Ein Zwieschlächtiges

»Der Gebrauchswert verwirklicht sich nur im Gebrauch oder der Konsumtion. Gebrauchswerte bilden den stofflichen Inhalt des Reichtums, welches immer seine gesellschaftliche Form sei. In der von uns zu betrachtenden Gesellschaftsform bilden sie zugleich die stofflichen Träger des Tauschwertes.« Soweit so bekannt, immerhin hat diesen Satz Karl Marx im ersten Band von »Das Kapital« formuliert.

Um den Gebrauchswert haben sich freilich immer Debatten der Marx-Community gerankt, etwa um die Frage, ob der Alte aus Trier den Gebrauchswert völlig aus der ökonomischen Betrachtung ausklammern wollte - oder eben nicht, wie das zum Beispiel Roman Rosdolsky sah.

Der Ökonom stand denn auch ein wenig Pate bei der neuesten Ausgabe der Wiener Zeitschrift »Streifzüge«, die sich im Schwerpunkt dem »Gebrauchswert« zuwendet. »Ohne Rosdolsky wäre die Ausgabe nicht so geworden wie sie ist«, schreibt Franz Schandl da über die Beziehung des 1967 verstorbenen Ökonomen und dem Heft. Schandl erwägt im Editorial, »dass das eigentlich fad ist, das mit dem Gebrauchswert« - um diesen Satz natürlich umgehend mit dem Heftprogramm der Ausgabe 70 zu dementieren: Dieses kommt alles andere als fad daher.

Emmerich Nyikos nimmt sich den »Gebrauchswert in der bürgerlichen Gesellschaft« vor. Stefan Meretz versucht sich an einer Argumentation, »warum Gebrauchswert keine überhistorische Kategorie sein kann und Marx hierin also irrte«. Marlene Radl und Verena Rauch stellen »marxistisch-feministische Überlegungen zum Gebrauchswert« an, um einen ihrer Ansicht nach auch unter marxistischen Feministinnen bestehenden Irrtum zu korrigieren: den, gebrauchswertschaffende Reproduktionstätigkeiten - da nicht wertschaffend - in der Kritik der politischen Ökonomie als vorkapitalistische Formen zu betrachten und also unbeachtet zu lassen.

All dies kann man hier und da und dort im Netz bereits lesen. Im Zentrum der »Streifzüge«-Ausgabe stehen aber zwei wiederpublizierte Texte von Rosdolsky: »Der Gebrauchswert bei Karl Marx. Eine Kritik der bisherigen Marx-Interpretationen«, der 1959 in »Kyklos«, einer in Basel erscheinenden »Internationalen Zeitschrift für Sozialwissenschaften« erstmals publiziert worden war. Sowie: »Der esoterische und der exoterische Marx«, in dem Rosdolsky zu einer »kritischen Würdigung der Marxschen Lohntheorie« ansetzt - erstmals erschienen 1957 in »Arbeit und Wirtschaft«.

Als »Wegbereiter der Wertkritik« hatte Anselm Jappe Rosdolsky bereits 2002 in »Streifzüge« etwas ausführlicher vorgestellt. »Wir haben ihm einiges zu verdanken«, schreibt Schandl nun im aktuellen »Einlauf« - und kündigt bereits einen weiteren Marx-Schwerpunkt der »Streifzüge« an. Der soll dann im kommenden Sommer erscheinen, mitten im Jubiläumsjahr. Die Streifzüge-Redaktion ist »schon gespannt, was dabei rauskommt«. Wir auch.