„Wandel durch kol­lektives Handeln, das ist der Kerngedanke.“

Einleitung von Eric Hobsbawm zu „Das Kommunistische Manifest – Eine moderne Edition“, Argument Verlag, 1997

Einleitung

I

Im Frühling 1847 erklärten sich Karl Marx und Friedrich Engels bereit, dem sogenannten Bund der Gerechten beizutreten, einem Ableger des früheren Bundes der Geächteten, eines revolutionären Geheimbunds, der in den 1830er Jahren in Paris unter französischem revolutionären Einfluss von deutschen Handwerksgesellen — vor allem von Schneidern und Zimmerleuten — gegründet worden war und dessen Mitglieder auch in jenen Tagen in der Mehrzahl aus im Exil lebenden radikalen Handwerkern bestanden. Der Bund — über­zeugt von seinem „kritischen Kommunismus“ — bot Marx und Engels an, ein von ihnen zu entwerfendes Manifest als sein politisches Pro­gramm zu veröffentlichen sowie seine Organisation entsprechend ihren Vorstellungen zu modernisieren. In der Tat wurde er im Sommer 1847 reorganisiert, in Bund der Kommunistenumbenannt und der „Sturz der Bourgeoisie, die Herrschaft des Proletariats, die Aufhe­bung der alten, auf Klassengegensätzen beruhenden bürgerlichen Gesellschaft und die Gründung einer neuen Gesellschaft ohne Klassen und ohne Privateigentum“ zu seinem Zweck erklärt. Ein zweiter Kongress des Bundes, der im November/Dezember 1847 ebenfalls in London stattfand, verabschiedete formell Zwecke und Statuten und forderte Marx und Engels auf, ein neues, die Ziele und die Politik des Bundes darlegendes Manifest zu entwerfen.

Marx und Engels arbeiteten beide an Entwürfen, und das Doku­ment gibt eindeutig ihre gemeinsame Auffassung wieder. Die End­fassung wurde jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit von Marx geschrieben — allerdings erst nach einer energischen Mahnung von Seiten der Führung, denn es fiel Marx damals und später schwer, seine Texte anders als unter dem Druck eines festen Abgabetermins fertig­zustellen. Da es so gut wie keine früheren Entwürfe gibt, liegt es nahe, dass der Text in einem Zug geschrieben worden ist. [1] Das Resultat, ein Dokument von 23 Seiten mit dem Titel Manifest der Kommunisti­schen Partei(seit 1872 allgemeiner bekannt als Das KommunistischeManifest),wurde „im Februar 1848 veröffentlicht“ — gedruckt im Büro der „Bildungs-Gesellschaft für Arbeiter“ (besser bekannt als Communistischer Arbeiterbildungsverein, der bis 1914 überlebte) in der Liverpool Street Nr. 46, London.

1998 feierten wir den 150. Jahrestag der Veröffentlichung dieser kleinen Flugschrift, die mit Sicherheit die einflussreichste politische Einzelschrift seit der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechteder Französischen Revolution ist. Ausgeliefert wurde sie — welche Gunst der Umstände — ein bzw. zwei Wochen vor dem Ausbruch der Revolu­tionen des Jahres 1848, die sich wie ein Lauffeuer von Paris aus über ganz Europa ausbreiteten. Obwohl sein Horizont entschieden inter-national war (in der ersten Ausgabe wurden voller Hoffnung bevor­stehende Veröffentlichungen des Manifests auch in englischer, franzö­sischer, italienischer, flämischer und dänischer Sprache angekündigt, ohne dass sie zu jenem Zeitpunkt umgesetzt wurden), entfaltete es anfangs ausschließlich in Deutschland Wirksamkeit. So klein der Bund der Kommunisten auch gewesen sein mag, er spielte eine nicht unbedeutende Rolle in der deutschen Revolution, nicht zuletzt durch die von Marx herausgegebene Neue Rheinische Zeitung(1848-1849). Die Erstausgabe des Manifestswurde innerhalb weniger Monate drei­mal nachgedruckt, in der Deutschen Londoner Zeitungerschien es in Fortsetzungen. Im April oder Mai 1848 wurde es korrigiert und neu gesetzt — diesmal auf 30 Seiten —, aber mit dem Scheitern der 1848er Revolutionen geriet es aus dem Blickfeld. 1849 hielt Marx — gerade zu seinem lebenslangen Exil in England angekommen — es gerade noch für angebracht, Teil III (Sozialistische und kommunistische Literatur) des Manifestsin seiner Londoner Zeitschrift Neue Rheinische Zei­tung, Politisch-Ökonomische Revue(November 1850) abzudrucken, die aber kaum Leser fand.

Niemand hätte in den 50er Jahren und Anfang der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts dem Manifesteine außergewöhnliche Zukunft vor­ausgesagt. Eine Neuausgabe in kleiner Auflage wurde nicht-öffentlich von einem emigrierten deutschen Drucker in London hergestellt, wahrscheinlich 1864, und eine weitere Ausgabe erschien in wenigen Exemplaren in Berlin 1866 — tatsächlich die erste in Deutschland her­ausgegebene Ausgabe. Zwischen 1848 und 1868 scheint es keine Übersetzungen gegeben zu haben, abgesehen von einer schwedischen Ausgabe, die wahrscheinlich Ende 1848 veröffentlicht wurde, und einer englischen Ausgabe 1850, die nur deswegen in der biblio­grafischen Geschichte des Manifestsauftaucht, weil die Übersetzerin Marx oder (da sie in Lancashire lebte) doch eher Engels konsultiert zu haben scheint. Beide Ausgaben verschwanden, ohne Spuren zu hinter­lassen. 1865 war praktisch keine einzige der von Marx veröffentlich­ten Schriften mehr erhältlich.

Marx' Bekanntheit in der Internationalen Arbeiterassoziation (der so genannten Ersten Internationale, 1864-1872) sowie das Ent­stehen von zwei bedeutenden Parteien der Arbeiterklasse in Deutschland — jeweils von einem ehemaligen Mitglied des Bundes der Kommunisten gegründet, die beide Marx sehr schätzten — wie­derbelebten das Interesse am Manifestund an seinen anderen Schrif­ten. Insbesondere seine gewandte Verteidigung der Pariser Kommu­ne 1871 („Der Bürgerkrieg in Frankreich“) brachte ihm bei der Presse den Ruf eines gefährlichen, von Regierungen gefürchteten Anführers der internationalen Subversion ein. Vor allem der Prozess wegen Hochverrats gegen die Führer der deutschen Sozialdemokra­tie Wilhelm Liebknecht, August Bebel und Adolf Hepner im März 1872 verhalf dem Dokument zu unerwarteter Bekanntheit. Die Staatsanwaltschaft gab den Text des Manifestsvor Gericht zu Proto­koll, was den Sozialdemokraten erstmals die Möglichkeit eröffnete, es als Teil des Verhandlungsprotokolls legal und in einer hohen Auf­lage zu veröffentlichen. Da klar war, dass ein vor der Revolution von 1848 veröffentlichtes Dokument einer Aktualisierung und er­läuternder Anmerkungen bedurfte, verfassten Marx und Engels das erste einer Reihe von Vorworten, die seitdem die Neuausgaben des Manifestsfür gewöhnlich begleiteten. [2] Aufgrund der Gesetzeslage konnte das Vorwort damals nicht weit verbreitet werden, tatsächlich jedoch wurde die Ausgabe von 1872 (die auf der Ausgabe von 1866 beruhte) die Grundlage aller nachfolgenden Neuausgaben. Zwischen 1871 und 1873 waren immerhin schon mindestens neun Ausgaben des Manifestsin sechs Sprachen erschienen.

In den nächsten vierzig Jahren eroberte das Manifestdie Welt, mitgerissen vom Aufstieg der neuen (sozialistischen) Arbeiterpartei­en, in denen der marxistische Einfluss sich im Jahrzehnt von 1880 bis 1890 schnell ausdehnte. Keine dieser Parteien bezeichnete sich damals als Kommunistische Partei. Erst die russischen Bolschewiki kehrten nach der Oktoberrevolution zu der ursprünglichen Bezeich­nung zurück. Der Titel Manifest der Kommunistischen Parteiblieb jedoch unverändert.

Schon vor der Russischen Revolution von 1917 war das Manifestin einigen hundert Ausgaben in etwa dreißig Sprachen erschienen, einschließlich dreier japanischer und einer chinesischen Ausgabe. Sein Haupteinflussgebiet blieb jedoch der zentraleuropäische Raum von Frankreich im Westen bis Russland im Osten. Es dürfte nicht überra­schen, dass die meisten Ausgaben auf Russisch (70) erschienen sind, dazu weitere 35 Ausgaben in den Sprachen des Zarenreichs – Polnisch (11), Jiddisch (7), Finnisch (6), Ukrainisch (5), Georgisch (4) und Ar­menisch (2). 55 deutsche Ausgaben waren erschienen, dazu im Reich der Habsburger noch neun ungarische, acht tschechische (aber nur drei kroatische sowie je eine slowakische und slowenische). 34 Aus­gaben in englischer Sprache (einschließlich der USA, wo die erste Übersetzung 1871 erschien), 26 in Französisch und elf in Italienisch — erstmals 1889. [3] Seine Wirkung in Südwesteuropa war gering — sechs Ausgaben auf Spanisch (einschließlich der lateinamerikanischen), eine auf Portugiesisch. Das Gleiche gilt für Südosteuropa (sieben bulgari­sche, vier serbische, vier rumänische Ausgaben sowie eine einzelne, wahrscheinlich in Saloniki veröffentlichte Ausgabe in Ladino). Nord­europa war einigermaßen gut vertreten mit sechs dänischen, fünf schwedischen und zwei norwegischen Ausgaben. [4]

In dieser ungleichen geographischen Verteilung spiegelt sich nicht nur die ungleiche Entwicklung der sozialistischen Bewegung sowie Marx' Einfluss — im Unterschied zu anderen revolutionären Ideologi­en wie dem Anarchismus — wider. Sie sollte uns auch daran erinnern, dass Größe und Einfluss der sozialdemokratischen und Arbeiterpar­teien und die Auflagenhöhe des Manifestskeineswegs einander ent­sprachen. So hatte die Sozialdemokratische Partei Deutschlands mit ihren mehreren hunderttausend Mitgliedern und ihren Millionen Wählern die Neuausgaben des Manifestsbis 1905 in einer Auflagen­höhe von gerade mal 2.000 bis 3.000 Exemplaren gedruckt. Das Erfurter Programmvon 1891 hatte die Partei in einer Auflage von 120.000 drucken lassen, vom Manifestdagegen wohl nicht mehr als 16.000 Exemplare in den elf Jahren von 1895 bis 1905, als die Auf­lage ihrer theoretischen Zeitschrift Die Neue Zeit6.400 Exemplare betrug. [5] Von einem durchschnittlichen Mitglied einer marxistischen sozialdemokratischen Massenpartei wurde nicht erwartet, dass es Prüfungen in Theorie zu bestehen hatte. Umgekehrt repräsentieren die siebzig vorrevolutionären russischen Ausgaben eine Kombination meist illegaler Organisationen, deren Gesamtmitgliedschaft nicht mehr als einige Tausend betragen haben kann. Ebenso waren die 34 englischen Ausgaben von und für vereinzelte marxistische Sekten in der angelsächsischen Welt, die am linken Flügel der bestehenden Ar­beiter- und sozialistischen Parteien operierten, veröffentlicht worden. Das war das Milieu, in dem „die Gradlinigkeit eines Genossen aus­nahmslos an den Eselsohren seines Manifests gemessen werden konn­te“ [6]. Kurz, die Leser des Manifestswaren zwar Teil der neuen und aufstrebenden sozialistischen Arbeiterparteien und Bewegungen, aber sicherlich kein repräsentativer Ausschnitt der Mitglieder. Es waren Männer und Frauen mit einem besonderen Interesse an der Theorie, die diesen Bewegungen zugrunde lag. Das ist wahrscheinlich noch immer der Fall.

Die Situation veränderte sich nach der Oktoberrevolution, insbe­sondere in den kommunistischen Parteien. Im Gegensatz zu den Massenparteien der Zweiten Internationale (1889-1914) erwarteten die Parteien der Dritten Internationale (1919-1943) von ihren Mit­gliedern Verständnis oder zumindest einige Kenntnisse marxistischer Theorie. Die Dichotomie zwischen den einflussreichen, am Schreiben von Büchern jedoch nicht sonderlich interessierten politischen Füh­rern und den „Theoretikern“ wie beispielsweise Karl Kautsky — der zwar bekannt war und geachtet wurde, jedoch nicht als praktischer, in Entscheidungen eingebundener Politiker — verschwand nach und nach. Lenin zufolge waren alle Führer wichtige Theoretiker, seit die politischen Entscheidungen mit „marxistischen Analysen“ gerechtfer­tigt wurden, meist allerdings bloß mit Verweisen auf die Autorität der Texte der „Klassiker“ Marx, Engels, Lenin und später Stalin. Die Ver­öffentlichung und weite Verbreitung der Texte von Marx und Engels wurde für die Bewegung weit wichtiger als in den Tagen der Zweiten Internationale. Das reichte von einer Reihe kleinerer Schriften — Weg­bereiter waren wohl die Elementarbücher des Kommunismusin der Weimarer Republik — über gut bearbeitete Zusammenstellungen — wie die unschätzbare Ausgabe Ausgewählte Briefe von Marx und Engelsund die Ausgewählten Werkein zwei, später in drei Bänden — bis hin zur „Gesamtausgabe“. Diese Veröffentlichungen wurden von der sowjetischen Kommunistischen Partei mit — für diesen Zweck — schier unbegrenzten Mitteln unterstützt und häufig in der Sowjetunion in einer Vielzahl von Fremdsprachen gedruckt.

Das Kommunistische Manifestprofitierte von dieser neuen Situa­tion in dreierlei Hinsicht. Ganz ohne Zweifel stiegen die Auflagenzah­len. Die preiswerte Ausgabe, die 1932 von den offiziellen Verlagen der amerikanischen und britischen Kommunistischen Parteien in „hunderttausenden“ Exemplaren gedruckt wurde, ist als das „viel­leicht meistaufgelegte Taschenbuch, das jemals auf Englisch erschie­nen ist“, bezeichnet worden. [7] Der Titel verwies jetzt nicht mehr auf ein historisches Fossil, sondern war direkt an die zeitgenössische Poli­tik gekoppelt. Da einer der großen Staaten beanspruchte, die marxis­tische Ideologie zu repräsentieren, wurde die Bedeutung des Manifestsals Text in der politischen Wissenschaft gestärkt. Entsprechend wurde es in die Lehrpläne von Universitäten aufgenommen, was nach dem Zweiten Weltkrieg unweigerlich rasant zunahm, und dort, unter den Intellektuellen der 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhunderts, sollte der Marxismus sein enthusiastischstes Publikum finden.

Die UdSSR ging aus dem Zweiten Weltkrieg als eine der beiden Supermächte hervor — an der Spitze eines riesigen Gebiets kommunis­tischer Staaten und Territorien. Die kommunistischen Parteien im Westen (mit der bemerkenswerten Ausnahme der deutschen) waren nach dem Krieg gestärkter als je zuvor. Obwohl der Kalte Krieg schon eingesetzt hatte, wurde das Manifestim Jahr seines 100. Geburtstags nicht mehr nur von Kommunisten oder kommunistischen Verlagen, sondern in hohen Auflagen und mit Vorworten bekannter Akademi­ker auch von unpolitischen Verlegern veröffentlicht. Kurz, es war nicht nur ein klassisches Dokument des Marxismus, sondern es war ein politischer Klassiker schlechthin geworden.

Das ist es auch jetzt noch, selbst nach dem Ende des Sowjet­kommunismus und dem Niedergang der marxistischen Parteien und Bewegungen in weiten Teilen der Welt. In Staaten ohne Zensur haben nahezu alle Menschen in Reichweite einer guten Buchhandlung und mit Sicherheit alle in Reichweite einer guten Bibliothek Zugang zu diesem Text. Das Ziel einer Neuausgabe 150 Jahre nach der Erstver­öffentlichung liegt daher nicht so sehr darin, den Text dieses erstaun­lichen Meisterwerks zugänglich zu machen, noch weniger darin, ein Jahrhundert doktrinärer Debatten über die „korrekte“ Interpretation dieses Grundlagentextes des Marxismus Revue passieren zu lassen. Vielmehr soll es uns darin erinnern, dass das Manifestan der Schwelle zum 21. Jahrhundert der Welt immer noch viel zu sagen hat.

II

Was also hat es uns zu sagen?

Es ist natürlich ein Dokument, das für einen bestimmten Moment der Geschichte geschrieben ist. Manches darin wurde fast sofort be­deutungslos, z.B. die den Kommunisten in Deutschland nahe gelegten Strategien, denn tatsächlich wurde während der Revolution von 1848 und danach ganz anders vorgegangen. Anderes veraltete mit wachsen­dem Abstand der Leser zu dem Zeitpunkt seiner Abfassung. Guizot und Metternich haben sich längst von der Regierungsspitze in die Ge­schichtsbücher verabschiedet, der Zar ist nicht mehr (jedoch der Papst). Was die Erörterung der „sozialistischen und kommunistischen Literatur“ angeht, räumten Marx und Engels 1872 selbst ein, dass sie damals bereits lückenhaft war.

Was jedoch wichtiger ist: Mit der Zeit war die Sprache des Mani­festsnicht mehr länger die Sprache seiner Leser. So wurde sich z.B. heftig an der Formulierung gestoßen, dass der Fortschritt der bürger­lichen Gesellschaft „einen bedeutenden Teil der Bevölkerung dem Idiotismus des Landlebens entrissen“ habe. Zweifellos teilte Marx da­mals die unter Städtern verbreitete Verachtung wie auch Unkenntnis des ländlichen Milieus. Allerdings bezieht sich die Wendung nicht auf „Dummheit“, sondern auf die „engen Horizonte“ oder die „Isolation von der vielseitigen Gesellschaft“, in der die Menschen auf dem Land lebten. In „Idiotismus“ klang noch die ursprüngliche Bedeutung des griechischen Worts „idiotes“ (wovon auch die heute gängigen Worte „Idiotie“ und „Idiot“ abgeleitet sind) an, nämlich „eine Person, die sich nur um ihre eigenen Angelegenheiten und nicht um die des größe­ren Gemeinwesens kümmert“. Im Laufe der Jahrzehnte nach 1840 und in jenen Bewegungen, deren Mitglieder nicht wie Marx eine klassische Bildung genossen hatten, ging die ursprüngliche Bedeutung verloren und wurde falsch gedeutet.

Noch offensichtlicher wird dies in der politischen Terminologie des Manifests.Begriffe wie „Stand“, „Demokratie“ oder „Nation“/„na­tional“ haben am Ende des 20. Jahrhunderts entweder kaum einen Bezug zur Politik oder schon seit längerem die Bedeutung verloren, die sie im politischen oder philosophischen Diskurs vor 150 Jahren hatten. Ein nahe liegendes Beispiel: Die „Kommunistische Partei“, deren Manifest unser Text zu sein beansprucht, hatte nichts mit den Parteien der modernen demokratischen Politik oder mit den „Avantgardeparteien“ des leninistischen Kommunismus zu tun, erst recht nicht mit den Staatsparteien sowjetischen oder chinesischen Typs. So etwas gab es damals nicht. „Partei“ bedeutete im Grunde eine Tendenz oder eine Strömung der Anschauungsweisen oder der Politik, auch wenn Marx und Engels sahen, dass sich eine spezifi­sche Form von Organisation entwickelte, wenn diese Tendenz erst einmal einen Ausdruck in einer Klassenbewegung gefunden hatte: „diese Organisation der Proletarier zur Klasse, und damit zur politi­schen Partei“. Daher in Teil IV auch die Unterscheidung zwischen „den bereits konstituierten Arbeiterparteien ... den Chartisten in England und den agrarischen Reformern in Nordamerika“ und den anderen, noch nicht konstituierten. [8] Wie aus dem Text klar hervor­geht, war in diesem Stadium die kommunistische Partei von Marx und Engels weder eine Form der Organisation, noch versuchte sie, eine Organisation zu etablieren, schon gar keine Organisation mit einem besonderen Programm, das sie von anderen Organisationen unterschied. [9] Am Rande sei noch bemerkt, dass die Organisation, in deren Auftrag das Manifestgeschrieben wurde, der Bund der Kom­munisten, im Text an keiner Stelle erwähnt wird.

Darüber hinaus ist klar, dass das Manifestnicht nur in und für eine besondere historische Situation geschrieben wurde, sondern dass es auch ein — relativ unreifes — Stadium in der Entwicklung des marxschen Denkens darstellt. Dies wird am deutlichsten in seinen ökonomischen Aspekten. Obwohl Marx bereits 1843 begonnen hat­te, ernsthaft politische Ökonomie zu studieren, machte er sich erst an die Entwicklung der im Kapitaldargelegten ökonomischen Analyse, als er nach der Revolution von 1848 sein englisches Exil erreichte und im Sommer 1850 Zugang zu den Schätzen der Bibliothek des Briti­schen Museums erhielt. So war die Unterscheidung zwischen dem Verkauf der Arbeitdes Proletariers an den Kapitalisten und dem Ver­kauf seiner Arbeitskraft,die für die marxsche Theorie des Mehrwerts und der Ausbeutung grundlegend ist, im Manifestnoch nicht deutlich herausgearbeitet. Auch vertrat der späte Marx nicht die Ansicht, dass der Preis der Ware „Arbeit“ gleich ihren Produktionskosten ist, d.h. den Kosten des physiologischen Minimums, um den Arbeiter am Leben zu erhalten. Kurz, Marx schrieb das Manifestweniger als mar­xistischer Ökonom denn als kommunistischer Ricardianer.

Obwohl Marx und Engels die Leser daran erinnerten, dass das Manifestein historisches, in vielerlei Hinsicht veraltetes Dokument war, befürworteten und unterstützten sie die Veröffentlichung des Texts von 1848 — mit relativ geringfügigen Anmerkungen und Klar-stellungen. [10] Sie sahen, dass es ein wichtiges Dokument jener Analyse war und blieb, die ihren Kommunismus von allen anderen Projekten zur Schaffung einer besseren Gesellschaft unterschied. Dem Wesen nach handelte es sich um eine historische Analyse. In ihrem Kern war es der Nachweis der historischen Entwicklung der Gesellschaften, ins­besondere der bürgerlichen Gesellschaft, die ihre Vorgänger verdräng­te, die Welt revolutionierte und die im Gegenzug mit Notwendigkeit die Bedingungen für ihre unvermeidliche Aufhebung hervorbringt. Im Unterschied zur marxschen Ökonomie war die „materialistische Auf­fassung der Geschichte“, die der Analyse zugrunde liegt, schon Mitte der 40er Jahre ausformuliert worden. Sie blieb in späteren Jahren im wesentlichen unverändert. [11] In dieser Hinsicht war das Manifestbe­reits ein Dokument, das den Marxismus definierte. Es verkörperte die historische Vision, deren allgemeine Umrisse noch mit der umfassen­deren Analyse auszufüllen blieb.

III

Wie wird das Kommunistische Manifestauf einen Leser wirken, der es jetzt zum ersten Mal zu Gesicht bekommt? Der heutige Leser kann sich der leidenschaftlichen Überzeugung, der konzentrierten Kürze, der intellektuellen und stilistischen Kraft dieser erstaunlichen Flug­schrift unmöglich entziehen. Sie ist wie in einer einzigen schöpferi­schen Eruption geschrieben, in lapidaren Sätzen, die sich fast wie von selbst in die unvergesslichen Aphorismen verwandeln, die weit über die Welt der politischen Debatte hinaus bekannt geworden sind: vom ersten „ein Gespenst geht um in Europa — das Gespenst des Kommu­nismus“ bis zum letzten „Die Proletarier haben nichts in ihr [der Revolution] zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewin­nen“. Ungewöhnlich für einen deutschen Text aus dem 19. Jahrhun­dert, besteht es aus kurzen, apodiktischen Absätzen von zumeist höchstens fünf Zeilen; nur in fünf Fällen von über 200 sind es mehr als 15 Zeilen. Was immer es sonst ist, das Kommunistische Manifestals politische Rhetorik ist von einer fast biblischen Sprachgewalt. Kurz, seine zwingende Kraft als Literatur lässt sich kaum bestreiten. [12]

Was den Leser von heute jedoch zweifellos ebenfalls frappieren wird, ist die bemerkenswerte Diagnose des revolutionären Charakters und der revolutionären Wucht der „bürgerlichen Gesellschaft“. Dabei geht es nicht einfach darum, dass Marx die außerordentlichen Errun­genschaften und die Dynamik einer Gesellschaft, die er verabscheute, anerkannte und verkündete — sehr zur Überraschung von manch spä­terem Verteidiger des Kapitalismus gegen die rote Gefahr. Entschei­dend ist vielmehr, dass die durch den Kapitalismus veränderte Welt, die er 1848 in Passagen einer düsteren, lakonischen Eloquenz be­schrieb, unübersehbar die Welt ist, in der wir 150 Jahre später leben.

Merkwürdigerweise hat sich der politisch recht unrealistische Op­timismus zweier Revolutionäre von 28 und 30 Jahren als die dauer­hafteste Stärke des Manifestserwiesen. Denn obwohl das „Gespenst des Kommunismus“ tatsächlich Politiker umtrieb und obwohl Euro­pa eine längere Periode wirtschaftlicher und sozialer Krisen durch­machte und knapp vor der größten kontinentalen Revolution seiner Geschichte stand, gab es einfach keinen hinreichenden Grund für die im Manifestausgesprochene Überzeugung, dass der Zeitpunkt für den Sturz des Kapitalismus unmittelbar bevorstehe („die deutsche bürger­liche Revolution [kann] also nur das unmittelbare Vorspiel zu einer proletarischen Revolution sein“). Im Gegenteil. Wie wir heute wissen, stand der Kapitalismus damals am Vorabend der ersten Ära seines triumphalen weltweiten Vormarschs.

Zwei Dinge sind es, die dem Manifestseine durchschlagende Kraft verleihen. Das erste ist sein visionärer Weitblick schon am Anfang des Siegeszugs des Kapitalismus, dass diese Produktionsweise nicht dauer­haft, stabil, „das Ende der Geschichte“ sein würde, sondern eine vor­übergehende Phase in der Geschichte der Menschheit, die wie ihre Vorgängerinnen von einer andersartigen Gesellschaft verdrängt wer­den würde (es sei denn — diese Einschränkung im Manifestwird nur selten beachtet —, sie endete „mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen“). Das zweite ist seine Einsicht in die unver­meidlichen langfristigenhistorischen Tendenzen der kapitalistischen Entwicklung.

Das revolutionierende Potential der kapitalistischen Wirtschaft lag bereits sichtbar zutage — Marx und Engels behaupteten nicht, dies als Einzige erkannt zu haben. Seit der Französischen Revolution hatten einige der von ihnen festgestellten Tendenzen sich bereits deutlich aus­gewirkt — beispielsweise verfielen „unabhängige, fast nur verbündete Provinzen mit verschiedenen Interessen, Gesetzen, Regierungen und Zöllen“ zugunsten von Nationalstaaten, die „eine Regierung, ein Ge­setz, ein nationales Klasseninteresse, eine Douanenlinie“ haben. Nichtsdestoweniger war das, was „die Bourgeoisie“ Ende der 40er Jahre des 19. Jahrhunderts erreicht hatte, wesentlich bescheidener als die Wunderwerke, die ihr im Manifestzugeschrieben werden.

Schließlich produzierte die Welt um 1850 nicht mehr als 71.000 Tonnen Stahl (davon fast 70 % in England) und hatte weniger als 40.000 Kilometer Eisenbahnschienen verlegt (davon zwei Drittel in England und den Vereinigten Staaten). Historiker konnten leicht nachweisen, dass selbst in England die industrielle Revolution (ein Begriff, den vor allem Engels seit 1844 verwendete [13]) vor den 50er Jahren kaum ein industrielles oder gar überwiegend städtisch gepräg­tes Land geschaffen hatte. Marx und Engels beschrieben nicht die Welt, wie der Kapitalismus sie 1848 bereits umgestaltet hatte, son­dern prophezeiten, wie sie gemäß seinen eigenen Gesetzen von ihm umgestaltet werden musste.

Wir leben heute in einer Welt, in der diese Umgestaltung zu einem großen Teil vollzogen wurde, auch wenn Leser des Manifestsim drit­ten Jahrtausend des abendländischen Kalenders zweifellos feststellen werden, dass sie seit 1998 noch weiter fortgeschritten ist. In mancher Hinsicht können wir die Stärke der im Manifestaufgestellten Progno­sen sogar deutlicher sehen, als es den Generationen zwischen 1848 und heute möglich war.

Denn bis zur Revolutionierung des Transport- und Verkehrswesens seit dem Zweiten Weltkrieg waren der Globalisierung der Produktion, der „kosmopolitischen“ Gestaltung der „Produktion und Konsum­tion aller Länder“ Grenzen gesetzt. Bis in die 70er Jahre unseres Jahr­hunderts blieb die Industrialisierung überwiegend auf ihre Ursprungs­länder beschränkt. Manche marxistischen Denkschulen konnten sogar behaupten, dass der Kapitalismus zumindest in seiner imperiali­stischen Form, weit entfernt davon, „alle Nationen [zu zwingen], die Produktionsweise der Bourgeoisie sich anzueignen, wenn sie nicht zu­grunde gehen wollen“, seiner Natur nach die „Unterentwicklung“ in der so genannten Dritten Welt verewige oder überhaupt erst erzeuge. Während ein Drittel der Menschheit in Wirtschaftssystemen vom sowjetkommunistischen Typ lebte, konnte es so scheinen, als werde es dem Kapitalismus niemals gelingen, alle Nationen zu zwingen, „[selbst] Bourgeois zu werden“. Der Bourgeoisie würde es nicht mög­lich sein, sich „eine Welt nach ihrem eigenen Bilde“ zu schaffen“.

Und bis zu den 60er Jahren war anscheinend auch die im Manifestausgesprochene Prophezeiung nicht eingetroffen, der Kapitalismus bringe die Zerstörung der Familie mit sich — nicht einmal in den fort­geschrittenen westlichen Ländern, in denen heute rund die Hälfte al­ler Kinder von allein stehenden Müttern geboren oder großgezogen werden und die Hälfte aller Haushalte in den Großstädten Einperso­nenhaushalte sind.

Kurz, was 1848 einem unvoreingenommenen Leser als revolutio­näre Rhetorik oder bestenfalls als plausible Prognose erscheinen mochte, kann heute als eine knappe Beschreibung des Kapitalismus am Ende des 20. Jahrhunderts gelesen werden. Von welchem anderen Dokument der 1840er Jahre lässt sich das sagen?

IV

So verblüfft wir also am Ende des Jahrtausends sein müssen über die Schärfe der Vision eines — damals noch weit in der Zukunft liegenden —wahrhaft globalisierten Kapitalismus, wie sie uns im Manifestent­gegentritt, so verblüfft müssen wir andererseits das Ausbleiben einer weiteren seiner Prognosen konstatieren. Es liegt mittlerweile auf der Hand, dass die Bourgeoisie im Proletariat nicht „vor allem ihren eigenen Totengräber“ produziert hat. „Ihr Untergang und der Sieg des Proletariats“ haben sich nicht als „gleich unvermeidlich“ erwiesen. Der Gegensatz zwischen den beiden Hälften der Analyse des Manifestsin dem Abschnitt „Bourgeois und Proletarier“ ist nach 150 Jahren erklä­rungsbedürftiger als zur Zeit der Hundertjahrfeier des Manifests.

Das Problem liegt nicht in Marx' und Engels' Vision eines Kapita­lismus, der die meisten Menschen, die in dieser Wirtschaftsform ihr Geld verdienen, zwangsläufig in Männer und Frauen verwandelt, die zur Sicherung ihres Lebensunterhalts darauf angewiesen sind, als Lohn- oder Gehaltsempfänger eine Anstellung zu finden. Eine solche Entwicklung ist zweifellos eingetreten, auch wenn man bestimmte Einkommensbezieher, die formal als Angestellte mit festem Gehalt fir­mieren — zum Beispiel in den Führungsspitzen von Unternehmen —, nicht mehr dem Proletariat zuordnen kann.

Auch liegt das Problem nicht wesentlich in ihrer Überzeugung, dass der größte Teil dieser arbeitenden Bevölkerung aus Industriearbeiternbestehen werde. Wenngleich Großbritannien als Land, in dem die lohn­abhängigen Handarbeiter die absolute Mehrheit der Bevölkerung bilde­ten, eine Ausnahme blieb, erforderte die Entwicklung der industriellen Produktion doch während eines ganzen Jahrhunderts nach Erscheinen des Manifestseinen massiven und wachsenden Einsatz von Handarbeit. Dies ist in der modernen kapitalintensiven, hochtechnisierten Produk­tion zweifellos nicht mehr der Fall, eine Entwicklung, die im Manifestnicht vorgesehen ist, auch wenn Marx selbst sich in seinen reiferen öko­nomischen Untersuchungen tatsächlich die mögliche Entwicklung einer zunehmend arbeitslosen Wirtschaft — zumindest in einer postkapita­listischen Ära — vorgestellt hat. [14]

Selbst in den alten Industriewirtschaften des Kapitalismus blieb der Prozentsatz der in der herstellenden Industrie Beschäftigten bis in die 70er Jahre stabil, ausgenommen in den USA, wo der Rückgang etwas früher einsetzte. Mit ganz wenigen Ausnahmen wie England, Belgien und den Vereinigten Staaten stellten 1970 die Industriearbeiter wahr­scheinlich einen höheren Anteil an der gesamten erwerbstätigen Be­völkerung in der industriellen und der in Industrialisierung begriffe­nen Welt als je zuvor.

Jedenfalls beruhte der Sturz des Kapitalismus, wie er vom Manifestvorhergesagt wurde, nicht auf der vorausgehenden Umwandlung der Mehrheitder arbeitenden Bevölkerung in Proletarier. Begründet wurde die Prognose vielmehr mit der Annahme, dass das Proletariat aufgrund seiner Lage in der kapitalistischen Wirtschaft nach seiner Organisa­tion als eine notwendig politische Klassenbewegung die Führung der unzufriedenen übrigen Klassen übernehmen und diese hinter sich scharen und auf diese Weise die politische Macht als „die selbständige Bewegung der ungeheuren Mehrzahl im Interesse der ungeheuren Mehrzahl“ übernehmen konnte. Das Proletariat würde sich dem­nach „zur nationalen Klasse erheben, sich selbst als Nation kon­stituieren “. [15]

Da der Kapitalismus nicht gestürzt worden ist, neigen wir dazu, diese Prognose zu verwerfen. Was 1848 völlig ausgeschlossen schien: Die politischen Verhältnisse fast aller europäischen kapitalistischen Länder mussten erst noch transformiert werden durch den Aufstieg der organisierten politischen Bewegungen, die sich auf die klassen­bewusste Arbeiterklasse stützen — einer Klasse, die außerhalb Groß­britanniens damals kaum in Erscheinung getreten war. Doch sozialis­tische und Arbeiterparteien entstanden in den meisten Teilen der „ent­wickelten“ Welt während der 1880er Jahre, wurden Massenparteien in Staaten mit demokratischem Wahlrecht, zu dessen Durchsetzung sie so viel beigetragen hatten. Im und nach dem Ersten Weltkrieg folg­te ein Zweig der „proletarischen Parteien“ dem revolutionären Weg der Bolschewiki, während ein anderer die tragende Säule des demo­kratisierten Kapitalismus wurde. Der bolschewistische Zweig ist heu­te in Europa kaum noch von Bedeutung oder die Parteien diesen Typs haben sich der Sozialdemokratie assimiliert. Die Sozialdemokratie —in dem Verständnis eines Bebel oder Clement Attlee — ist in den 1990er Jahren in Rückzugsgefechte verwickelt. Und doch sind zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Zeilen (1997) die Nachfolger der sozialdemokratischen Parteien der Zweiten Internationale, zuweilen unter ihrem ursprünglichen Namen, in allen europäischen Staaten an der Regierung beteiligt — bis auf Spanien und Deutschland, wo sie aber jeweils in der Vergangenheit die Regierung gestellt haben und das wahrscheinlich auch wieder tun werden.

Kurz, falsch war nicht die Prognose des Manifestsvon der zentra­len Rolle der politischen Bewegungen, die sich auf die Arbeiterklasse stützen (und die teilweise — wie die britische, niederländische, norwe­gische, australische und neuseeländische Arbeiterpartei — immer noch ihren Klassennamen tragen). Falsch war vielmehr die Behauptung: „Von allen Klassen, welche heutzutage der Bourgeoisie gegenüber­stehen, ist nur das Proletariat eine wirklich revolutionäre Klasse“, deren unvermeidliches Geschick, in der Natur und Entwicklung des Kapitalismus bereits angelegt, Marx und Engels zufolge darin beste­hen sollte, die Bourgeoisie zu stürzen: „Ihr Untergang und der Sieg des Proletariats sind gleich unvermeidlich.“

Selbst in den berüchtigten Hungerjahren nach 1840 war der Me­chanismus, der das gewährleisten sollte, nämlich die zwangsläufige Pauperisierung der Arbeiter, [16] nicht ganz überzeugend — es sei denn unter der damals ebenfalls unplausiblen Annahme, der Kapitalismus befinde sich in seiner letzten Krise und sein Sturz stehe unmittelbarbevor. Er war ein doppelter Mechanismus. Neben der Auswirkung der Pauperisierung auf die Bewegung der Arbeiter erwies sich, dass „die Bourgeoisie unfähig“ war „zu herrschen, weil sie unfähig ist, ihrem Sklaven die Existenz selbst innerhalb seiner Sklaverei zu sichern, weil sie gezwungen ist, ihn in eine Lage herabsinken zu lassen, wo sie ihn ernähren muss statt von ihm ernährt zu werden“. Statt also den Profit zu erwirtschaften, der den Motor des Kapitalis­mus antrieb, zehrten die Arbeiter ihn auf.

Doch warum sollte es angesichts des gewaltigen ökonomischen Potentials des Kapitalismus, das im Manifestselbst so eindrucksvoll dargelegt wird, unvermeidlich sein, dass der Kapitalismus für den größten Teil seiner arbeitenden Klasse nicht einmal einen wenn auch noch so bescheidenen Lebensstandard sichern konnte? Oder warum sollte es unvermeidlich sein, dass er sich kein Wohlfahrtssystem leis­ten konnte? Oder dass der Pauperismus „sich noch rascher als Be­völkerung und Reichtum“ entwickelte? [17] Wenn der Kapitalismus ein langes Leben vor sich hatte — wie es bald nach 1848 offensichtlich wurde —, dann musste es nicht dazu kommen und es kam auch nicht dazu.

Aus der im Manifestdargelegten Vision der historischen Entwick­lung der „bürgerlichen Gesellschaft“ einschließlich der arbeitenden Klasse, die von dieser hervorgebracht wird, ergab sich nicht zwingenddie Schlussfolgerung, dass das Proletariat den Kapitalismus stürzen und damit den Weg für den Kommunismus freimachen würde, da Vision und Schlussfolgerung nicht aus ein und derselben Analyse ab­geleitet waren. Das Ziel des Kommunismus, das Marx zu seiner Sache machte, noch bevor er „Marxist“ wurde, leitete sich nicht aus der Analyse des Wesens und der Entwicklung des Kapitalismus ab, son­dern aus einem philosophischen und letztlich eschatologischen Argu­ment über die Natur und das Schicksal des Menschen. Die — von die­sem Zeitpunkt an für Marx grundlegende — Idee, dass das Proletariat eine Klasse sei, die sich nicht selbst befreien könne, ohne zugleich die Gesellschaft als Ganzes zu befreien, erscheint zuerst als eine „philoso­phische Ableitung und nicht als Ergebnis der Beobachtung“.[18] George Lichtheim hat es so ausgedrückt: „Das Proletariat erscheint in den Schriften von Marx zum ersten Mal als die soziale Kraft, die nötig ist, um die Ziele der deutschen Philosophie zu verwirklichen“, wie Marx sie 1843/44 sah. [19]

Die „positiveMöglichkeit der deutschen Emanzipation“ liegt —schrieb er in der Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechts­philosophie —„in der Bildung einer Klasse mit radikalen Ketten“,einer Klasse, „die die Auflösung“ aller Klassen ist, „einer Sphäre, welche einen universellen Charakter durch ihre universellen Leiden besitzt, und kein besondres Rechtin Anspruch nimmt, weil kein besondres Unrecht,sondern das Unrecht schlechthinan ihr verübt wird ... Die Auflösung der Gesellschaft als ein besonderer Stand ist das Proletariat ...Die Emanzipation des Deutschenist die Emanzipa­tion des Menschen.Der Kopfdieser Emanzipation ist die Philosophie,ihr Herzdas Proletariat.Die Philosophie kann sich nicht verwirk­lichen ohne die Aufhebung des Proletariats, das Proletariat kann sich nicht aufheben ohne die Verwirklichung der Philosophie.“ [20]

Zu dieser Zeit wusste Marx über das Proletariat kaum mehr, als dass es „erst durch die hereinbrechende industrielleBewegung für Deutschland zu werden“ beginnt, und darin lag genau sein Potential als befreiende Kraft, weil es im Unterschied zu den armen Massen der traditionellen Gesellschaft das Kind einer „akuten Auflösung“der Gesellschaft war und deshalb durch seine Existenz „die Auflösung derbisherigen Weltordnung“verkündete. Er wusste sogar noch weniger über die Arbeiterbewegungen, dafür jedoch umso mehr über die Ge­schichte der Französischen Revolution.

In Engels fand er einen Gefährten, der in ihre Partnerschaft den Begriff der „industriellen Revolution“ einbrachte, ein Verständnis von der Dynamik der kapitalistischen Wirtschaft, wie sie bereits in England existierte, sowie die Ansätze einer ökonomischen Analyse, [21] was insgesamt dazu führte, dass er eine künftige soziale Revolution prophezeite, die von einer konkreten Arbeiterklasse gemacht werden musste, über die er, da er zu Beginn der 40er Jahre in England gelebt und gearbeitet hatte, ebenfalls sehr viel wusste.

Marx' und Engels' Annäherungen an „das Proletariat“ und den Kommunismus ergänzten einander. Dasselbe galt für ihren Begriff des Klassenkampfes als einem Motor der Geschichte, bei Marx weitgehend abgeleitet aus der Untersuchung der Periode der Französischen Revolu­tion, bei Engels aus der Erfahrung sozialer Bewegungen in England nach 1815. Es ist keine Überraschung, dass sich bei ihnen (laut Engels) eine „vollständige Übereinstimmung auf allen theoretischen Gebieten“ herausstellte. [22] Engels brachte die Elemente eines Modells mit, das die schwankende und sich selbst stabilisierende Natur der Wirkungsweisen der kapitalistischen Ökonomie demonstrierte — vor allem die Umrisse einer Theorie der Wirtschaftskrisen [23] —, sowie empirisches Material über den Aufstieg der britischen Arbeiterbewegung und der revolutio­nären Rolle, die sie in Britannien spielen konnte.

In den Jahren nach 1840 entbehrte die Schlussfolgerung, dass die Gesellschaft kurz vor einer Revolution stehe, keineswegs jeder Grund­lage, so wenig wie die Prognose, dass die Arbeiterbewegung bei aller Unreife an ihrer Spitze stehen werde. Schließlich stürzte wenige Wo­chen nach der Veröffentlichung des Manifestseine Bewegung der Pariser Arbeiter die Monarchie und gab für halb Europa das Signal zur Revolution. Trotz alledem konnte die Tendenz der kapitalisti­schen Entwicklung, ein im wesentlichen revolutionäresProletariat hervorzubringen, nicht aus der Analyse der inneren Gesetze der kapi­talistischen Entwicklung abgeleitet werden. Das war zwar eine mögli­che Konsequenz dieser Entwicklung, aber nichts bewies, dass sie die einzig mögliche war. Noch weniger ließ sich beweisen, dass ein erfolg­reicher Sturz des Kapitalismus durch das Proletariat zwangsläufig den Weg zu einer kommunistischen Entwicklung ebnete. (Das Manifestbehauptete lediglich, dass es dann den Prozess eines sehr allmählichen Wandels einleiten werde. [24]) Marx' Vorstellung von einem Proletariat, das seinem Wesen nach bestimmt sei, die Menschheit zu befreien und durch seinen Sturz des Kapitalismus die Klassengesellschaft zu been­den, bringt eine Hoffnung zum Ausdruck, die er in seine Analyse des Kapitalismus hineingelesen hat, ist jedoch kein Schluss, den diese Analyse zwingend nahe legt.

Was sich aus der Analyse des Kapitalismus im Manifestdagegen zweifellos ergeben konnte, vor allem wenn sie durch Marx' Analyse der Wirtschaftskonzentration ergänzt wird, auf die das Manifestkaum eingeht, war eine allgemeinere und weniger spezifische Schlussfolgerung über die selbstzerstörerischen Kräfte, die der kapita­listischen Entwicklung innewohnen. Diese muss zwangsläufig irgend­wann einen Punkt erreichen — und das werden im Jahr 1998 nicht nur Marxisten so sehen —, an dem „die bürgerlichen Produktions- und Verkehrsverhältnisse, die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse, die mo­derne bürgerliche Gesellschaft, die so gewaltige Produktions- und Verkehrsmittel hervorgezaubert hat, dem Hexenmeister [gleicht], der die unterirdischen Gewalten nicht mehr zu beherrschen vermag, die er heraufbeschwor ... Die bürgerlichen Verhältnisse sind zu eng gewor­den, um den von ihnen erzeugten Reichtum zu fassen.“

Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass die immanenten „Wi­dersprüche“ eines Marktsystems, dem „kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch [zugrunde liegt] als das nackte Interesse, als die gefühllose ‚bare Zahlung’“, eines Systems der Ausbeutung und der grenzenlosen „Akkumulation“, niemals überwunden werden können; dass die Entwicklung dieses in höchstem Maße zur Instabilität neigen­den Systems zu einem Zustand führen wird, den man nicht mehr als Kapitalismus bezeichnen kann. Oder, um den späten Marx zu zitie­ren, wenn „die Zentralisation der Produktionsmittel und die Verge­sellschaftung der Arbeit einen Punkt [erreichen], wo sie unverträglich werden mit ihrer kapitalistischen Hülle. Sie wird gesprengt.“ [25] Es ist unerheblich, welche Bezeichnung man den daraus folgenden Verhält­nissen gibt. Doch wie die Auswirkungen der explosiven Expansion der Weltwirtschaft auf die globale Umwelt zeigen, müssen sie einen radikalen Umbruch markieren: die Abkehr von der bisherigen priva­ten Verfügung über die Produktionsmittel hin zu einer gesellschaft­lichen Verfügung im Weltmaßstab.

Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass eine solche „post­kapitalistische Gesellschaft“ den traditionellen Modellen eines Sozia­lismus oder gar den „real existierenden“ Sozialismen der Sowjet-Ära entsprechen wird. Welche Formen sie annehmen und wieweit sie die humanistischen Wertvorstellungen des von Marx und Engels vertrete­nen Kommunismus verkörpern könnte, wäre abhängig von der politi­schen Aktion, die diesen Wandel herbeiführen würde. Denn eine sol­che ist nach dem Wortlaut des Manifestsfür die Ausgestaltung des historischen Wandels von wesentlicher Bedeutung.

V

Nach marxistischem Verständnis wird unabhängig davon, wie wir jenen historischen Augenblick beschreiben, in dem die kapitalistische „Hülle gesprengt wird“, die Politik eine wesentliche Rolle spielen. Das Manifestist in erster Linie als Dokument einer historischen Zwangsläufigkeit verstanden worden, und tatsächlich rührte ein Großteil seiner Kraft aus der Zuversicht, die es seinen Lesern einflöß­te: Der Kapitalismus sei unvermeidlich dazu verurteilt, von den Totengräbern begraben zu werden, die er selbst hervorgebracht habe, und jetzt und in keiner anderen Ära der Geschichte reiften die Bedin­gungen für eine Emanzipation heran. Dennoch und entgegen einer weit verbreiteten Vorstellung ist festzuhalten: Soweit das Manifestdavon ausgeht, dass ein historischer Wandel von Menschen herbei­geführt wird, die ihre eigene Geschichte machen, ist es kein deterministisches Dokument. Die Gräber öffnen sich nicht von allein, sie müssen von Menschen geschaufelt werden.

Ein Determinismus wird allerdings vom Manifestselbst nahe ge­legt. Man hat behauptet, dass Engels aufgrund seines Naturells eher einem Determinismus zugeneigt habe als Marx, mit wichtigen Konse­quenzen für die Entwicklung der marxschen Theorie und die marxis­tische Arbeiterbewegung nach Marx' Tod. Doch obwohl man Engels' eigene frühere Entwürfe als Belege dafür angeführt hat, [26] lässt sich dieses Verständnis dem Text des Manifestsselbst nicht entnehmen. Dort, wo es die Ebene der historischen Analyse verlässt und die Ge­genwart betritt, ist es ein Dokument der Alternativen, der politischen Möglichkeiten und nicht der Wahrscheinlichkeiten oder gar Gewissheiten. Zwischen dem „Heute“ und dem unvorhersagbaren Zeit­punkt, an dem es „im Laufe der Entwicklung“ eine „Assoziation [ge­ben wird], worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist“, liegt der Bereich des politischen Han­delns.

Ein historischer Wandel durch gesellschaftliche Praxis, durch kol­lektives Handeln, das ist der Kerngedanke. Das Manifestsieht die Entwicklung des Proletariats als die „Organisation der Proletarier zur Klasse und damit zur politischen Partei“. Die „Eroberung der politi­schen Macht durch das Proletariat“ (die „Erkämpfung der Demokra­tie“) ist „der erste Schritt in der Arbeiterrevolution“, und die Zukunft der Gesellschaft hängt ab von den politischen Handlungen des neuen Regimes (davon, wozu „das Proletariat seine politische Herrschaft be­nutzen“ wird). Die Verpflichtung auf die Politikist das, was histo­risch den marxschen Sozialismus von dem der Anarchisten und den Nachfolgern der Sozialisten unterscheidet und gegen deren Ableh­nung jeder politischen Aktion sich das Manifestganz besonders wen­det. Selbst vor Lenin ging es in der marxschen Theorie nicht einfach darum, „was sich aus der Geschichte für die Zukunft ergibt“, sondern auch um das, „was zu tun ist“. Die sowjetische Erfahrung des 20. Jahrhunderts hat uns allerdings auch gelehrt, dass es unter histori­schen Umständen, die einen Erfolg aus dem Bereich des Möglichen rücken, möglicherweise besser ist, nicht das zu tun, „was zu tun ist“. Doch diese Lehre hätte man auch ziehen können, wenn man die Im­plikationen des Kommunistischen Manifestsbedacht hätte.

Andererseits ist das Manifest —und das ist nicht die geringste seiner bemerkenswerten Eigenschaften — ein Dokument, das auch sein Schei­tern ins Auge gefasst hat. Es versprach sich von der kapitalistischen Entwicklung eine „revolutionäre Umgestaltung der ganzen Gesellschaft“, schloss jedoch, wie wir gesehen haben, die Alternative — „den gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen“ — nicht aus. Viele Jahre später formulierte eine andere Marxistin dies um als Wahl zwi­schen Sozialismus und Barbarei. Welche dieser Alternativen den Sieg davontragen wird, ist eine Frage, deren Beantwortung dem 21. Jahr­hundert vorbehalten bleiben muss.

London, Dezember 1997


Fußnoten

[1] An vorbereitendem Material wurden nur gefunden eine Übersicht zu Teil III und eine einzige Seite des Entwurfs; siehe Marx-Engels-Werke,Berlin (DDR), 1952ff., Bd. 4 (im Folgenden immer abgekürzt: MEW 4), S. 610.

[2] Zu Lebzeiten der Begründer waren das: (1) Vorwort zur (zweiten) deutschen Ausgabe 1872; (2) Vorrede zur (zweiten) russischen Ausgabe 1882 — die erste  russische Übersetzung von Bakunin erschien 1869, verständlicherweise ohne den Segen von Marx und Engels; (3) Vorwort zur (dritten) deutschen Ausga­be 1883; (4) Vorrede zur englischen Ausgabe 1888; (5) Vorwort zur (vierten) deutschen Ausgabe 1890; (6) Vorwort zur polnischen Ausgabe 1892; (7) An den italienischen Leser (1893). Siehe MEW 4, S. 573ff.

[3] Paolo Favilli, Storia del marxismo italiano.Dalle origini alla grande guerra, Mailand 1996, S. 252-254.

[4] Ich beziehe mich auf die Angaben in der äußerst verdienstvollen Publikation von Bert Andreas, Le Manifeste Communiste de Marx et Engels.Histoire et Bibliographie 1848-1918, Mailand 1963.

[5] Zahlen nach den jährlichen Protokollen der SPD-Parteitage. Für 1899 und 1900 fehlen jedoch Angaben zu theoretischen Publikationen.

[6] Robert R. LaMonte, „The New Intellectuals“, in: New Review II, 1914, zitiert nach Paul Buhle, Marxism in the USA.From 1870 to the present day, London 1987, S. 56.

[7] Hal Draper, The Annotated Communist Manifesto,Berkeley (Center for Socialist History) 1984, S. 64.

[8] Die von Engels durchgesehene offizielle englische Übersetzung von 1887  schwächt diesen Kontrast ab.

[9] „Die Kommunisten sind keine besondere Partei gegenüber den anderen Ar­beiterparteien ... Sie stellen keine sektiererischen Prinzipien auf, wonach sie die proletarische Bewegung modeln wollen.“ (Teil II)

[10] Die bekannteste, von Lenin hervorgehobene, ist die Bemerkung im Vorwort von 1872, dass die Pariser Kommune gezeigt hat, „dass die Arbeiterklasse nicht die fertige Staatsmaschine einfach in Besitz nehmen und sie für ihre eignen Zwecke in Bewegung setzen kann.“ — Nach Marx' Tod fügte Engels die Fußnote hinzu, mit der der erste Satz von Teil I dahingehend modifiziert wird, dass die vorgeschichtlichen Gesellschaften von der allgemeinen Gül­tigkeit des Klassenkampfs ausgenommen werden. Weder Marx noch Engels hielten sich jedoch damit auf, die ökonomischen Passagen des Dokuments zu kommentieren oder zu modifizieren. Ob Marx und Engels tatsächlich eine größere „Umarbeitung oder Ergänzung“ des Manifests(Vorwort zur deutschen Ausgabe von 1883) erwogen hatten, mag bezweifelt werden. Mit Marx' Tod wurde die Überarbeitung hinfällig.

[11] Vgl. Teil II des Manifests(„Bedarf es tiefer Einsicht, um zu begreifen, dass mit den Lebensverhältnissen der Menschen, mit ihren gesellschaftlichen Beziehungen, mit ihrem gesellschaftlichen Dasein, auch ihre Vorstellungen, Anschauungen und Begriffe, mit einem Worte auch ihr Bewusstsein sich än­dert?“) mit der entsprechenden Stelle in: Vorwort zur Kritik der Politischen Ökonomie („Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, son­dern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.“)

[12] Zu einer stilistischen Analyse siehe S. S. Prawer, Karl Marx and World Lite­rature,Oxford — New York — Melbourne 1978, S. 148f. Die mir bekannten Übersetzungen des Manifests besitzen jedoch nicht die literarische Stärke des deutschen Originals.

[13] In: Die Lage Englands.Das 18. Jahrhundert, MEW 1, S. 566-568.

[14] Vgl. z.B. die Diskussion über „fixes Kapital und die Entwicklung der gesell­schaftlichen Produktivkräfte“ in den Manuskripten von 1857-58. Karl Marx, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie(Rohentwurf 1857-58), Berlin 1953, S. 586f.

[15] MEW 4, S. 479.

[16] Pauperismus (pauperism) und Armut (poverty) sollten nicht synonym gele­sen werden. (Ein „Pauper“ ist „eine mittellose Person, die mit Almosen oder mit öffentlichen Zuwendungen unterstützt wird“ — so die Definition in Cham­bers' 20th Century Dictionary.)

[17] Es ist paradox: Die marxsche Argumentation aus dem Jahr 1848 wird heute in etwa von Kapitalisten und Regierungen, die auf den freien Markt setzen, weithin benutzt, um zu beweisen, dass die Volkswirtschaften der Staaten, deren Bruttosozialprodukt sich fortwährend alle paar Jahrzehnte verdop­pelt, Bankrott gingen, wenn sie nicht das System der Transferzahlungen (Wohlfahrtsstaat etc.) abschafften, das in ärmeren Zeiten geschaffen wurde und durch das diejenigen, die Einkommen aus Arbeit beziehen, die Nicht-Erwerbsfähigen unterhalten.

[18] Leszek Kolakowski, Main Currents of Marxism,Bd. 1: The Founders,Ox­ford 1978, S. 130.

[19] George Lichtheim, Marxism,London 1964, S. 45.

[20] Karl Marx, Zur Kritik der Hegelsch en Rechtsphilosophie.Einleitung, MEW

1, S. 390-391. — „Stand“ ist heute irreführend, daher bevorzuge ich im Eng­lischen hier die Übersetzung von Lichtheim (a.a.O.), der es mit „Klasse“ übersetzt.

[21] Veröffentlicht als Umrisse einer Kritik der Nationalökonomie,in: MEW 1, S. 499-524.

[22] Friedrich Engels, Zur Geschichte des Bundes der Kommunisten,MEW 21, S. 212.

[23] Umrisse einer Kritik der Nationalökonomie,MEW 1, S. 514. Das scheint abgeleitet zu sein von radikalen britischen Autoren, vor allem John Wade, History of the Middle and Working Classes(London 1835), auf den Engels sich in diesem Zusammenhang bezieht.

[24] Das wird noch deutlicher an Engels' Formulierungen in zwei Texten, die im Grunde Vorentwürfe zum Manifest sind: Entwurf eines KommunistischenGlaubensbekenntnissessowie Grundsätze des Kommunismus,MEW 4, S. 361-380, hier S. 372.

[25] Aus Punkt 7 im 24. Kapitel in: Das Kapital,Bd. 1: „Geschichtliche Tendenz der kapitalistischen Akkumulation“, MEW 23, S. 791.

[26] George Lichtheim, a.a.O., S. 58-60.

 

 

© Eric Hobsbawm 1998. Eric Hobsbawm schenkte dem Argument Verlag seine Einleitung zum 40. Geburtstag. Die deutsche Fassung basiert – mit freundlicher Genehmigung des VSA-Verlags Hamburg – auf der Übersetzung von Hinrich Kuhls (erstellt unter Verwendung der von Udo Rennert übersetzten Auszüge in der Frankfurter Rundschau).

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„Es atmet die Grösse und Weite echter Weltkultur.“

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„Das Vorwort zur gegenwärtigen Ausgabe muss ich leider allein unterschreiben.“