Kehrt Marx nach Jena zurück?

Büste Karl Marx (1953) des Bildhauers Will Lammert Foto: SpreeTom CC BY-SA

Wer nicht gleich weiß, was es mit der »Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie« auf sich hat, sollte sich nicht grämen. Es handelt sich um harten philosophischen Stoff, verarbeitet von einem gewissen Karl Marx in seiner Dissertation, die er im thüringischen Jena 1841 vorlegte, ohne die Stadt je besucht zu haben.

Eine Büste von Marx bekam Jena dennoch: im Jubiläumsjahr 1953, das die SED für allerlei Marx-Folklore nutzte. Das Staatssekretariat für Hochschulwesen ließ den dafür in der DDR vor Ort Verantwortlichen keine besonderen Spielräume, in einem per Eilboten zugestellten Brief an die Universitäten in Jena und Berlin hieß es damals, Marx habe an beiden Hochschulen auf die eine oder andere Weise gewirkt, »wir empfehlen daher, dass an diesen beiden Universitäten am 14. März im Hauptgebäude eine Karl-Marx-Büste enthüllt wird«.

Und so geschah es: Die Aufstellung der von Will Lammert geschaffenen Plastik in Berlin verzögerte sich wegen des Todes Stalins, wurde aber mit neuer Konzeption »auf den 135. Geburtstag am 5. Mai ausgerichtet«. Die Geschichte dieser Büste ist eine eigene Erzählung wert - nur so viel an dieser Stelle: Der markante Kopf wanderte im Marx-Jahr 1983 an den Strausberger Platz, die Humboldt-Uni erhielt eine Kopie - oder vielleicht war es auch umgekehrt, da widersprechen sich die Quellen. Das Thema kam sogar auf die Tagesordnung des Politbüros - SED-Chef Erich Honecker höchstselbst wurde beauftragt, mit dem Berliner Bezirkssekretär Konrad Naumann »über die ohne Beschluss erfolgte Errichtung … zu sprechen«. Die führende Partei hatte nichts gegen Marx-Büsten, offenbar aber dagegen, dass sie ohne das Wissen der unmittelbaren Führung aufgestellt wurden.

Jedenfalls gab es in der Hauptstadt ab 1983 dann zwei öffentliche Ausgaben des Marx-Kopfes von Lammert. Eine steht heute noch an einem Berliner Kreisverkehr, die andere wurde Anfang der 1990er Jahre im Magazin der Kustodie sichergestellt, weil, so die Kustodin der Uni, Angelika Keune gegenüber dem Autor, laut dem damaligen Uni-Kanzler »ein Anschlag auf die Büste geplant« gewesen sei. Das Verschwinden des Marx-Kopfes von seinem Platz vor dem Senatssaal sorgte freilich auch für politische Debatten, von Bildersturm war die Rede.

Eine ähnliche Debatte hatte es auch in Jena nach der Wende gegeben - auch dort war Marx in einer Arbeit von Will Lammert verewigt, auch dort nach der Wende von ihrem Platz entfernt. Wer die Fotos der Arbeiten vergleicht, muss von einem weiteren Abguss der Büste ausgehen, die es zweimal in Berlin gibt. In einem wiederholten Anlauf, dessen Ausgang ungewiss ist, soll der Jenaer Lammert-Marx nun wieder der Öffentlichkeit zugänglich werden. Die Linkspartei hat sich seit 1992 bemüht, die Wiederaufstellung vor dem Hauptgebäude der Uni durchzusetzen. 2008 votierte der Kulturausschuss der Stadt noch gegen die Wiederaufstellung. Nun gab es dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Stadtrat, »nach längerer, teilweise heftig geführter Diskussion«, wie es bei der Partei heißt.

Ausgetauscht wurden die heuer üblichen Positionen - die einen mahnten, wer Marx-Büsten aufstelle, dürfe die Opfer derer nicht vergessen, die sein Werk für Herrschaftszwecke missbraucht haben; die anderen verweisen auf die unbezweifelbare Rolle von Marx für Philosophie, Politische Ökonomie, Arbeiterbewegung. Mitunter fanden beide Sichtweisen auch in der Position einer Person zusammen. »Marx ist eine Persönlichkeit des 19. Jahrhunderts, die die Frage der Gerechtigkeit von einer Seite angepackt hat, wie es andere nicht taten«, wird SPD-Oberbürgermeister Albrecht Schröter zitiert.

Freilich kann die Stadt nicht selbst agieren. Die Büste gehört der Universität, OB Schröter soll nun Gespräche führen - bereits zum dritten Mal, die Hochschule zeigt sich verhandlungsbereit. Ziel ist, dass Lammerts Arbeit zum 200. Geburtstag im kommenden Jahr wieder vor der Uni steht. »Karl Marx gilt als einer der bedeutendsten Universalgelehrten in der Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts«, so hatte die Jenaer Linkspartei ihren Antrag begründet. Marx kommender Jahrestag sollte »ein willkommener Anlass sein«, sowohl »auf seine wissenschaftlichen Leistungen als auch darauf zu verweisen, dass er die Jenaer Universität für die Einreichung seiner Promotion ausgewählt hat«.

Wer sich nun immer noch für die »Differenz der demokritischen und epikureischen Naturphilosophie« interessiert, sei auf die Arbeit selbst verwiesen. Das Originalmanuskript, das Marx zur Dissertation vorgelegt hat, soll verschollen sein. Erhalten ist aber eine Abschrift von unbekannter Hand, die zuerst in der ersten MEGA 1927 abgedruckt wurde und schließlich auch in Band 40 der MEW zu finden ist. Marx, dem es an Selbstbewusstsein offenbar nicht mangelte, verspricht in der Vorrede nichts Geringeres, als »ein bis jetzt ungelöstes Problem aus der Geschichte der griechischen Philosophie gelöst zu haben«.