Marx, die Karbunkeln und das Frohe Fest. Eine Weihnachtsgeschichte

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Diese kleine Weihnachtsgeschichte verdanken Sie dem »Kartenkaufrausch Online-Shop« in Hohen Neuendorf. Die »Gesellschaft für Kreation und Vertrieb« hat eine »lustige Marx Weihnachtsmann Weihnachtskarte« im Angebot. Der Alte aus Trier mit weißroter Mütze. Man kennt das auch von anderen Motiven, der biertrinkende Santa Karl aus Sao Paulo zum Beispiel hat gewisse Bekanntheit erlangt.

Keine Sorge, mehr oder weniger gut daran anknüpfende Überlegungen zur Ähnlichkeit von Bärten oder zur Marxschen Religionskritik sollen hier einmal unterlassen bleiben. Auch darf niemand im Folgenden Aufklärung drüber erwarten, ob der Kommunismus, den Marx im Kopfe hatte, eine schöne Bescherung wäre oder doch ganz das Gegenteil. 

Vielmehr soll die Weihnachtskarte mit Marxkonterfei zu einer recht einfachen Frage führen: Wie hat Marx das Fest verbracht? Wo sonst eine Fülle an Spezialliteratur jeden Winkel des Marxschen Denkens ausgeleuchtet hat und Heerscharen von Biografen die Lebensgeschichte nachverfolgt haben, scheint über das Weihnachtsfeiern im Hause Marx recht wenig bekannt zu sein. 

Vielleicht ist das Thema auch deshalb selten bespielt worden, weil es an anderer Stelle schon sozusagen mitbearbeitet wurde - natürlich hatten Marx und Familie auch zu Weihnachten Geldsorgen. Es war dies nichts besonderes. Und überarbeitet war er ohnedies. Immer.

»Du musst mich entschuldigen, wenn ich erst heute im Namen der family für den Christmasbon danke, überhaupt aber während so langer Zeit gar nicht geschrieben habe. Ich bin all that time over sosehr bothered«,

schreibt er am zweiten Feiertag des Jahres 1865 an Engels. Ein Jahr später hatte der Freund mal wieder mit ein paar Pfund ausgeholfen, wie aus einem Brief von Jenny zu erfahren ist, in dem sie sich zudem für die übersandten Flaschen Wein bedankt.

»Wie sollen wir Ihnen für alle Ihre Freundschaft danken«, schreibt sie an Engels. »Die 10 Pfund, die am Sonnabend ankamen, halten die rauhsten Stürme der Weihnachtszeit ab und lassen uns ein merry Christmas feiern.«

Der Wein war in jenem Jahr besonders willkommen, da man, wie Jenny mit Blick auf Paul Lafargue mitteilte, der sich im September 1866 mit Marx’ Tochter Laura verlobt hatte, »bei dem jungen Frenchman im Hause gern die appearances aufrechthält«. Die Ausgaben im Hause wurden offenbar auch später nicht geringer. Oder die Einnahmen blieben wie so oft aus.

»Kannst Du mir ein paar Pfund für die jetzt beginnende Weihnachtswoche schicken«,

bat Marx zwei Jahre später und musste wohl eigentlich nicht hinzufügen, dass Engels’ Hilfe »so sehr willkommen« war. 

Marx hatte aber nicht nur Geldsorgen, sondern auch Karbunkeln, und diese Hauterkrankung nahm keine Rücksicht auf irgendwelche Feiertage.

»Unser diesjähriges Weihnachtsfest ist wieder ein sehr getrübtes«, teilt Jenny dem Hannoveraner Freund Ludwig Kugelmann 1867 mit, »da mein armer Mann von neuem an seinem alten Leiden krank darniederliegt. Es haben sich wieder zwei Ausbrüche gezeigt, von denen der eine bedeutend und an peinlicher Stelle ist, so daß Karl zum Liegen auf einer Seite gezwungen ist.« 

So gelingt natürlich kein Frohes Fest. Marx hatte wenige Monate zuvor den ersten Band von »Das Kapital« nach langer, überlanger Arbeit an dem Manuskript fertiggestellt - und nun ging es darum, die »Kritik der Politischen Ökonomie« auch allgemein bekannt zu machen. Das lief anfangs schlechter als erhofft. Doch Friedrich Engels, der zuvor immer gedrängt hatte, was das Buch anging, warnte nun in Sachen Bewerbung:

»Wegen Meißners Annonce ist Eile nicht zu sehr anzuraten«, mahnte er im Dezember 1867 Marx zu entsprechendem Vorgehen gegenüber seinem Verleger. »Die Geschichte darf erst nach Neujahr in die Blätter kommen, sonst verschwindet sie in der Weihnachtsbücher-Annoncenflut.«

Die Leute hatten also auch damals schon Scherereien mit dem Fest und die haben sich nicht groß verändert. Das galt nicht zuletzt für Engels, der schon kurz nach Neujahr 1864 mit Blick auf die zurückliegenden Weihnachten bei Marx beklagte,

»die vielen christmas Kneipereien verbunden mit der darauf folgenden general unfitness for business haben mich total unfähig gemacht, Dir früher zu antworten. Die Sache ist indes jetzt glücklich vorüber.«

Ein Gedanke, den man sich millionenfach für die Zeit nach dem 26. Dezember auch dieses Jahres vorstellen kann. Allerdings: Weihnachten kommt erneut, »alle Jahre wieder«, wie die entsprechende Fachgesangsliteratur weiß. Und so musste Engels auch 1868 wieder um Entschuldigung wegen ausgebliebener Antwortkorrespondenz bitten, diesmal bei Jenny.

»Aber die Weihnachtszeit ist die einzige im ganzen Jahre, die es mir auch außer dem Geschäft fühlbar macht, daß ich mit einem Fuß in der Bourgeoisie stehe«, so Engels an Marxens Frau. »Und das zieht hier in Manchester viel Essen und Trinken und verdorbenen Magen mit obligater Verdrießlichkeit und Zeitverschwendung mit sich. Das ist jetzt so ziemlich vorbei, und ich fange an wieder aufzuatmen.«

Bis zum nächsten Jahr. Im Hause Marx hatte man aber auch mit anderen, durchaus bekannten Schwierigkeiten des Weihnachtsfestes zu ringen. Zum Beispiel mit »so viel Heimlichkeit«, die aber nur dann als eine solche zu bezeichnen ist, wenn auch alle dicht halten. Marx aber schrieb zur Weihnachtszeit 1869 an Engels über seine Tochter Eleanor,

»Tussy hat a foolish work unternommen, ein Sofakissen zu sticken für Euch für Weihnacht. Ich glaube nicht, daß sie bevor Neujahr fertig wird. Sie erlaubt weder Mama, noch Jennychen, noch Lenchen, einen Stich zu tun, und tut daher seit Wochen nichts andres. Dies jedoch ist ein großes Geheimnis, und Du darfst natürlich nicht in der leisesten Weise andeuten, daß Du davon unterrichtet bist.«

Das Motiv also war durchaus ein gutmütiges: Er wollte Engels warnen, falls es mit dem Kissen nichts bis Weihnachten werde. Den Überraschungseffekt aber machte er dahin - und wusste, was das nach sich ziehen könnte:

»Tussy würde mich aufessen.«

Auch sonst teilte man Beschwernisse, die es heute ebenso gibt. Engels etwa schreibt Anfang Dezember 1869 an Marx:

»Ich werde wahrscheinlich nächste Woche nach Barmen gehn, da meine Mutter platterdings haben will, daß ich einmal wieder einen Weihnachten zu Hause zubringe«.

Ein Besuch als Folge von Weihnachten erlebte auch Marx - der im Frühjahr 1866 von einem Aufenthalt in Margate an der Küste zurück nach London »musste«, um einer »Gesellschaft« bei seinen Töchtern beizuwohnen. Die Fete war nur möglich, weil ihnen ein Onkel zu Weihnachten 5 Pfund geschickt hatte. Ein besonderer Partygänger war Marx offenbar nicht: »Ich kehrte aber gleich den nächsten Morgen hier nach meiner Einsiedelei zurück.«

Da nun hier viel von Geldüberweisungen an Marx die Rede war, soll das weihnachtliche Bild abschließend noch etwas korrigiert werden. Denn nicht nur er selbst stand in materiellen Nöten. Und so bat Marx 1864 seinen Freund Engels um Unterstützung für Wilhelm Liebknecht:

»Er befindet sich Ende des Jahrs natürlich sehr in der Klemme. Ich habe ihm verschiednemal im Lauf dieses Halbjahrs Geld geschickt und will jetzt, wo ich weiß, daß die Not brennend, seiner Frau etwas schicken unter der Form eines Weihnachtsgeschenks für die Kinder. Es wäre mir lieb, wenn Du auch einen Beitrag gäbst«, wobei Marx nicht unterschlägt: »Nur musst Du mir rasch schreiben, da periculum in mora«.

Gefahr im Verzug. 

Was man daraus lernen kann? Nun, immerhin eines. Dass das Thema Marx und das Weihnachtsfest noch ein paar offene Fragen bereithält. Wer im Briefwechsel mit Engels nachliest, wird schnell bemerken, dass so oft wie in den Jahren um das Erscheinen des ersten Bandes von »Das Kapital« kaum noch von Weihnachten zwischen den beiden die Rede sein wird. Warum? Das muss die Marxologie klären, hier wartet ein hübsch eingeschlagenes Forschungsdesiderat darauf, wissenschaftlich ausgepackt zu werden. 

Vielleicht scheuten sich bisher die Experten ja vor lahmen Frotzeleien a la »geflügelte Jahresendfigur«, bei denen Marx in den DDR-Topf geworfen wird. Möglich ist aber auch, dass die moderne Rezeption einen Weihnachts-Marx deshalb nicht interessant findet, weil ihr der ganze Marx schon als endgültige und erschöpfende Aussage über dessen und das Weihnachten aller hinreichte - ein Fest zwischen bunt-überbordendem Konsum (Kapitalismus) und besinnlicher Familienfrömmelei (Religion). Marx feierte es. Mal mit Engels’ Geld. Mal auf der Seite liegend. Merry Christmas.