozialistInnen-RevolutionärInnen gemeinsam war allerdings die Vermutung bzw. Hoffnung, dass eine Erhebung der Arbeiter in Westeuropa in absehbarer Zeit, mit oder ohne sofortigen Friedensschluss, die russische Revolution unterstützen würde. Diese Hoffnung bestimmte auch die Auseinandersetzungen innerhalb der Bolschewiki, in denen Lenin mit seiner Position erst einmal in der Minderheit blieb. „Linke“ unter der Führung von Bucharin und gestützt z.B. von der starken Moskauer Organisation der Bolschewiki traten auf Beratungen zwischen dem 21. und 24. Januar für die Weiterführung des Krieges, einige auch für den Abbruch der Friedensverhandlungen ein. Schließlich setzte sich die Position Trotzkis durch: „Weder Krieg noch Frieden“ bei gleichzeitiger Demobilisierung der Armee und Verschleppung der Verhandlungen, um die Handlungsfähigkeit der Gegner zu prüfen.
Für die westeuropäische, hier vor allem deutsche Linke, war ein anderer Aspekt, nämlich wie ein Friedensschluss die Kräfteverhältnisse im eigenen Land beeinflussen würde, interessant. Unter diesem Gesichtspunkt sollen hier zuerst nicht die inneren Auseinandersetzungen im revolutionären Flügel Russlands, sondern die internationalen, vor allem die deutschen Debatten betrachtet werden.
Die internationale und internationalistische Dimension
Rosa Luxemburg vermerkte zu Charakter und Perspektiven der Revolution in Russland:
Es sei „das unsterbliche geschichtliche Verdienst“ der Bolschewiki, „mit der Eroberung der politischen Gewalt und der praktischen Problemstellung der Verwirklichung des Sozialismus dem internationalen Proletariat vorangegangen zu sei und die Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit in der ganzen Welt mächtig vorangetrieben zu haben. In Rußland konnte das Problem nur gestellt werden. Es konnte nicht in Rußland gelöst werden, es kann nur international gelöst werden.“. (Luxemburg 1974, 365)
Sie greift damit ein Bild aus dem Spartakusbrief Nr. 8 vom Januar 1918 auf, mit dem das Dilemma der russischen Revolution im Zusammenhang mit den Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk beschrieben wurde:
„Ein furchtbarer Knoten ist in Rußland geschürzt: Das Schwert, das ihn zerhauen soll, liegt nicht in Rußland. Die russischen Proletarier haben ihre Hand hinausgestreckt nach ihren Brüdern. Soll sie ins Leere greifen? Deutscher Proletarier: Was nun?“ (Spartakus 1958, 413)
Über den Frieden von Brest-Litowsk zu sprechen bedeutet aus deutscher Sicht an erster Stelle, nicht über die Verhältnisse in Russland, sondern in der deutschen Sozialdemokratie zu sprechen.
Der „furchtbare Knoten“ der Ereignisse wird schon bei Betrachtung der Vielfalt der sich überlagernden Ereignisse offensichtlich.
Dabei handelt es sich nicht einfach um ein zeitliches Nebeneinander, vielmehr verflechten sich die Ereignisse, die eine Aktion beeinflusst die Entscheidungen anderer an ganz anderen Orten und in ganz anderen Zusammenhängen. Revolution, Konterrevolution, nationale und nationalistische Bewegungen, Streikaktionen im Westen, Kampfhandlungen im Osten, nüchterne Analysen und revolutionäre Illusionen verflechten sich zu einem Bild, das für die Akteure im Januar/Februar 1918 nur schwer zu überschauen gewesen sein dürfte. (hier eine etwas ausführlichere Zeitleiste) Vor allem die Streiks in Österreich-Ungarn und Deutschland, auch die Entwicklung in Finnland, schien den „linken“ Bolschewiki und den linken SozialistInnen-RevolutionärInnen in ihren Hoffnungen auf einen schnellen Zusammenbruch Deutschlands recht zu geben. Gleiches dürfte für die Erfolge gegen konterrevolutionäre Truppen gelten.
Insofern bestätigt der Verlauf der Dinge Luxemburgs Auffassung, dass im Zeitalter des Imperialismus keine nationalen Kriege mehr möglich seien, auch nationale Befreiungskriege tragen globalen Charakter. Das zeigte sich gerade an der russischen Revolution.
Wie in Russland selbst, war der Friedensschluss auch in Deutschland Gegenstand teilweise harscher Kritiken. Ähnlich wie Rosa Luxemburg kritisierte Eduard Bernstein am 19. Dezember 1917 die Forderung der Bolschewiki nach einem sofortigen Frieden; der könne nicht demokratisch sein, sagt Bernstein. (vgl. Bernstein 2017b, 119) Anders als Luxemburg sieht er aber bei der deutschen Sozialdemokratie keine Verantwortung für das Dilemma, in dem sich die Bolschewiki befanden. Für die Hoffnung auf eine Erhebung der Arbeiter in anderen Ländern hat er im März 1918 nur Hohn übrig und unterstellt damit den Bolschewiki irgendwelche nicht näher spezifizierten Gründe für den Friedensschluss:
Die Bolschewiki und „ihre Gläubigen“ hätten sich mit „mit dem Hinweis auf eine in Deutschland und wer weiß wo noch bevorstehende Revolution getröstet… Indes war ein Irrtum über die Nähe einer Revolution in Deutschland bei Leuten ausgeschlossen, die über die Macht- und Parteiverhältnisse in diesem Lande so reichliche Erfahrungen zur Verfügung hatten wie Lenin und Genossen.“ (Bernstein 2017a, 195)
Allerdings gab es, abgesehen von den Streiks im Januar, auch noch andere Anzeichen für aufkommende revolutionäre Stimmungen in der kaiserlich-deutschen Armee. Wie schon 1917 gab es Soldatenverbrüderungen über die Frontlinien hinweg, bolschewistische Flugblätter und Ideen der russischen Revolution fanden durch Fronturlauber und bei der Verlegung von Truppen von der Ostfront ins Hinterland oder an die Westfront ihren Weg nach Deutschland. Bei den Truppenverlegungen (bis April 1918 48 Divisionen) desertierten teilweise bis zu 10 Prozent des Personalbestandes. (vgl. z.B. Otto/Schmiedel 1983, 367f.) Unter den deutschen und österreich-ungarischen Kriegsgefangenen in Russland gab es bereits seit der Februarrevolution allerdings auch Tendenzen, sich der revolutionären Bewegung anzuschließen. Erfolgte dies nach der Februarrevolution vor allem in gemeinsamen Aktionen von Kriegsgefangenen und russischen Arbeitern in wirtschaftlichen Auseinandersetzungen, so werden nach der Oktoberrevolution deutsche Kriegsgefangene auch in den Reihen der Roten Garden und in der entstehenden neuen Roten Armee aktiv. (vgl. ausführlich in Striegnitz 1979) In Turkestan etwa war der Sieg der Sowjetmacht vor allem auf das Engagement der ehemaligen Kriegsgefangenen, hier vor allem aus Österreich-Ungarn, zurückzuführen. (vgl. Mark 2013, 179)
Für das Verhältnis der linken Bewegung zu diesem Friedensschluss und den damit verbundenen Prozessen war aber ein anderer Aspekt von größerer Bedeutung. Es war die nationale Frage, die Position des Deutschen Reiches zum nationalen Selbstbestimmungsrecht in den Friedensverhandlungen mit Sowjetrussland, die zum Bezugspunkt der Aktionen der deutschen Sozialdemokratie wurde. In diesem Zusammenhang hat Rosa Luxemburg recht, wenn sie die Forderung nach dem nationalen Selbstbestimmungsrecht bezeichnet als „einzige Waffe, die [die Bolschewiki] der Machtstellung des deutschen Imperialismus entgegenzustellen hatte.“ (Luxemburg 1974, 346) Die Position der sowjetischen Seite gerade zur nationalen Frage bildete dann tatsächlich den Bezugspunkt der ersten Welle von direkter Solidarität mit Sowjetrussland, völlig unabhängig von den internen Auseinandersetzungen dort.
In einer Erklärung hatte die sowjetische Delegation zu den Friedensgesprächen am 22. Dezember 1917 die Prinzipien der sowjetischen Seite fixiert. Dazu gehörten: keine gewaltsame Einverleibung besetzter Territorien, die Wiederherstellung der Selbständigkeit der Völker, die diese im Zuge der Krieges verloren hatten, nationale Gruppen, die vorher nicht selbständig waren, das Recht der Entscheidung über die Zugehörigkeit zu dem einen oder anderen Staat oder Eigenstaatlichkeit durch Referendum, Recht von Minderheiten auf Wahrung ihrer Rechte, keine gegenseitigen Zahlungen als Friedensbedingungen und Kompensation von Verlusten von Privatpersonen aus einem gemeinsam gebildeten Fonds, Lösung der kolonialen Frage auf der Grundlage der oben genannten Prinzipien. Außerdem wurde der Verzicht auf indirekte Formen des Drucks stärkerer auf schwächere Nationen (Boykott, privilegierende Zollvereinbarungen u.ä.) vorgeschlagen. (vgl. Chwostow et al. 1967, 168f.)
Der in Brest-Litowsk deutlich werdende Gegensatz in den Positionen Deutschlands und Russlands wurde am 10. Januar 1918 von der USPD-Reichstagsfraktion so charakterisiert:
„In Brest Litowsk ist der Schleier gelüftet, in dem unsere Regierung ihre Kriegsziele jahrelang zu verhüllen suchte.“ (USPD 1957, 59) Weiter heißt es: „…das deutsche Volk schwebt nicht minder wie das russische Volk in der größten Gefahr. Würde es wirklich gelingen, dem russischen Volk das Joch eines Vergewaltigungsfriedens aufzuerlegen, so wäre das ein Unglück nicht nur für Rußland und für die unterdrückten Polen, Litauer und Letten, sondern ein noch schlimmeres Unglück für uns… Nur ein Frieden ohne Annexion und Kontributionen auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der Völker kann uns davor retten.“ (ebd., 60f.)
Karl Kautsky, ansonsten scharfer Kritiker der Bolschewiki, betonte diesen Aspekt auch noch im März 1918:
„Nicht gegen die revolutionäre Propaganda der Bolschewiki im Ausland wendet sich unsere Kritik, sondern gegen ihre antidemokratischen Methoden im Innern, die die Revolution nicht retten, sondern verderben. Gerade das ist aber nicht dasjenige, was ihre bürgerlichen Gegner in Deutschland ihnen zum Vorwurf machen… Der Konflikt mit den Bolschewiki entspann sich vielmehr über die Frage des Selbstbestimmungsrechts der russischen Randnationen, wobei die Bolschewiki nicht als Verächter, sondern als Verteidiger der Demokratie, vor allem des allgemeinen und gleichen Stimmrechts auftraten.“ (Kautsky 2017, 207f.)
Der Massenstreik in Deutschland Ende Januar 1918 richtete sich natürlich vordergründig auf politische Forderung in Deutschland, aber diese Dimension war durchaus auch in den Forderungen der Streikenden präsent. So lautete der erste Punkt der Forderungen der streikenden Berliner Arbeiter:
„Schleunige Herbeiführung des Friedens ohne Annexion, ohne Kriegsentschädigung, auf Grund des Selbstbestimmungsrechts der Völker, entsprechend den Ausführungsbestimmungen, die dafür von den russischen Volksbeauftragten in Brest-Litowsk formuliert wurden.“ Der Punkt zwei forderte die „Zuziehung von Arbeitervertretern aller Länder zu den Friedensverhandlungen.“ (Vorwärts 1957)
Unter tatkräftiger Mitwirkung der SPD und der Gewerkschaften wurde die Streikbewegung abgewürgt. Auch das gab dem Deutschen Reich die Möglichkeit, im Februar die Kampfhandlungen wieder aufzunehmen und noch katastrophalere Bedingungen durchzusetzen.
Am 13. Februar beschließt in Deutschland der Kronrat, bestehend aus Kaiser Wilhelm II., dem Reichskanzler, Militärs und anderen Spitzenbeamten, den Krieg wieder aufzunehmen. Die davor stattfindende Diskussion zeigt, dass der deutschen Seite die Intentionen der russischen Verhandlungsführung durchaus bewußt waren. Selbst der Kaiser, nicht bekannt für sonderlich hohen politischen Instinkt, hatte das erkannt:
„Anerkanntermaßen ist Trotzki nach Brest gegangen, um Revolution und nicht Frieden zu machen, Bolschewiki wollen Revolution, wollen großen Arbeiterbrei machen. Diese Bestrebungen schlagen über Grenzen.“
Um tatsächlich aus dem Friedensschluss militärischen Handlungsspielraum zu gewinnen, sollten die baltischen Länder dazu animiert werden, sich an Deutschland mit einem Hilfeersuchen zu wenden. Damit würde, so die Berechnung, im Verein mit starkem politischen Druck auf die Arbeiter auch im Innern keine neue Welle des Widerstandes zu befürchten sein. Es ginge darum, den „revolutionären Seuchenherd“ mit Waffengewalt „auszutreten“. (vgl. Otto/Schmiedel 1977)
Bei der Abstimmung über den Vertrag am 22. März enthielt sich die SPD der Stimme, die USPD lehnte den Vertrag ab:
„Wir zweifeln keinen Augenblick, dass der Frieden, den Sie jetzt ratifizieren werden, den die Russen ratifizieren müssen, weil sie in einer Zwangslage sind, nicht zum Segen für uns ausschlagen wird.“ Der Vertrag diene dazu, „die revolutionären Bewegungen zu unterdrücken in Rußland, Finnland, um die Revolution überhaupt aufzuhalten…“ (Haase 1957, 127)
Spartakus sah in der praktischen Akzeptanz des Vertrages in den Arbeitermassen eine schreckliche Niederlage. Ein Aufruf vom März 1918 trägt die Überschrift „Der deutsche Soldat als Henker der Freiheit“:
„So ist Deutschland heute zum Gendarmen der kapitalistischen Reaktion in ganz Europa geworden und der deutsche Proletarier im Soldatenrock zum Henker der Freiheit und des Sozialismus! … Heute … rücken deutsche sozialdemokratische und gewerkschaftlich organisierte Proletarier im Osten und Norden [Finnland] ein, um die sozialistische Revolution zu erwürgen. Eine furchtbarere Tragödie, eine tiefere Schmach, eine infamere Selbstentmannung ist noch von keiner Klasse der Weltgeschichte an den Tag gelegt worden.“ (Spartakus 1957, 129)
Freilich war das nicht das letzte Wort der Geschichte.
(wird fortgesetzt)
Quellen und zum Weiterlesen
Bernstein, Eduard (2017a). Das Tilsit der Maximalisten, in: Schütrumpf, Jörn (Hrsg.): Diktatur statt Sozialismus: die russische Revolution und die deutsche Linke 1917/18, Berlin: Karl Dietz Verlag, 192–196
Bernstein, Eduard (2017b). Die internationale Politik der Maximalisten, in: Schütrumpf, Jörn (Hrsg.): Diktatur statt Sozialismus: die russische Revolution und die deutsche Linke 1917/18, Berlin: Karl Dietz Verlag, 119–123
Chwostow, W.M./Doernberg, S./Fischer, O./Kobljakow, I.K./et al. (Hrsg.) (1967). Erklärung der russischen Delegation auf der ersten Vollsitzung der Friedenskonferenz in Brest-Litowsk 9. (22.) Dezember 1917 [Dok. 52], in: Deutsch-sowjetische Beziehungen von den Verhandlungen in Brest-Litowsk bis zum Abschluß des Rapallovertrages : 1917-1918. Dokumentensammlung Bd. 1, Deutsch-sowjetische Beziehungen von den Verhandlungen in Brest-Litowsk bis zum Abschluß des Rapallovertrages ; 1. Berlin: Staatsverl. d. DDR, 167–169
Haase, Hugo (1957). Aus der Reichstagsrede Haases vom 22. März 1918 zur Ablehnung des Friedensvertrages von Brest-Litowsk durch die USPD, in: IML beim ZK der SED (Hrsg.): Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Reihe II: 1914-1945. Band 2 November 1917 - Dezember 1918, Berlin: Dietz Verlag, 126–127
Häfner, Lutz (2017). »Nur im Kampf wirst Du Dein Recht erlangen!« Sozialisten-Revolutionäre (Maximalisten) und Linke Sozialisten-Revolutionäre in der russischen Revolution 1917/18: Ideologische Grundlagen, Organisation und Handeln, in: Kellermann, Philippe (Hrsg.): Anarchismus und Russische Revolution, Berlin: Karl Dietz Verlag, 100–127
Kautsky, Karl (2017). Verschiedene Kritiker der Bolschewiki, in: Schütrumpf, Jörn (Hrsg.): Diktatur statt Sozialismus: die russische Revolution und die deutsche Linke 1917/18, Berlin: Karl Dietz Verlag, 204–209
Luxemburg, Rosa (1974). Zur russischen Revolution, in: Rosa Luxemburg Gesammelte Werke Bd. 4 August 1914 bis Januar 1919, Berlin: Dietz Verlag, 332–365
Mark, Rudolf A. (2013). Krieg an fernen Fronten : die Deutschen in Russisch-Turkestan und am Hindukusch 1914 - 1924, Paderborn [u.a.]: Schöningh
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Spartakus (1958). Und nun? Spartacus Nr. 8 vom Januar 1918, in: Spartakusbriefe, Berlin: Dietz Verlag, 411–413
Striegnitz, Sonja (1979). Deutsche Internationalisten in Sowjetrussland 1917 - 1918 : proletarische Solidarität im Kampf um die Sowjetmacht, Berlin: Akad.-Verl.
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