„Kein fruchtbares Studium des ‚Kapital‘ ist möglich ohne Geduld.“

Das Kapital – Vorwort von Karl Kautsky zur Ausgabe von 1914, Verlag von J. H. W. Dietz Nachfolger Stuttgart, 1914

Vorwort des Herausgebers

Die Tatsache, daß die Marxschen Werke vom 1. Januar 1914 an für den Nachdruck frei wurden, ließ den Wunsch erstehen, die deutsche Sozialdemokratie möge diese Gelegenheit benutzen, das für die Arbeiterklasse wichtigste Werk ihres Meisters, den ersten Band des „Kapital“, dem proletarischen Leser leichter zugänglich zu machen.

Dementsprechend forderte mich der Vorstand der deutschen Sozialdemokratie auf, eine populäre Ausgabe des ersten Bandes des „Kapital“ zu veranstalten. Mir erschien es als eine Pflicht der Pietät gegenüber dem Manne, dem ich mehr als irgendeinem andern an Erkenntnis verdanke, dieser Aufforderung nachzukommen und damit meinen Anteil an der Herausgabe des Marxschen Nachlasses abzuschließen.

Zunächst schien es, als fiele die Hauptaufgabe bei der neuen Aus­gabe der technischen Herstellung zu. Sie stellte in der Tat große An­forderungen an Sorgsamkeit und Sachkunde des Druckers und Ver­legers. Wir verdanken es der eifrigen Mühewaltung unseres Freundes Dietz und der Sorgfalt der hamburgischen Parteidruckerei Auer & Co., daß alle Schwierigkeiten nach dieser Richtung überwunden wurden.

Meine eigene Aufgabe war dagegen anscheinend ganz einfach. Ich hatte nur für die Korrektheit des Textes zu sorgen. Aber schon hierbei entstand eine Schwierigkeit. Es lag nahe, die neue Ausgabe als einen Neudruck der letzten von Engels veranstalteten, der fünften, herzustellen. Dagegen sprachen jedoch verschiedene Erwägungen, von denen die wichtigste die war, daß seit der letzten, noch von Marx selbst herausgegebenen Auflage, der zweiten, sich von Auflage zu Auflage die Druckfehler mehren, nicht geringfügige Versehen, die jeder Leser selbst verbessern kann, sondern sinnstörende Druckfehler der gröbsten Art.

So ergab zum Beispiel eine Vergleichung der fünften mit der zweiten Auflage folgende Druckfehler in jener :

Seite X: „hoffnungslose“ statt „hoffnungsvolle“ (2. Auflage, S. 814).
Seite 90: „Abwechslung mit Scheidemünze“ statt „Auswechslung" (2. Auf­lage, S. 107).
Seite 104: „Verwandlung von Naturalrente in Goldrente“ statt „Geldrente“ (2. Auflage, S. 123).
Seite 128: „Die Zirkulation ist die Summe aller Warenbeziehungen der Warenbesitzer“ statt „Wechselbeziehungen“ (2. Auflage, S. 150).
Seite 164: „Der Wert steht in direktem Verhältnis zu dem Neuwert, den er ersetzt" statt „zusetzt“ (2. Auflage, S. 191).
Seite 189: „Mehrheit" statt „Mehrarbeit“ (2. Auflage, S. 218).
Seite 198: „nämlich" statt „räumlich“ (2. Auflage, S. 229).
Seite 201: „Fabrikats" statt „Fabrikakts“ (2. Auflage, S. 232).
Seite 222: „in dem veränderlichen Prozeß“ statt „unveränderlichen" (2. Auf­lage, S. 256).
Seite 227: „Lebenskräfte“ statt „Leibeskräfte“ (2. Auflage, S. 262).
Seite 240: „Das französische Volk" statt „Arbeitervolk“ (2. Auflage, S. 277)
Seite 272: „Arbeitskraft“ statt „Arbeitszeit“ (2. Auflage, S. 313). „ 318: „In Indien“ statt „Indien“ (2. Auflage, S. 365).
Seite 355: „12 Unzen“ statt „13 Unzen“ (2. Auflage, S. 407).
Seite 362: „natürliche Entfremdung der Mütter gegen ihre Kinder“ statt „unnatürliche“ (2. Auflage, S. 415).
Seite 366: „gezählt" statt „gewählt“ (2. Auflage, S. 420).
Seite 390: „15 Shilling" statt „12 Shilling“ (2. Auflage, S. 447).
Seite 417 soll es heißen : „Die einen Teil des Erdballs in vorzugsweis agri koles Produktionsfeld (für den andern als vorzugsweis indu­strielles Produktionsfeld) umwandelt.“ Die eingeklammerten Worte stehen in der 2. Auflage und noch in der 3. Auflage, fehlen aber in der 4. und 5. Auflage.
Seite 454: „Arbeitseinteilung" statt „Arbeitsteilung" (2. Auflage, S.515).
Seite 457: „nur" statt „zwar" (2. Auflage, S. 519).
Seite 471: „Die Mehrbeträge des Feldes“ statt „Mehrerträge“ (2. Auflage, S. 529).
Seite 473: „Lederfabrik“ statt „Lehrfabrik“ (2. Auflage, S. 531).
Seite 494: „sind“ statt „ist“ (2. Auflage, S. 551).
Seite 506: „englische Oekonomie“ statt „politische Oekonomie“ (2. Auf­lage, S. 565).
Seite 511: „Arbeitstag“ statt „Arbeitszeit“ (2. Auflage, S. 567).
Seite 515: „furchtbar“ statt „fruchtbar“ (2 Auflage, S. 576).
Seite 521: „Ausspruch der Arbeiter“ statt „Anspruch“ (2. Auflage, S. 582).
Seite 530: „Dies Geld ist nur die verwandelte Form des Arbeitsprodukts (oder vielmehr eines Teiles des Arbeitsprodukts).“ Der ein­geklammerte Satz findet sich in der 2. Auflage, S. 590, er fehlt in der 4. und 5. Auflage.
Seite 614: „Glaswerke" statt „Gaswerke“ (2. Auflage, S. 675).
Seite 642 sind eine Reihe statistischer Zahlen falsch (2. Auflage, S. 705).

Dies einige Beispiele. Im ganzen habe ich an 150 derartige sinn-störende Druckfehler in der fünften Auflage gezählt, die sich in der zweiten nicht finden. Ich bürge keineswegs für die Vollständigkeit der Liste. Der eine oder andere Druckfehler mag mir wohl ent­gangen sein. Indes genügten die gefundenen Fehler schon, mir zu zeigen, daß die zweite Auflage und keine späteren zur Grundlage des herausgegeben Textes zu machen war.

Das konnte freilich nicht heißen, daß dieser Text nun unver­ändert nachgedruckt wurde.

Engels hat in den von ihm besorgten beiden Auflagen, der dritten und vierten, eine Reihe erheblicher Verbesserungen vor­genommen. Diese ignorieren, hätte geheißen, einen argen Rück­schritt machen. Sie mußten bei der Herstellung des Textes benutzt werden. Ein großer Teil dieser Verbesserungen stammte noch von Marx selbst her. Er hatte in seinem Handexemplar der zweiten Auflage eine Reihe von Anmerkungen und Zusätzen notiert, die Engels in die neuen Auflagen aufnahm. Er berücksichtigte jedoch nicht alle handschriftlichen Noten von Marx. Da mir dank dem Parteiarchiv dieses Marxsche Handexemplar zur Verfügung stand, ebenso wie das Engelssche, sowie auch das Marxsche Handexemplar der ersten Auflage, habe ich noch verschiedene von Marx ver­zeichnete Aenderungen und Zusätze aufnehmen können, die in den bisherigen Auflagen nicht berücksichtigt waren.

Die zweite große Verbesserung, die Engels außer der Aufnahme der Marxschen handschriftlichen Noten in der dritten Auflage vor­nahm, war die Berücksichtigung der französischen Uebersetzung des „Kapital". Engels selbst schrieb darüber in seinem Vorwort zur dritten Auflage:

Marx hatte anfangs vor, den Text des ersten Bandes großenteils um- zuarbeiten, manche theoretischen Punkte schärfer zu fassen, neue einzu­fügen, das geschichtliche und statistische Material bis auf die neueste Zeit zu ergänzen. Sein Krankheitszustand und der Drang, zur Schlußredaktion des zweiten Bandes zu kommen, ließen ihn hierauf verzichten. Nur das Nötigste sollte geändert, nur die Zusätze eingefügt werden, die die inzwischen erschienene französische Ausgabe (Le Capital. Par Karl Marx. Paris, La Châtre, 1873) schon enthielt.

Im Nachlaß fand sich denn auch ein deutsches Exemplar, das von ihm stellenweise korrigiert und mit Hinweisen auf die französische Ausgabe ver­sehen war ; ebenso ein französisches, worin er die zu benutzenden Stellen genau bezeichnet hatte. Diese Aenderungen und Zusätze beschränken sich, mit wenigen Ausnahmen, auf den letzten Teil des Buches, den Abschnitt: Der Akkumulationsprozeß des Kapitals. Hier folgte der bisherige Text mehr als sonst dem ursprünglichen Entwurf, während die früheren Abschnitte gründlicher überarbeitet waren. Der Stil war daher lebendiger, mehr aus einem Guß, aber auch nachlässiger, mit Anglizismen versetzt, stellenweise undeutlich; der Entwicklungsgang bot hier und da Lücken, indem einzelne wichtige Momente nur angedeutet waren.

Was den Stil betrifft, so hatte Marx mehrere Unterabschnitte selbst gründlich revidiert und mir darin, sowie in häufigen mündlichen An­deutungen, das Maß gegeben, wie weit ich gehen durfte in der Entfernung: englischer technischer Ausdrücke und sonstiger Anglizismen. Die Zusätze und Ergänzungen hätte Marx jedenfalls noch überarbeitet und das glatte Französisch durch sein eigenes gedrungenes Deutsch ersetzt; ich mußte mich begnügen, sie unter möglichstem Anschluß an den ursprünglichen Text zu übertragen.

Es ist also in dieser dritten Auflage kein Wort geändert, von dem ich nicht bestimmt weiß, daß der Verfasser selbst es geändert hätte.

Die Zusätze aus der französischen Ausgabe sind sehr wichtig, Marx selbst legte ihnen große Bedeutung bei, wie aus seinem Nach­wort zu dieser Ausgabe erhellt, das vom 25. April 1875 datiert ist. Dieses Datum bezeugt, nebenbei gesagt, daß es einem Versehen oder einem Druckfehler zuzuschreiben ist, wenn in der eben zitierten Engelsschen Vorrede als Erscheinungsjahr der französischen Ueber­setzung 1873 angegeben wird.

So wie die zweite Auflage des deutschen Originals, erschien die französische Uebersetzung in Lieferungen. Es dauerte drei Jahre, bis die Ausgabe zum Abschluß kam. Die Vorrede ist vom 18. März 1872 datiert, das Nachwort, wie wir eben gesehen, vom April 1875. Beide verdienen, in einer Neuausgabe des „Kapital" neben den deutschen Vorreden ihren Platz zu finden.

Das Vorwort zur französischen Ausgabe ist an den „Bürger Maurice La Châtre“, den Verleger, gerichtet und lautet:

Lieber Genosse (citoyen)!

Ihre Absicht, die Uebersetzung des „Kapital“ in periodischen Liefe­rungen herauszugeben, findet meinen vollsten Beifall. In dieser Form wird das Werk der Arbeiterklasse leichter zugänglich, und diese Erwägung ist für mich entscheidend.

Das ist die schöne Seite Ihrer Medaille. Nun aber die andere Seite: Die Untersuchungsmethode, deren ich mich bediente und die bisher noch nicht auf ökonomische Fragen angewandt wurde, macht das Lesen der ersten Kapitel recht schwierig. Es ist zu fürchten, daß das französische Publikum, das stets ungeduldig nach den Schlußfolgerungen drängt, begierig, zu erfahren, in welchem Zusammenhang die allgemeinen Prinzipien mit den Fragen stehen, die es unmittelbar erregen, abgeschreckt wird, wenn es sich beim Lesen aufgehalten sieht.

Gegen diesen Nachteil kann ich nicht mehr tun, als die nach Wahrheit dürstenden Leser von vornherein darauf aufmerksam zu machen und dagegen zu wappnen. Es gibt keine breite Heerstraße (route royale) zur Wissenschaft, und nur jene dürfen erwarten, ihre lichtvollen Gipfel er­reichen zu können, die nicht vor der Mühe zurückschrecken, ihre steilen Pfade zu erklimmen.

Ihr ergebener Karl Marx.

Das Nachwort ist betitelt: Avis au lecteur, Wink für den Leser:

Herr J. Roy hatte es unternommen, die Uebersetzung so genau und selbst so wörtlich als möglich zu geben. Er hat seine Aufgabe gewissenhaft erfüllt. Aber gerade seine Gewissenhaftigkeit und Treue veranlaßten mich, den Wortlaut mitunter zu ändern, um ihn für den Leser leichter verständlich zu machen. Diese Umänderungen mußten zeitweise eilig gemacht werden, da das Buch in Lieferungen erschien, sie wurden nicht immer mit gleicher Sorgfalt vollzogen und verursachten daher Ungleichmäßigkeiten des Stils.

Da ich mich einmal an diese Arbeit der Revision gemacht hatte, so fühlte ich mich veranlaßt, sie auch auf die Grundlage des Textes — die zweite deutsche Auflage — auszudehnen, einzelne Ausführungen zu ver­einfachen, andere zu vervollständigen, historische oder statistische Zusätze zu machen, kritische Bemerkungen hinzuzufügen usw. Mag die vorliegende französische Ausgabe ihre literarischen Mängel haben, sie besitzt neben dem Original einen besonderen wissenschaft­lichen Wert und sollte daher auch von Lesern benutzt werden, die mit der deutschen Sprache vertraut sind...

Karl Marx

Man sieht, daß durch die Berücksichtigung der französischen Uebersetzung der wissenschaftliche Wert auch des deutschen Originals erhöht wurde. Ich glaubte aber nicht, wie Engels, dabei an jene Stellen der Uebersetzung gebunden zu sein, die Marx selbst bezeichnet hatte. Meine Stellung ihr gegenüber war eine andere als die von Marx und Engels. Diese hatten sie nur daraufhin an­gesehen, inwieweit sie einen wissenschaftlichen Fortschritt be­deutete. Für mich kam noch ein anderer Gesichtspunkt in Betracht: die leichtere Verständlichkeit der französischen Ausgabe. Marx hatte damit gerechnet, daß er bei den französischen Arbeitern weniger geduldige Leser finden werde, als bei den deutschen, und getrachtet, ihnen die Lektüre stellenweise zu erleichtern. Ich fühlte mich berechtigt, wo ich solche Stellen fand, sie auch für die Gestal­tung des deutschen Textes zu benutzen, denn meine Aufgabe war es, ihn leichter verständlich zu gestalten, so weit dies ohne Antastung der Tiefe und des Charakters des Werkes möglich war.

Ich habe aber in der französischen Uebersetzung neben redak­tionellen Aenderungen auch noch einige Zusätze gefunden, die Marx in seinem Handexemplar nicht verzeichnet und Engels daher nicht in die deutsche Ausgabe aufgenommen hatte, die mir aber doch von Bedeutung erschienen.

Und wie in der Auswahl der einzelnen Stellen fühlte ich mich auch in ihrer Uebersetzung nicht an Engels gebunden, weil auch da für mich der Gesichtspunkt der leichten Verständlichkeit zur Gel­tung kam. Aber daß ich die klassische Engelssche Uebersetzung möglichst oft akzeptierte, ist selbstverständlich.

Es erhob sich die Frage, ob die der französischen Uebersetzung entnommenen Aenderungen nicht besonders als solche kenntlich gemacht werden sollten, etwa durch Einklammerung. Engels hat davon abgesehen, und ich glaube, er tat recht daran. Nicht immer sind die durch die Uebersetzung veranlaßten Aenderungen einfache Zusätze. Sie erforderten häufig Umwandlungen einzelner Sätze. Weglassungen einzelner Partien; manchmal wieder betreffen sie nur einzelne Worte. Hier überall anzuzeigen, wo und was geändert worden, hätte den Leser sehr gestört. Was Engels für seine Aus­gabe nicht für notwendig hielt, wurde erst recht entbehrlich, ja überflüssig für eine populäre Ausgabe, die von aller Pedanterie absehen muß.

Für die vierte Auflage benutzte Engels neben der französischen auch noch die englische Uebersetzung, die 1887 erschien. Für diese hatte, wie Engels in seinem Vorwort zu ihr berichtet, Eleanor Marx­Aveling „die Zitate mit den Originalen verglichen und bei den zahl­reichen Stellen, die englischen Autoren und Blaubüchern entnommen und von Marx ins Deutsche übertragen waren, keine Rückübersetzung vorgenommen, sondern den englischen Originaltext hergestellt“. Außerdem hatte F. A. Sorge, Hoboken, den Uebersetzern ein Marx- sches Manuskript zur Verfügung gestellt, in dem Marx ungefähr zehn Jahre vor dem Erscheinen der englischen Uebersetzung (also um das Jahr 1877 herum) Anweisungen für eine englische Ausgabe gegeben hatte, Anweisungen, die zum größten Teil durch spätere. mündliche Anweisungen von Marx an Engels für die dritte Auflage überholt waren, so daß Engels sie nur wenig benutzte.

Die Vergleichung der zitierten Stellen mit den Originalen ebenso-wie die Herstellung der englischen Originale an Stelle der deutschen Uebersetzungen veranlaßte einige Korrekturen in der englischen Ausgabe.

In seiner Vorrede zur vierten Auflage bemerkt Engels darüber:

Es fanden sich mancherlei kleine Ungenauigkeiten. Hinweise auf un­richtige Seitenzahlen, teils beim Kopieren aus den Heften verschrieben, teils im Verlauf von drei Auflagen gehäufte Druckfehler. Unrichtig gesetzte Anführungszeichen oder Lückenpunkte, wie dies bei massenhaftem Zitieren aus Auszugsheften unvermeidlich. Hier und da ein weniger glücklich gewähltes Uebersetzungswort. Einzelne Stellen zitiert aus den alten Pariser Heften 1843-45, wo Marx noch kein Englisch verstand und englische Oekonomen in französischer Uebersetzung las; wo dann der doppelten Uebersetzung eine leichte Aenderung der Klangfarbe entsprach, zum Bei­spiel bei Steuart, Ure und andern — wo jetzt der englische Text zu benutzen war. Und was dergleichen kleine Ungenauigkeiten und Nachlässigkeiten mehr sind.

Wenn man nun die vierte Auflage mit den vorigen vergleicht, so wird man sich überzeugen, daß dieser ganze mühsame Reinigungsprozeß an dem Buche aber auch nicht das geringste geändert hat, das der Rede wert ist. Nur ein einziges Zitat hat nicht gefunden werden können, das aus Rich. Jones, (4. Auflage, S. 562, Note 47). Marx hat sich wahrscheinlich im Titel des-Buches verschrieben. Alle andern behalten ihre volle Beweiskraft oder verstärken sie in der jetzigen exakten Form.

Dieser „ganze mühsame Reinigungsprozeß“ ist sicher sehr dankenswert und höchst nützlich gewesen. Indes blieb mir noch eine Nachlese übrig.

Die Bemerkung, Eleanor Marx habe „sämtliche angeführten Stellen mit den Originalen verglichen“, bezieht sich offenbar nur auf die Zitate aus englischen Quellen. Soweit es mir möglich war, habe ich auch die andern Zitate des Textes mit den Originalen verglichen, inbegriffen solche, bei denen die Stellen, in denen sie zu finden, nicht angegeben waren, wie zum Beispiel das Zitat aus Aristoteles, S. 26. Nicht immer konnte ich mich den Aenderungen Marxscher Uebersetzungen anschließen, die Engels vollzog. So übersetzte Marx den Satz: „The refractory hand of labour will always be taught docility“ mit: „(Das Kapital) zwingt die rebellische Hand der Industrie zum Gehorsam“. Engels änderte das in: „zwingt die rebellische Hand der Arbeit zur Gelehrigkeit“. Die Ersetzung der „Industrie“ durch „Arbeit“ bedeutete sicher eine Verbesserung. Dagegen konnte ich es nicht als solche anerkennen, wenn „docility“ durch „Gelehrigkeit“ übersetzt wurde. „Gehorsam“ war allerdings nicht ganz genau. Ich habe „Fügsamkeit“ gewählt (S. 380 der vorliegenden Ausgabe).

Die Benutzung der französischen Ausgabe des „Kapital“ hat ebenfalls hier und da eine neue Ungenauigkeit hervorgerufen. So übersetzt Marx dort auf S. 222 einen Satz aus J. St. Mills „Principles of Political Economy“, London 1860, S. 253, folgendermaßen:

Je présuppose toujours l'état actuel des choses, qui prédomine univer­sellement à peu d'exceptions près, c'est à dire que le capitaliste fait toutes les avances y inclus la remunération du travailleur.

Dazu bemerkt Marx:

Etrange illusion d'optique de voir universellement un état de choses qui n'existe encore que par exception sur notre globe.

Engels gibt das Zitat aus Mill mit den Worten wieder:

Ich setze überall den gegenwärtigen Stand der Dinge voraus, der bis auf wenige Ausnahmen überall herrscht, das heißt, daß der Kapitalist alle Vorschüsse macht, die Bezahlung des Arbeiters inbegriffen.

Die Marxsche Bemerkung dazu lautet in der Engelsschen Ueber­setzung :

Seltsame optische Täuschung, überall einen Zustand zu sehen, der bis jetzt nur ausnahmsweise auf dem Erdball herrscht.

Diese Uebersetzungen sind sicher vollkommen korrekt, Engels hätte sie aber nicht niedergeschrieben, wenn er Mill nicht aus der französischen Uebertragung, sondern aus dein englischen Original übersetzt hätte. Dort heißt es:

I assume throughout the state of things which, where the labourers and capitalists are separate classes, prevails, with few exceptions, universally etc.

Das heißt:

Ich setze überall den Stand der Dinge voraus, der dort, wo Arbeiter und Kapitalisten verschiedene Klassen bilden,
bis auf wenige Ausnahmen, allgemein herrscht, usw.

 

Der gesperrt gedruckte Satz ist von Marx offenbar übersehen worden, als er den schriftlichen Auszug aus dem Werk für seine Hefte machte. Er gibt dem Millschen Passus einen bedingten Sinn, der die Marxsche Kritik gegenstandslos macht. Ich habe sie daher in der vorliegenden Ausgabe weggelassen, was ich um so eher durfte, als sie mit dem Gegenstand, den Marx dort behandelt, nur lose zusammenhängt.

Gelegentlich habe ich mir erlaubt, Marx selbst zu korrigieren. Er schreibt in der zweiten Auflage auf S. 123/124 (vorliegende Aus­gabe S. 99):

Aus dem Gesetz über die Umlaufsgeschwindigkeit der Zahlungsmittel folgt, daß für alle periodischen Zahlungen, welches immer ihre Quelle, die notwendige Masse der Zahlungsmittel in umgekehrtem Verhältnis zur Länge der Zahlungsperioden steht.

Das Beispiel, das er zur Illustrierung des Satzes in der Fußnote aus Petty zitiert, beweist jedoch das Gegenteil. Je kürzer die Zahlungsperiode, desto geringer die notwendige Masse der Zahlungs­mittel. Sie ist bei wöchentlicher Zahlung viel kleiner als bei viertel­jährlicher. Hier liegt offenbar ein Schreibfehler vor. Es muß heißen: „In geradem Verhältnis“.

Und ebenso beruht es wahrscheinlich auf einem Schreibfehler, wenn es auf S. 193 (S. 158 der vorliegenden Ausgabe) heißt, daß ein Produktionsmittel ganz in den Arbeitsprozeß eingehen kann, das nur zum Teil in den Verwertungsprozeß eintritt. Das ist richtig, gilt aber nicht bloß für den Verwertungsprozeß, sondern für jeden Wertbildungsprozeß. Ich habe daher letzteres Wort an Stelle des ersteren gesetzt.

Das sind natürlich nur ganz untergeordnete Aenderungen. Ich kann auch von meinem „Berichtigungsprozeß“ nur wiederholen, was Engels von dem seinen sagt, daß er „an dem Buche aber auch nicht das geringste ändert, das der Rede wert ist“.

Neben dem Berichtigungsprozeß war ein Reinigungsprozeß zu vollziehen, die Reinigung von Ausdrücken, die aus fremden Sprachen entnommen waren. Wie bei der bisher geschilderten redaktionellen Tätigkeit, folgte ich auch hier den Spuren der Arbeit, die schon Engels bei seiner Herausgabe geleistet, aber auch hier fühlte ich mich berechtigt, weiter zu gehen, als Engels getan, weil meine Aufgabe nicht mit der seinen zusammenfiel.

Der Kampf gegen die Fremdworte hatte vor allem in einer Aus­merzung von Anglizismen zu bestehen, das heißt von Worten und Wendungen, die dem Englischen entnommen waren.

Für Marx war zur Zeit der Niederschrift des „Kapital“ das Englische ebenso geläufig wie das Deutsche. Seinen in England aufgewachsenen Kindern war das Englische die vertrauteste Sprache geworden, so wurde es auch für Marx die Sprache des täglichen Verkehrs. Das bewirkte, daß ihm oft unbewußt das Englische näher lag als das Deutsche. Dazu kam aber auch eine bewußte Bevor­zugung in manchen Dingen. Zur Zeit seiner Studien war Eng­land das einzige Land, das einen entwickelten Kapitalismus und eine Entwicklung der Theorie des Kapitalismus aufwies. Die Materialien wie die Terminologie, die Kunstsprache, seiner Wissen­schaft waren fast ausschließlich englisch. Zu alledem kam endlich, daß Marx bei seiner gleichmäßigen Beherrschung der drei großen Sprachen Westeuropas in einem gegebenen Moment am liebsten zu jener griff, die seinen Zwecken gerade am besten entsprach, seinen Gedanken den präzisesten, feinsten oder kraftvollsten Ausdruck verlieh. Da lehnte er sich auch, wenn er Deutsch schrieb, mitunter an eine französische oder, und zwar mit Vorliebe, englische Wen­dung an, nicht aus Versehen oder Vergeßlichkeit, sondern mit Ab­sicht, um die Wirkung seiner Worte zu verstärken. Seine Anglizismen sind ein wesentlicher Bestandteil seines Stils geworden, ohne sie hätte er nicht seine so packende und treffende Eigenart erlangt.

Aber nicht alle seine Anglizismen sind dieser Art; es gab welche, die entbehrlich, ja schädlich erscheinen, weil sie bei dem des Englischen nicht kundigen Leser leicht Mißverständnisse hervor­rufen können.

Marx hatte schon nach dem Erscheinen der zweiten deutschen Auflage begonnen, den Text von Anglizismen letzterer Art zu reinigen. Wie Engels in der bereits zitierten Stelle aus seiner Vor­rede zur dritten Auflage erzählt, hatten beide sich auch darüber ver­ständigt und Engels war mit der Reinigungsarbeit fortgefahren.

Ich habe selbstverständlich die von den beiden vollzogenen Aenderungen des Textes der zweiten Auflage vollständig akzeptiert, glaubte aber auch hier auf dem von den beiden beschrittenen Wege weitergehen zu dürfen und müssen als sie, aus dem schon früher angeführten Grunde, weil für die vorliegende Ausgabe der Grund­satz der Leichtverständlichkeit eine größere Rolle spielte. Außer­dem aber war Engels, wenn auch nicht in so hohem Grade wie Marx, doch auch so sehr im englischen Leben aufgegangen, daß ihm ein Anglizismus nicht immer auffiel. Er hat noch manchen im „Kapital“ stehen gelassen, der auszumerzen war.

So wird zum Beispiel noch in der vierten Auflage, S. 139, von der Lehre Benthams gesprochen, daß der Eigennutz die einzige Macht sei, die die Menschen zusammenbringt, wobei „jeder nur für sich und keiner für den andern kehrt“. Dieses Kehren gibt kaum einen Sinn, wenn man es nicht in Verbindung bringt mit dem eng­lischen care, sorgen.

Auf S. 219, Note 91, heißt es: „Die Nervenkraft verliert ihren Ton.“ Hier schwebte Marx das englische Tone, lateinisch Tonus, Spannkraft, vor.

In derselben Note ist von „plastischem Blute“ die Rede. Gemeint ist „stoffbildendes Blut“.

Auf S. 221 wird der Satz: „Slept on the floor of the furnace", „ich schlief auf dem Fußboden des Hochofens“, über­setzt mit: „Schlief auf dem Flur“, welche niederdeutsche Form den französischen Uebersetzer verführte, zu schreiben: „J'ai dormi dans les champs“, „ich schlief auf freiem Felde“.

Earthenware, irdenes Geschirr, wird auf S. 257 und 260 als „Erdenware“ bezeichnet, S. 441 gar als „Erdengut“.

Auf S. 300 spricht Marx von der Manufakturperiode, die „rauh angeschlagen“, vom 16. bis ins 18. Jahrhundert währt. Dieses rauh ist das englische rough, das nicht nur rauh bedeutet, sondern auch ungefähr.

Oefters gebraucht Marx das Wort „untergehen“, wo er nicht ein Zugrundegehen, sondern ein Durchmachen bezeichnen will, wofür der Engländer das Wort undergo anwendet. Einige Male hat Engels in der dritten und vierten Auflage dieses verbessert, aber nicht durchgehends.

Aus dem Französischen wieder ist das Wort „einrollieren“ ent­nommen (enroler, anwerben). Auch das hat Engels gelegentlich verdeutscht, aber hin und wieder stehen lassen, so S. 426, Fuß­note: „Darunter 1286 Arbeiterinnen, vom 5. Jahre an einrolliert.“ Oder S. 609: „In die aktive Arbeiterarmee einrolliert.“

S. 456 wird der Satz: „He always felt restless at night“ mit den Worten wiedergegeben: „Er fühle sich stets rastlos des Nachts.“ Gemeint ist, er fühle sich stets beunruhigt, durch den Gedanken an die Konkurrenz der andern.

Auf S. 564 wird Liquors, Flüssigkeiten, übersetzt mit „Liköre“: „Ihr Getränk besteht aus Wasser oder ähnlichen schwachen Likören.“ (Their drink is either water or some other small liquors.)

Auf S. 636 ist die Rede von einem Arbeitslosen, der nichts besitzt als ein „Kluster Pfandzettel“. Das englische Wort Cluster bezeichnet ein Bündel oder einen Haufen.

Die auffallendsten Anglizismen hat Engels freilich beseitigt. So sprach in der zweiten Auflage Marx noch von der Einzäunung inner­halb eines Pfahls (pale), was Engels durch „Umpfählung“ ersetzte. (4. Auflage, S. 701.)

Den Satz: „All residence of agricultural population in a parish is glaringly an addition to its poor rates“ übersetzte Marx mit: „Alle Residenz einer Ackerbaubevölkerung in einer Pfarrei ist augen­scheinlich ein Zuschuß zu ihrer Armensteuer.“ (2. Auflage, S. 713.)

Die Residenz von Landarbeitern erschien Engels doch ein zu großer Anglizismus. Er ersetzte das Wort „Residenz“ durch das Wort „Ansässigkeit“. (4. Auflage, S. 649.) Indes scheint mir der Satz, daß „alle Ansässigkeit einer Ackerbaubevölkerung einen Zu­schuß zu ihrer Armensteuer bedeutet“, noch nicht hinlänglich klar zu sein. Unter einem „Zuschuß“ zu einer Armensteuer braucht man doch nicht eine Vermehrung der Armenlast zu verstehen. Ich habe daher dem Satz die Form gegeben: „Jede Niederlassung von Land­arbeitern in einer Pfarrei bedeutet offenbar eine Vermehrung ihrer Armensteuer.“

Auf S. 720 (2. Auflage) hatte Marx geschrieben, die „Landlords lassen dem armen Nest frei zur Ader“. Freely bedeutet im Eng­lischen aber nicht bloß „frei“, sondern auch „reichlich“, und dies war es offenbar, was Marx sagen wollte. Engels ersetzte das „frei“ in der 4. Auflage (S. 655) durch „flott“. In der englischen Uebersetzung des „Kapital" heißt es im Auszug aus Dr. Hunter: „The absentee landlords bleed this poor rookery too freely.“ Ich glaube, dies wird am besten nicht durch „flottes“, sondern durch „allzu reich­liches“ Aderlassen bezeichnet. Diese Form habe ich auch gewählt.

Weitere Beispiele anzuführen, wäre zu ermüdend. Die mit­geteilten dürften genügen, zu zeigen, daß die Ausmerzung der Anglizismen keine so einfache Sache war, um so mehr, als man sich vor Uebertreibungen hüten mußte. Man durfte dabei nicht so weit gehen, daß die Eigenart und Kraft der Marxschen Sprache auf­gehoben wurde. Anglizismen, von denen anzunehmen war, sie seien bewußt gewollt, und bei denen ein Mißverständnis nicht zu erwarten war, habe ich stehen gelassen. Natürlich war es nicht in jedem ein­zelnen Falle leicht, zu entscheiden, ob man den vorgefundenen Text stehen lassen oder ändern solle.

Fast noch größere Schwierigkeiten boten die sonstigen Fremd­worte, die Marx reichlich angewandt hat. Das hängt zum Teil mit seiner Gewohnheit zusammen, in englischer Sprache zu denken. Der Engländer gebraucht weit mehr Fremdworte, namentlich lateinische, als wir. Ein anderer großer Teil der von Marx gebrauchten Fremd­worte ist aber der Gelehrtensprache, namentlich der Sprache der Philosophen und der Mathematiker entnommen.

Alle diese Fremdworte über einen Kamm zu scheren und zu verdeutschen, ging nicht an. Sicher gibt es eine Menge unter ihnen, die ohne weiteres durch deutsche Worte ersetzt werden können. Sie finden bloß deshalb Anwendung, weil die Gelehrten an sie ge­wöhnt sind, sie ihnen als vertrautes Handwerkszeug näher zur Hand liegen, als die entsprechenden Worte der Umgangssprache, die sie erst suchen müssen, wobei es nicht immer leicht ist, das geeignete Wort zu finden, das dem gelehrten Kunstausdruck entspricht. Eine gelehrte Arbeit ohne Fremdworte zu schreiben, ist unter Umständen ein mühseligeres Geschäft, als sie mit Fremdworten zu spicken. Dem Unerfahrenen wird freilich das letztere mehr imponieren und auch den Anschein erwecken, als stecke weit mehr Arbeit darin.

Wer aber für Arbeiter schreiben will, für ein Publikum, dem die Vertrautheit mit der Sprache der Gelehrten fehlt, der darf sich die Mühe nicht verdrießen lassen, für alle entbehrlichen Fremd­worte die entsprechende deutsche Bezeichnung zu suchen.

Diese Notwendigkeit wurde bereits von Marx anerkannt. Hatte ihn bei der Abfassung des Textes des „Kapital“ zunächst ganz die Aufgabe gefangen genommen, den ganzen ungeheuren Stoff zu be­wältigen und zu gliedern, wobei es ihm nur auf die Genauigkeit und nicht auch auf die leichte Verständlichkeit seiner Worte ankam, so trachtete er später, sobald er erst einmal diese schwere Aufgabe ge­löst, auch den Gesichtspunkt der leichteren Verständlichkeit mehr zur Geltung kommen zu lassen. Die zweite deutsche Auflage und dann die französische Uebersetzung schreiten darin immer weiter fort.

Freilich ist es noch mehr die Art der Darstellung als die Reini­gung von Fremdwörtern, die Marx da beschäftigt. Indes blieb er nicht blind für die Notwendigkeit der letzteren Aufgabe. Hier und da gab er in Noten seines Handexemplars der zweiten Auflage Hin­weise, wie Fremdworte durch deutsche Worte ersetzt werden könn­ten. So finden wir dort auf S. 13 das Wort „das Residuum“ (der Arbeitsprodukte) durchstrichen und darüber geschrieben: „den Rest“. Auf derselben Seite weiter unten statt „abstrakt mensch­liche Arbeit“ „schlecht hin menschliche Arbeit“. Und vorher schon, auf S. 11, durchstrich er das Wort: „contradictio in adjecto“ und ersetzte es durch: „Widersinn“.

Leider wurde er durch andere Aufgaben offenbar wieder ab­gelenkt; so hat er diese Verdeutschungen nicht weiter verfolgt. Und Engels hat auch diese Ansätze nicht beachtet. Wir finden in der vierten Auflage noch die contradictio in adjecto (S. 3), wie das Residuum (S. 4).

Für die gelehrte Welt wären diese Verdeutschungen auch höchst überflüssig. Wohl aber erschien es mir eine Hauptaufgabe bei der Herstellung einer populären Ausgabe zu sein, in solchen Verdeut­schungen so weit zu gehen, als es möglich war, ohne die Genauig­keit und Schärfe der Gedanken zu schädigen.

Dabei blieb indes immer noch eine Fülle von Fremdworten, die durch deutsche nicht ersetzbar waren. Jede Wissenschaft ist ge­nötigt, sich im Laufe ihres Fortschritts eine eigene Sprache zu schaffen. Die gewöhnliche Umgangssprache bezeichnet nur die Er­scheinungen der Oberfläche. Sobald man tiefer gräbt, stößt man auf Begriffe, für die in der herkömmlichen Sprache die Worte fehlen. Entweder muß man zu ihrer Bezeichnung neue Worte erfinden oder hergebrachten, die man irgendeiner Sprache, meist der lateinischen oder griechischen entnimmt, einen besonderen Sinn geben, der mit ihrem ursprünglichen nicht völlig zusammenfällt, der daher durch eine bloße Uebersetzung nicht genau wiederzugeben ist. Immerhin wird das Verständnis solcher Bezeichnungen erleichtert, wenn man erfährt, was sie in ihrem gewöhnlichen Sinne bedeuteten.

Solche Fremdworte durfte man natürlich nicht ausmerzen. Und ich glaubte auch manche, die durch deutsche ersetzbar waren, nicht entfernen zu dürfen, wenn sie für die Marxsche Ausdrucksweise be­zeichnend und bereits fester Bestandteil des Sprachschatzes der marxistischen Literatur geworden sind, so daß sich jeder mit ihnen vertraut machen muß, der dieser Literatur näher treten will. Um solche Worte leichter verständlich zu machen, habe ich jedem von ihnen dort, wo es zum ersten Male auftritt, als Erläuterung das seinem Sinne am meisten nahekommende deutsche Wort beigefügt, in eine eckige Klammer eingeschlossen. Nur selten, wo es ganz unmöglich schien, das Fremdwort mit einem oder zwei Worten verständlicher zu machen, habe ich die Zuflucht zu einer Fußnote genommen. Die von mir herrührenden Noten sind mit einem K. gezeichnet. Wo ich fürchtete, die Beifügung der Verdeutschung würde den Fluß der Darstellung unnötigerweise hemmen und stören, habe ich von solcher Beifügung abgesehen.

Darüber, welche Worte einer erläuternden Beifügung bedurften, wird man in einzelnen Fällen verschiedener Meinung sein können. Man konnte nicht etwa jedes Wort als Fremdwort auffassen, das aus einer fremden Sprache stammt. Es gibt Worte, die aus einer andern Sprache stammen, sich aber so eingebürgert haben, daß sie uns weniger fremd sind als manches deutsche Wort. Was der Juni ist, weiß jedermann. Der Brachmond ist weit weniger bekannt. Für den gewöhnlichen deutschen Leser müßte man eher das deutsche Wort durch das lateinische übersetzen, als umgekehrt.

Für welche Fremdworte eine Uebersetzung oder Erläuterung notwendig erscheint, wird davon abhängen, welche Kenntnisse man bei den Lesern des „Kapital“ voraussetzt. Nun darf man wohl an­nehmen, daß sich nur intelligente Arbeiter an dessen Lektüre heran­machen, die schon aus der Zeitungsliteratur mit zahlreichen Fremd­worten vertraut sind. Aber niemand liest eine Zeitung mit dem Fremdwörterbuch in der Hand. Bei der Hast, mit der man sie zu lesen pflegt, führt die Anwendung zahlreicher Fremdworte in ihnen leicht nicht zu vermehrtem Verständnis solcher, sondern zur Gewohnheit, über unverstandene Worte hinwegzuhuschen, deren Sinn man halb errät, halb mißversteht, um sie dann ebenso halb richtig, halb verkehrt anzuwenden.

Gerade die Gewohnheit, mit den Fremdwörtern in der Zeitung so zu verfahren, legt die Gefahr nahe, daß der Leser sich auch im „Kapital“ mit Wörtern, die ihm nicht geläufig sind, in gleicher Weise abfindet. Darum erschien es mir angezeigt, bei den Erläuterungen von Fremdwörtern lieber zu viel als zu wenig zu geben. Allerdings, öfter vorkommende Fremdworte jedesmal zu erläutern, erschien mir überflüssig.

Wem ich bei den Uebersetzungen und Erläuterungen von Fremdworten nicht weit genug ging, dem muß ich dringend den Gebrauch eines Fremdwörterbuches anraten, etwa die neue Auflage des Liebknechtschen. Eine Reihe Erläuterungen von Eigennamen, darunter auch solche wie Maritorne, Bill Sykes, Pindar, Fortunatus, sind im Namenregister gegeben, auf das ich noch zu sprechen komme. Unmöglich war es, etwa noch zu erklären, was zum Beispiel der Gral bedeutet. Das hätte unerträgliche Störungen im Text gegeben und das Buch wäre schließlich zu einem Konversationslexikon angeschwollen. Wo sich eine Erläuterung mit einem Wort machen ließ, hat Marx selbst eine solche mitunter in der französischen Uebersetzung ein­gefügt. So bemerkte er über die Wittib Hurtig, sie sei die Freundin Falstaffs gewesen (französische Uebersetzung, S. 18, 4. Auflage S.14). Derartige Zusätze habe ich natürlich aus der französischen Ueber­setzung übernommen und nach ihrem Vorbild auch selbst einige gemacht, aber nur dort, wo es sich ohne Aufdringlichkeit und ohne Störung des Zusammenhanges mit einem Wort bewerkstelligen ließ.

Ganz verzichtet habe ich auf erläuternde Noten, die das von Marx vorgebrachte Tatsachenmaterial, das jetzt ein halbes Jahrhundert alt ist, bis auf die neueste Zeit fortführen und ergänzen. Es ist kein Zweifel, daß das Buch an Brauchbarkeit durch solche Noten sehr gewinnen würde, auch schreien manche Stellen geradezu nach einer Fortsetzung und Ergänzung. Ich hegte denn auch die Absicht, wie schon Engels vor mir getan, ergänzende Noten zu geben. Ich hatte damit bereits begonnen, kam aber von meinem Vorhaben wieder ab.

Diese Noten wären sehr einfach dort, wo die neueren Verhält­nisse eine bloße Fortsetzung der von Marx geschilderten sind. Aber in dem halben Jahrhundert, das seitdem verflossen, sind die mannig­fachsten Aenderungen eingetreten. England hat sein Industrie­monopol verloren, es wird immer mehr von Deutschland und den Vereinigten Staaten überflügelt. Die herrschende Rolle der Textil­industrie hat aufgehört, die Technik hat enorme Umwälzungen durchgemacht usw. Diese ganze Entwicklung bildet die glänzendste Bestätigung des „Kapital“, sie wird durch dieses erst vollständig verständlich, aber sie ist keine geradlinige, sondern eine dialektische Entwicklung.

Die Fortsetzung der Ausführungen des „Kapital“ bis in die Gegenwart müßte zeigen nicht nur, daß dieselben Tendenzen heute wie damals herrschen, sondern auch wo und warum ihre Er­scheinungsformen andere geworden sind. Das ließe sich in einzelnen kurzen Noten nicht machen, das würde eine Reihe Monographien über die verschiedensten Gebiete erheischen. Es ist fraglich, ob das ungeheure Material, das die rapide Ausdehnung und Umwälzung des Kapitalismus in dem letzten halben Jahrhundert geliefert, selbst durch eine so gewaltige Arbeitskraft, wie die von Marx, noch all­seitig bewältigt werden könnte. Selbst das vornehmlich auf England beschränkte Material des „Kapital“ hätte Marx nicht so meisterhaft beherrschen können ohne Engels Mithilfe. Es ist ganz ausgeschlossen, daß einem der heute Lebenden das gleiche für den modernen inter­nationalen Kapitalismus gelingt. Und wenn es gelänge, gäbe das ein Werk für sich, keine bloße Illustrierung des „Kapital“.

Werden aber die erläuternden Noten nicht in ausreichender Vollständigkeit, sondern nur dort gegeben, wo sie kurz und leicht zu fassen sind, dann liegt die Gefahr nahe, daß sie das Gegenteil dessen erzielen, was sie bewirken sollen. Sie erwecken einen falschen Eindruck, wenn sie gerade dort schweigen, wo am meisten neu zu sagen wäre. Der Leser glaubt dann, in der neuen Ausgabe nicht bloß zu erfahren, wie die Dinge vor fünfzig Jahren lagen, sondern auch, wie sie heute liegen, und wird dabei in allen Punkten im Stiche gelassen, in denen sich die wichtigsten Veränderungen vollzogen haben.

Selbst Engels hat in seinen ergänzenden Noten zur dritten und vierten Auflage auch nicht annähernd nach Vollständigkeit ge­trachtet, sondern nur hier und da, wo er sich gerade dazu angeregt fühlte, eine ergänzende Bemerkung gemacht. Das mochte auch vor einem Vierteljahrhundert genügen, wo die Veränderungen gegen­über den Marxschen Schilderungen noch nicht so weit gediehen waren.

Natürlich durfte ich nicht von diesen Engelsschen Noten absehen. Die Neuausgabe sollte nirgends ärmer sein als ihre Vorgänger. Ich mußte die Engelssehen Zusätze benutzen. Aber ihnen gegenüber galten nicht die Bedenken, die ich eben dargelegt. Etwaige Ver­änderungen der letzten Jahrzehnte darzulegen, war hier stets mit wenigen Worten möglich, wo es überhaupt notwendig wurde. Ich habe überall dort die erforderlichen Zusätze gemacht.

Darüber hinauszugehen, das Marxsche Gesamtwerk zu moderni­sieren, fühlte ich mich als sein Herausgeber weder berufen noch berechtigt. Bei aller Aktualität, die es heute noch erfüllt und es zum lebenskräftigsten Werke unserer Literatur macht, ist es doch ein historisches Dokument und als solches zu lesen. Der Leser darf nie vergessen, daß es einer andern Zeit entstammt als der heutigen, der Zeit des Industriemonopols Englands, des Manchestertums, des Freihandels, der Zeit, in der der Liberalismus und nicht die Sozial­demokratie der Angelpunkt war, um den sich alle Politik drehte.

Wenn Marx im „Kapital“ von „jetzt“ spricht, bezieht sich das indes nicht immer auf das gleiche Jahr. Die erste Auflage wurde 1867 fertiggestellt, die zweite 1872, das letzte Heft der französischen Uebersetzung 1875. Jede dieser Ausgaben brachte Neuerungen und Zusätze. Verschiedene Sätze und Noten in den späteren Auflagen rühren also aus verschiedenen Zeiten her. Wo sie von „jetzt“ sprechen, wurde es daher notwendig, in jedem Falle festzustellen, welches Datum damit gemeint ist.

So wenig aber wie den historischen, wollte ich den lokalen Cha­rakter des Werkes antasten. Wohl wirkt es sehr störend, daß Marx fast nur mit englischen Maßen, Gewichten und Geldeinheiten ope­riert, die dem deutschen Leser so wenig vertraut sind und das Rech­nen so schwerfällig machen. Marx selbst hatte in der französischen Uebersetzung versucht, französische Bezeichnungen für die eng­lischen einzusetzen, mit Franken, Metern und Kilogrammen zu operieren, es aber bald aufgegeben. Denn schließlich konnte er nur bei den erfundenen Beispielen diese Umwandlung vornehmen, nicht bei den dem Leben entnommenen, die alle der englischen Wirklichkeit entstammten und ihren Stempel trugen.

Um so weniger konnte ich dazu übergehen, an Stelle der eng­lischen Geldbezeichnungen deutsche zu setzen, die nicht nur den lokalen, sondern auch den historischen Charakter des Werkes ge­ändert hätten. Denn als das heutige deutsche Geldsystem aufkam, war das „Kapital“ bereits geschaffen.

Auch für mich galt, was darüber Engels in der Vorrede zur dritten Auflage sagt:

Ebensowenig habe ich mir erlaubt, das im Text durchweg gebrauchte englische Maß und Gewicht auf seine neudeutschen Aequivalente zu redu­zieren. Als die erste Auflage erschien, gab es in Deutschland so viele Arten von Maß und Gewicht wie Tage im Jahr, dazu zweierlei Mark (die Reichsmark galt damals nur im Kopfe Soetbeers, der sie Ende der dreißiger Jahre erfunden), zweierlei Gulden und mindestens dreierlei Taler, darunter einer, dessen Einheit das „neue Zweidrittel“ war. In der Naturwissen­schaft herrschte metrisches, auf dem Weltmarkt englisches Maß und Ge­wicht. Unter solchen Umständen waren englische Maßeinheiten selbst­verständlich für ein Buch, das seine tatsächlichen Belege fast ausschließlich aus englischen industriellen Verhältnissen zu nehmen genötigt war.

Nur in einem Punkte habe ich mir gestattet, die englische Maß­einheit anzutasten: die Temperaturangaben nach Fahrenheit habe ich durch solche nach Celsius ersetzt.

Soviel über den Text. Und nun noch ein Wort über die Marx­schen Fußnoten. Sie dienten dreierlei Zwecken. Die einen sind geistreiche Bemerkungen, dazu bestimmt, den Leser zu erfrischen, der des trockenen Tones satt ist. Andere haben die Aufgabe, tat­sächliche Belege zu dem in dem Text Ausgeführten zu liefern. Nicht wenige davon könnten leicht in den Text selbst verlegt werden. Marx hat auch in der französischen Ausgabe eine sehr lange Note über die Bergwerksarbeiter in den Text gesetzt und Engels ist ihm in der vierten Auflage darin gefolgt. Es lag nahe, mit noch andern Noten desgleichen zu tun. Ich habe jedoch davon Abstand genommen, um die Numerierung der Fußnoten nicht zu stören. In der deutschen Ausgabe (leider nicht auch in der französischen und englischen) sind die Fußnoten innerhalb jedes Abschnitts fortlaufend numeriert. So verschieden die Seitenzahlen der verschiedenen Auflagen sind, die Nummern der gleichen Fußnoten bleiben in allen, bis auf einige geringfügige Ausnahmen, dieselben. Das erleichtert die Ver­gleichung verschiedener Auflagen und das Zurechtfinden in einer fremden Auflage.

Diese erwünschte Uniformität wollte ich ohne Not nicht stören, und daher sah ich davon ab, die tatsächlichen Illustrationen dort, wo es sonst angängig wäre, aus Fußnoten in den Text zu übertragen. Die dritte Aufgabe der Fußnoten im „Kapital“ besteht aber darin, die Geschichte der ökonomischen Theorien zu illustrieren.

Engels sagt darüber in seiner schon mehrfach zitierten Vorrede zur dritten Auflage:

… wo theoretische Ansichten anderer Oekonomen zitiert werden. Hier soll das Zitat nur feststellen, wo, wann und von wem ein im Laufe der Entwicklung sich ergebender ökonomischer Gedanke zuerst klar aus­gesprochen ist. Wobei es nur darauf ankommt, daß die fragliche öko­nomische Vorstellung für die Geschichte der Wissenschaft Bedeutung hat, daß sie der mehr oder weniger adäquate theoretische Ausdruck der ökonomischen Lage ihrer Zeit ist. Ob aber diese Vorstellung für den Stand­punkt des Verfassers noch absolute oder relative Geltung hat, oder ob sie bereits ganz der Geschichte verfallen, darauf kommt es ganz und gar nicht an. Diese Zitate bilden also nur einen, der Geschichte der ökonomischen Wissenschaft entlehnten, laufenden Kommentar zum Text und stellen die einzelnen wichtigeren Fortschritte der ökonomischen Theorie nach Datum und Urheber fest. Und das war sehr nötig in einer Wissenschaft, deren Geschichtschreiber bisher nur durch tendenziöse, fast streberhafte Unwissen­heit sich auszeichnen. — Man wird es nun auch begreiflich finden, weshalb Marx im Einklang mit dem Vorwort zur zweiten Ausgabe nur ganz aus­nahmsweise deutsche Oekonomen anzuführen in die Lage kommt.

In seinen Fußnoten zitiert aber Marx die Autoren in der Regel im Original. Sie zu übersetzen, war unumgänglich für eine populäre Ausgabe. Gustav Eckstein hat diese Arbeit auf mein Ersuchen über­nommen. Außerdem hat er mich noch dadurch unterstützt, daß er den von mir hergestellten Text einer nochmaligen Durchsicht unter­zog, sowie die von mir mehrere Male gelesenen Korrekturen eben­falls nochmals las und auch sonst mir mit Rat und Tat zur Seite stand, wofür ihm an dieser Stelle gedankt sei.

Er hat die Zitate der Noten nicht bloß übersetzt, sondern auch, soweit es möglich und nicht schon von Eleanor Marx-Aveling ge­schehen, mit den Originalen verglichen. Eine anscheinend gering­fügige Neuerung bei der Angabe der zitierten Stellen wird manchem, der das „Kapital“ studiert, willkommen sein.

Marx gibt die Titel der von ihm zitierten Bücher nur einmal an, an der ersten Stelle, an der er sie erwähnt. Später bezeichnet er sie nur mit I. c. (loco citato, am angeführten Ort). Für den­jenigen, der eine dieser Stellen im Original nachschlagen will und der das zitierte Buch nicht zur Hand hat, es vielleicht in einer Bibliothek verlangen will, erwächst daraus die Notwendigkeit, im „Kapital“ so lange zurückzublättern, mitunter mehrere hundert Seiten lang, bis er die Stelle findet, an der der vollständige Büchertitel zu finden ist. Versehen sind dabei nicht ausgeschlossen, namentlich wenn Marx nacheinander verschiedene Werke desselben Autors zitiert. Es hat sich in der Tat herausgestellt, daß Marx selbst dabei hin und wieder ein Irrtum unterlief, den richtigzustellen nicht so einfach war.

Eckstein hat überall das 1. c. durch den vollen Büchertitel ersetzt und damit dem Leser, der sich mit einem der von Marx zitierten Autoren in einem oder dem andern Falle näher bekannt machen will, eine lästige Arbeit erspart.

Noch willkommener wird vielen Lesern das Namens- und Sach­register sein, das Rjasanoff herstellte, dem ich auch manchen wert­vollen Hinweis bei meiner Arbeit verdanke.

Die Nützlichkeit des Registers liegt auf der Hand und bedarf keiner Auseinandersetzung. Ueber seine Benutzung unterrichtet uns Rjasanoff selbst in einer Einleitung.

Ich möchte hier nur dringend davon abraten, das Register etwa in der Weise zu benutzen, daß man sich die mühevolle Arbeit des. Durchstudierens des ganzen Werkes zu ersparen sucht und bloß die Rosinen aus dem Kuchen ausliest, bloß jene Ausführungen sucht, die direkt praktische Anwendung finden können, von jenem Drang nach sofortigen praktischen Schlußfolgerungen getrieben, vor dem Marx schon in seiner oben zitierten Vorrede zur französischen Aus­gabe warnte. Ist ein solches Verfahren überall schlecht am Platze, so nirgends mehr als beim „Kapital“, in dem das einzelne nur für den begreiflich wird, der das Ganze kennt, es nicht nur gelesen hat, sondern auch sich stets gegenwärtig hält.

Damit sei nicht gesagt, daß jedermann zu raten wäre, das „Kapi­tal“ ohne weiteres von A bis Z durchzulesen. Der gewöhnliche Leser wird dabei gerade im ersten Abschnitt auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen, die ihn abschrecken, in der Lektüre weiter fortzuschreiten, und doch fände er später ausgedehnte Partien, die allgemein ver­ständlich, ja packend und eindringlich geschrieben und dabei für jeden Proletarier von äußerster Wichtigkeit sind.

Marx selbst fühlte, daß man dem Durchschnittsleser nicht zu­muten kann, sich durch das „Kapital“ so, wie es vorliegt, durch­zuarbeiten. Als ihm sein Freund Kugelmann mitteilte, seine Frau hätte Lust, das „Kapital“ zu lesen, finde sich aber im Anfange schwer zurecht, antwortete Marx mit folgendem „Rezept zum Lesen des Buches“:

Wollen Sie Ihrer Frau Gemahlin als zunächst lesbar die Abschnitte über den „Arbeitstag“, „Kooperation, Teilung der Arbeit und Maschinerie“, endlich über die „ursprüngliche Akkumulation“ bezeichnen.

Danach hätte also der Leser, der vor den Schwierigkeiten des Anfangs zurückschreckt, zunächst das 8. Kapitel, dann das 11., 12. und 13. sowie endlich das 24. in Angriff zu nehmen. Die genannten Kapitel sind neben jenen über den Arbeitslohn und das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation die praktisch wichtigsten für ihn, sie bleiben jedoch bloße Beschreibungen von Zuständen, wenn er nicht wenigstens einigermaßen den Gedankengang kennt, von dem der Autor ausgeht.

Ehe der Leser an die erwähnten Kapitel herangeht, ist ihm daher zu raten, sich mindestens mit den Marxschen Broschüren ',Lohnarbeit und Kapital“ sowie „Lohn, Preis und Profit“ bekannt­zumachen.

Natürlich darf er dann bei diesen Kapiteln nicht stehen bleiben. Er hätte ja sonst nur die Teile in der Hand ohne das geistige Band, das sie verbindet. Jene Kapitel sollen ihn nur mit dem ökonomischen Stoff bekanntmachen, sie sollen ihm die Wirklichkeit zeigen, deren Gesetzmäßigkeit zu erforschen, die Aufgabe der Theorie ist. Nun erst gewinnt diese für ihn Leben und Inhalt. So darf man erwarten, daß nach der Durcharbeitung der historischen Kapitel der Leser mit er­höhtem Eifer darangehen wird, das „Kapital“ von Anfang an zu studieren, um Licht und Klarheit über alles das zu gewinnen, was ihm in den von ihm schon gelesenen beschreibenden Teilen noch dunkel geblieben ist.

Sollte der Leser dabei im dritten Kapitel über das Geld außer­ordentliche Schwierigkeiten finden, dann lasse er sich dadurch nicht abschrecken. Alles folgende ist relativ einfach. Und vieles in diesem Kapitel findet seine Fortentwicklung erst im 2. und 3. Bande. Wird also zunächst dem Leser nicht alles klar, dann schreite er doch un­entwegt fort, freilich mit dem Vorbehalt, später noch einmal zu dem Ausgangspunkte zurückzukehren.

Wie jedes grundlegende, klassische Werk verträgt das „Kapital“ eine wiederholte Lektüre, ja, es erheischt sie. So oft man es auch liest, man findet immer neue Gedanken und Anregungen darin. Jeder Fortschritt unserer Erkenntnis sozialer Dinge erschließt uns neue Seiten des „Kapital“.

Darin beruht seine Größe, darin seine Lebenskraft, daß Marx nicht nur die ökonomischen und historischen Details in einer Weise be­herrschte, wie sie sonst nur bei Spezialisten vorkommt, sondern gleichzeitig auch die Gesamtheit der Gesellschaft räumlich und zeit­lich in einem Umfange übersah, wie es bisher noch keinem andern philosophischen Geiste gelungen ist. Wer ihn begreifen will, der muß versuchen, ihm nach beiden Richtungen nahezukommen, sowohl in der gewissenhaften Erforschung der einzelnen Tatsachen wie in der Erkenntnis des Gesamtprozesses; der wird nie eine Tatsache für sich allein betrachten, sondern stets in ihrem Gesamtzusammen­hange, als Wirkung wie als Ursache.

Die Wirklichkeit ist ein unendlicher Kreislauf, in dem sich nicht bloß aus dem Anfang das Ende, sondern auch aus dem Ende der Anfang entwickelt, allerdings im dialektischen Prozeß nicht genau der gleiche, sondern ein etwas weiter entwickelter Anfang. Auch die kapitalistische Gesellschaft bildet einen immer wieder­kehrenden Kreislauf der Produktion, nur wer diesen voll begriffen hat, wird jeden einzelnen ihrer Faktoren begreifen. Ein Buch aber kann keinen Kreislauf bilden, es muß einen Anfang haben und ein Ende. So wie die Wirklichkeit, die es zu fassen sucht, wird man es jedoch nicht völlig verstehen, wenn man es nicht auch als Kreis­lauf auffaßt — das heißt, wenn man nicht, nachdem man es zu Ende gelesen, noch einmal von vorn beginnt. Wenigstens gilt das für alle Bücher, die so umfangreich sind und deren Basis so neu, daß man unmöglich nach einmaliger Lektüre ihren Gesamtinhalt im Kopfe haben kann.

Schopenhauer hat einmal eine ähnliche Auffassung entwickelt, allerdings rein idealistisch von dem Wesen des Gedankens,
nicht der Wirklichkeit ausgehend. Er sagt:

Ein System von Gedanken muß allemal einen architektonischen Zusammenhang haben, das heißt einen solchen, in welchem immer ein Teil den andern trägt, nicht aber dieser auch jenen, der Grundstein endlich alle, ohne von ihnen getragen zu werden, der Gipfel getragen wird, ohne zu tragen. Hingegen ein einziger Gedanke muß, so umfassend er auch sein mag, die vollkommenste Einheit bewahren. Läßt er dennoch, zum Behufe seiner Mitteilung, sich in Teile zerlegen, so muß doch wieder der Zusammenhang dieser Teile ein organischer, das heißt ein solcher sein, wo jeder Teil ebenso das Ganze erhält, als er vom Ganzen gehalten wird, keiner der erste und keiner der letzte ist, der ganze Gedanke durch jeden Teil an Deutlichkeit gewinnt und auch der kleinste Teil nicht völlig verstanden werden kann, ohne daß das Ganze vorher verstanden sei. —Ein Buch muß inzwischen eine erste und eine letzte Zeile haben und wird insofern einem Organismus allemal sehr unähnlich bleiben, so sehr diesem ähnlich auch immer sein Inhalt sein mag: folglich werden Form und Stoff hier im Widerspruch stehen.

Es ergibt sich von selbst, daß unter solchen Umständen zum Eindringen in den dargelegten Gedanken kein anderer Rat ist, als das Buch zwei­mal zu lesen, und zwar das erste Mal mit viel Geduld, welche allein zu schöpfen ist aus dem freiwillig geschenkten Glauben, daß der Anfang das Ende beinahe so sehr voraussetze, als das Ende den Anfang, und ebenso jeder frühere Teil den späteren beinahe so sehr als dieser jenen. Ich sage „beinahe“; denn ganz und gar so ist es keineswegs, und was irgend zu tun möglich war, um das, welches am wenigsten erst durch das folgende aufgeklärt wird, voranzuschicken, wie überhaupt, was irgend möglich, zur leichten Faßlichkeit und Deutlichkeit beitragen konnte, ist redlich und gewissenhaft geschehen; ja, es könnte sogar damit in gewissem Grade gelungen sein, wenn nicht der Leser, was sehr natürlich, nicht bloß an das jedesmal Gesagte, sondern auch an die möglichen Folgerungen dar­aus, beim Lesen dächte, wodurch außer den vielen wirklich vorhandenen Widersprüchen gegen die Meinungen der Zeit und mutmaßlich auch des Lesers, noch so viele andere antizipierte und imaginäre hinzukommen können, daß dann als lebhafte Mißbilligung sich darstellen muß, was noch bloßes Mißverstehen ist, wofür man es aber um so weniger erkennt, als die mühsam erreichte Klarheit der Darstellung und Deutlichkeit des Aus­drucks über den unmittelbaren Sinn des Gesagten wohl nie zweifelhaft läßt, jedoch nicht seine Beziehungen auf alles übrige zugleich aussprechen kann. Darum also erfordert die erste Lektion, wie gesagt, Geduld, aus der Ueberzeugung geschöpft, bei der zweiten vieles, oder alles, in ganz anderm Lichte erblickt zu werden.

Schopenhauer schrieb das im Vorwort zur ersten Auflage von „Die Welt als Wille und Vorstellung“, man könnte aber diese Zeilen auf jedes bedeutende Werk anwenden, das uns die Wirklichkeit, oder vielmehr einen größeren Ausschnitt daraus, denn die Wirklich­keit ist unendlich und nie ganz zu fassen, von einem neuen Stand­punkt aus in neuem Lichte zeigt. Es gilt auch vollkommen vom „Kapital“. Soll man ein Stück daraus völlig begreifen, muß man das Ganze kennen. Der erste Band kann nicht völlig verstanden werden ohne den zweiten und dritten, und vieles im ersten Band, namentlich der größte Teil seines ersten Abschnittes über Ware und Geld, bildet mehr die Vorbereitung des zweiten und dritten Bandes als die der weiteren Ausführungen des ersten, ist mehr nötig zum Verständnis des Zirkulations- und des Gesamtprozesses als des Produktionsprozesses. Indes reichen genau genommen nicht einmal die drei Bände des „Kapital“ aus, den Gesamtprozeß und damit auch jeden seiner Teile nach allen Richtungen hin zu erfassen, denn auch diese drei Bände sind noch nicht das vollständige Werk, dessen Abschluß wohl im Marxschen Kopf, nicht aber auf dem Papier gelang. Einige neue Gesichtspunkte erschließen uns noch die aus nachgelassenen Papieren gezogenen „Theorien über den Mehrwert“.

Je weiter man im Studium dieser Werke fortschreitet, desto mehr begreift man ihren Ausgangspunkt, die Werttheorie; und je mehr man diese begreift, desto klarer wird uns das gesamte Ge­triebe, dessen Fortgang durch das Wertgesetz beherrscht wird.

Aber es ist nicht jedem gegeben, alle diese Werke zu studieren. Für den gewöhnlichen Leser ist es schon eine große Leistung, wenn er den ersten Band des „Kapital“ bewältigt, der für den Arbeiter der wichtigste ist, weil er die Gesetze behandelt, die das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit bei der Produktion beherrschen. Jene Bewältigung des ersten Bandes setzt aber die Erfüllung der Schopen­hauerschen Forderung voraus: das mindestens zweimalige Lesen des Werkes. Und das wieder erfordert jene Geduld, von der Schopenhauer spricht, auf die auch Marx in der schon zitierten Vor­rede zur französischen Uebersetzung des „Kapital“ hinweist:

Es gibt keine breite Heerstraße zur Wissenschaft und nur jene dürfen erwarten, ihre lichtvollen Gipfel erreichen zu können, die nicht vor der Mühe zurückschrecken, ihre steilen Pfade zu erklimmen.

Kein fruchtbares Studium des „Kapital“ ist möglich ohne Ge­duld. Doch ist es nicht jene Geduld, die aus resignierter Ergebung in das Unvermeidliche entspringt, sondern eine Geduld, die ihre Kraft schöpft aus der leidenschaftlichen Empörung gegen die Fesseln der Unwissenheit, und aus der erhebenden Zuversicht, daß aus dem Wissen Waffen zu schmieden sind zur Eroberung eines neuen, höheren Daseins. Der Leser des „Kapital“ bedarf der Geduld. Aber nicht der Geduld stiller Ergebung, sondern der Geduld des unermüdlichen Kämpfers.

Berlin, März 1914
Karl Kautsky

Ähnliches: 

„Die Untersuchungsmethode, deren ich mich bedient habe (…), macht die Lektüre der ersten Kapitel ziemlich schwierig...“

London, 18. März 1872 An den Bürger Maurice La Châtre Werter Bürger!

„…auf mich fiel nun die Pflicht, die Herausgabe sowohl dieser dritten Auflage wie des handschriftlich hinterlassenen zweiten Bandes zu besorgen.“

Es war Marx nicht vergönnt, diese dritte Auflage selbst druckfertig zu machen. Der gewaltige Denker, vor dessen Größe sich jetzt auch die Gegner neigen, starb am 14. März 1883.

„‚Das Kapital‘ wird auf dem Kontinent oft ‚die Bibel der Arbeiterklasse‘ genannt.“

Die Veröffentlichung einer englischen Ausgabe des „Kapital“ bedarf keiner Rechtfertigung. Im Gegenteil, es kann eine Erklärung darüber erwartet werden, warum diese englische Ausgabe bis jetzt verzögert worden ist, wenn man sieht, daß seit einigen Jahren die in diesem Buch vertretenen Theorien in der periodischen Presse und Tagesliteratur sowohl Englands wie Amerikas ständig erwähnt, angegriffen und verteidigt, erklärt und mißdeutet wurden.

„Die Arbeit ist das Mass des Werts“