Russische sozialistische Parteien 1917 im programmatischen Wett- und Widerstreit

Der Beitrag gibt einen Überblick über das kurzlebige, im Frühjahr 1917 entstehende Mehrparteiensystem in Russland.

In den Februartagen 1917 stand die Einberufung einer Konstituierenden Versammlung auf der Tagesordnung, eine Forderung, die Theoretiker aller Parteien – von den Bolschewiki bis hin zu den Kadetten – in ihre zu Programmen ausgebauten programmatischen Erklärungen aufgenommen hatten. „Frieden, Land und Brot waren die Ziele, denen die Arbeiter und Soldaten, die Schöpfer dieser plötzlich aufschießenden Sowjets, zustrebten. Keinerlei Unstimmigkeiten ließen sich zu damaliger Zeit in ihren Reihen entdecken, noch die kleinste Spur von Uneinigkeit zwischen Bolschewisten, Menschewisten und Sozialrevolutionären. Nach dem Sturz der Zarenmacht am 27. Februar 1917 wurde Rußland etwa vier Monate lang wie ein freies Land regiert, nämlich auf dem Wege des offenen Kampfes der sich frei bildenden Parteien und der freien Vereinbarungen zwischen ihnen. Um die Entwicklung der russischen Revolution zu begreifen, muß man also vor allem studieren, welches die wichtigsten Parteien waren, die Interessen welcher Klassen sie vertraten und welcher Art die Beziehungen all dieser Parteien zueinander waren. „Allerdings traten diese Parteien bereits, in Form von sachlichen Artikeln in ihrer Parteipresse, mit abweichenden Interpretationen der Revolution auf“, schreibt M. Philips Price, Augenzeuge der Ereignisse in Moskau.16 Im Frühjahr ging es nicht um die Durchsetzung der Monopolstellung einer Partei im politischen Leben, sondern um die konsequente Überwindung der Folgen der Selbstherrschaft durch die der „revolutionären Demokratie“ verpflichteten sozialistischen, liberalen und demokratischen Parteien. Den Sturz des Zarismus, die wichtigste Forderung der aktivsten politischen Parteien, der Partei der Sozialrevolutionäre (PSR) und der SDAPR, hatte die Revolution herbeigeführt. Der Zar und die Romanow-Dynastie waren derart diskreditiert, dass sogar die der Monarchie verpflichteten Oktobristen auf Distanz zum Herrscherhaus gingen. Unter diesen Bedingungen galt es, die Triebkräfte der Revolution zu bestimmen. Die Demokratie erwies sich als parteiübergreifendes Identifikationsmerkmal.

Ber Beitrag erschien erstmals in Z-Zeitschrift Marxistische Erneuerung - Nr. 109 März 2017

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